Archiv der Kategorie: Umwelt und Klima

Der Preis fossil-basierten Wohlstandes

Das Jahr 2021: Flutkatastrophe im Westen Deutschlands mit fast 180 Toten und Milliardenschäden, Hitzetote in Kanada (!), verheerende Waldbrände in Griechenland, Italien, Türkei, Russland, Kalifornien, Brasilien, im südlichen Afrika. Es bestehen kaum noch Zweifel, dass solche Extremereignisse auch auf den Klimawandel zurückzuführen sind. Es ist ein Parade-Lehrbuchbeispiel für negative externe Effekte: Der seit etwa 200 Jahren rasant angestiegene Wohlstand – zunächst in den westlich geprägten Industrieländern, später dann auch Asien – ist sehr eng verknüpft mit der parallel dazu steigenden Nutzung fossiler Rohstoffe, vor allem mit deren Verbrennung. Zwar gehen seit etwa 20 Jahren die CO2-Emissionen in den Industrienationen geringfügig zurück, jedoch emittieren dafür aufstrebende Volkswirtschaften, allen voran China, erheblich mehr und stellen somit den Schlüsselfaktor einer globalen Reduktionsstrategie dar. Jedoch darf man nicht vergessen, dass die in den letzten 200 Jahren bereits erfolgten und akkumulierten Emissionen für den bereits erfolgten Klimawandel verantwortlich sind, und damit indirekt für die katastrophalen Effekte, die eingangs erwähnt wurden. Zwar konnte die Biosphäre einen Teil dieser Emissionen absorbieren, aber auch das ist zum einen begrenzt, und hat zum anderen den Effekt, dass nunmehr die Absorptionsfähigkeit für heutige oder künftige Emissionen bereits eingeschränkt ist und sich weiter rapide einschränken wird.

So wichtig es ist, in die Zukunft zu schauen, an dieser Stelle sei daran erinnert, dass der enorme Wohlstand nicht nur heutiger, sondern auch vorangegangener Generationen, eben wesentlich auf der Verbrennung von fossilen Ressourcen beruht. Und den ökonomischen Preis dafür zahlen heutige und vor allem künftige Generationen. Was man im Lehrbuch so schön abstrakt als intertemporalen externen Effekt beschreibt, kann man nun ganz praktisch anhand vieler Toter, Milliardenschänden und menschlichem Leid besichtigen: hier sieht man einen Teil des Preises vergangener Industrieproduktion, vergangener Urlaubsflüge, vergangener Bautätigkeit, vergangener PkW-Fahrten usw. Solche zeitlich und räumlich weit auseinander liegenden Ereignisse miteinander zu verknüpfen ist nicht gerade die Stärke des Menschen. Die Fähigkeit, solche Einsichten in kollektives Handeln umzusetzen, offenbar auch nicht.

Und so wird man zwar abstrakt der Einsicht zustimmen, dass nachhaltiger Wohlstand keine fossile Basis mehr haben kann – fast alle Parteien tun das mittlerweile -, aber das wird wohl weiterhin eher als „zukünftige“ Aufgabe verstanden werden, die heute lediglich „maßvolle“ Schritte erfordern, die die „Wirtschaft nicht überfordern“, weil es sonst „zu teuer“ würde. Teuer für wen? Klimaschutz mag teuer sein, unterlassener Klimaschutz ist noch viel teurer. Wir merken es nur nicht so sehr, weil wir den Preis eben nicht an der Zapfsäule bezahlen, sondern – meist Jahre später – z.B. in Gestalt der Flutopfer im Ahrtal.

Handelsverträge und der “Club der Willigen“

Nordhaus’ Vorschlag des “Clubs der Willigen” sieht vor, dass handelsstarke Länder, die sich zu einem effektiven Klimaschutz verpflichtet haben und damit einen Beitrag zu einem globalen öffentlichen Gut leisten, die weniger willigen Länder, die lieber “free rider” beim Klimaschutz sein wollen, zu einem stärkeren Engagement bewegen, indem Handelserleichterungen nur gegen eine entsprechende wirksame Klimapolitik gewährt werden, also eine Konditionierung der Handelserleichterungen erfolgt. Da der “Club” eine gewichtige Rolle im Welthandel spielt, also ein bedeutender Handelspartner ist, dürften andere Länder ein entsprechendes Interesse an Handelserleichterungen haben und somit diesen Deal eingehen. Da die bisherigen Selbstverpflichtungen zum Klimaschutz, wie etwa das Paris-Abkommen, keine Sanktionsmechanismen haben, d.h. ein Gefangenendilemma bzw. Öffentliches-Gut-Spiel vorliegt, dienen hier bindende Verträge aus einem anderen Politikbereich (Handel) als ein Ersatz, um doch noch einen (indirekten) Sanktionsmechanismus zu etablieren. Auf diese Weise wird Klimaschutzpolitik über das Vehikel der Handelspolitik in ihrer Wirkung vervielfacht. Der Verweis darauf, dass Deutschland ja “nur” 2% zu den CO2-Emissionen beitrage, und selbst die gesamte EU weniger emittiert als China, kann dann nicht als Ausflucht gelten: Das Gewicht im Handel ist sehr groß, und dementsprechend kann es nur gelingen, große Handelspartner zu einem Klima-Committment zu bewegen, wenn auch die eigenen Klimaziele erreicht werden – denn Nordhaus’ Vorschlag bindet auch die Mitglieder des “Clubs der Willigen”, so dass diese nicht nur durch die brüchige kollektive Vernunft, sondern simpel durch Eigeninteresse weiterhin “willig” bleiben.

Globalisierung und die wechselseitige Abhängigkeit der Länder aufgrund komplexer Wertschöpfungsketten ist hier geradezu ein Vorteil um das Anreizproblem bei einem derart existentiellen Thema zu lösen. Je mehr ich auf das Funktionieren dieser Wertschöpfungsketten angewiesen bin, desto höher mein Interesse, bei einem derart konditionierten Handelsvertrag mitzumachen. Das erfordert eine neue Generation von Regional Trade Agreements (RTA), denn eine Implementation auf multilateralem Weg (WTO) würde angesichts der drängenden Zeit viel zu lange dauern.

Diese neue Generation von RTAs sollte also eine Konditionalität vorsehen: wohldefinierte Pakete von Handelserleichterungen müssen quasi “erworben” werden durch überprüfbare Erfolge bei der Reduktion von Treibhausgasen sowie dem Schutz der CO2-Absorptionskapazitäten (z.B. Regenwald). Es sollte auch möglich sein, im Vergleich zum Status Quo zusätzliche protektionistische Maßnahmen zu verhängen, wenn die Emissionsreduktion die gesetzten Ziele nicht erreicht oder sogar ansteigen (oder z.B. Regenwald abgeholzt wird). Da davon auszugehen ist, dass CO2-Emissionen in irgendeiner Form bepreist werden, sind border adjustments selbstverständlich Bestandteil der Abkommen. Nicht oder unzureichend CO2-bepreiste Importgüter werden an der Grenze nachbesteuert um ein level playing field zu schaffen, d.h. heimische Produzenten im “Club der Willigen” sollen keinen Preisnachteil haben dadurch, dass CO2 innerhalb des Clubs einen hohen Preis hat. Umgekehrt muss auch beim Export eine Rückerstattung zumindest eines Teils des entrichteten CO2-Preises möglich sein, um keinen Preisnachteil beim Export außerhalb des “Clubs” zu haben. Auf solche adjustments kann in dem Maß verzichtet werden, wie die Handelspartner ebenfalls solche Preise einführen.

Neben dem Klimaproblem können im Prinzip auch andere Problemfelder die Handelserleichterungen konditionieren, etwa die Einhaltung von Menschenrechten oder ILO-Normen. Spielregeln, die die Art und Weise, wie wir produzieren und konsumieren, arbeiten und leben, so gestalten sollen, wie es den Präferenzen der Menschen in allen am Handel beteiligten Ländern entspricht, sollen nicht durch den Hinweis unterminiert werden, dass sie ja die Wettbewerbsfähigkeit auf den globalisierten Märkten senken. Würde man diesem Argument folgen, so würde zwar (vielleicht) mehr Handel getrieben, aber man befände sich schnurstracks auf dem Weg in Richtung Pareto-Ineffizienz, denn dieses Mehr an Gütern wird unter Bedingungen erzeugt, die die Menschen letztlich nicht präferieren. Und das ist der Maßstab ökonomischer Vernunft: die knappen Ressourcen so einzusetzen, dass Lebensbedingungen erzeugt werden, die von möglichst vielen präferiert werden. Das schließt nicht bloß die schiere Menge an produzierten bzw. konsumierten Gütern ein, sondern auch die Art und Weise, wie sie produziert werden. Und es schließt nicht nur die aktuell lebende, sondern auch künftige Generationen ein. Letztere würden sonst in ihrer Freiheit, ihre eigenen Lebensumstände durch Marktentscheidungen und demokratischen Wahlen bestimmen zu können, eingeschränkt. Und das kann ja wohl nicht Sinn des “Frei”handels sein.

Langfristig führt ein solches Schleifen der Spielregeln zugunsten einer Erhöhung des Handelsvolumens zu ihrer Delegitimation, auch zu Ressentiments gegenüber vertiefter Globalisierung. Eine Konditionierung der Handelserleichterung durch länderübergreifende andere Ziele, wie etwa den Klimaschutz oder den Menschenrechten, kann Globalisierung als schlagkräftiges Vehikel der Durchsetzung dieser Ziele an Zustimmung gewinnen. Das Abkommen zwischen der Europäischen Union und den MERCOSUR-Staaten könnte, wenn es denn neu verhandelt würde (!), zu einer Blaupause für eine solche neue Generation von RTAs werden. In der derzeitigen Form ist von Nordhaus‘ Idee leider nichts zu sehen.

Die Kritik an der Zertifikatslösung

Dullien, S. (2020), Warum der Glaube in die Überlegenheit des Emissionshandels übertrieben ist. Makronom, 7. Januar 2020 (makronom.de)

In diesem Aufsatz stellt Sebastian Dullien die starke Präferenz vieler vor allem deutscher Ökonom*innen für die Zertifikatslösung in Frage, indem er auf einige Nachteile dieses Konzeptes hinweist. Er tut dies auf eine sehr angenehme sachlich-argumentative Weise. Dies ermöglicht (und ermutigt) eine ebenso sachlich-freundliche Replik.

Die meisten Ökonomen, welche die Zertifikatslösung präferieren, sprechen sich nicht gegen die CO2-Steuerlösung aus. Die Steuerlösung ist immer weitaus besser als der Status Quo, wenn vielleicht auch, nach Meinung vieler Ökonom*innen, nicht ganz so vorteilhaft wie die Zertifikatslösung. Aber niemand würde sich aktiv gegen eine Steuerlösung einsetzen. Sie ist auch kommunikativ deutlich einfacher zu vermitteln, was ein politökonomisch wichtiger Aspekt für ein schnelles klimapolitisches Handeln ist. Dies ist vermutlich auch der Hintergrund des Aufrufs zahlreicher amerikanischer Ökonomen und Zentralbanker, auf den Dullien zu Beginn verweist.

Eines seiner wichtigsten Argumente ist die Preisvolatilität, die sich beim Zertifikatehandel ergibt, im Gegensatz zur Steuerlösung. Dullien weist darauf hin, dass bei einer Einhegung der Preisvolatilität im Zertifikatsmodell durch Mindest- und Höchstpreise der zentrale Vorteil der planbaren Mengenentwicklung wegfallen würde. Das ist korrekt, zumindest wenn sich die Zertifikatsmenge an den Rändern des Preisintervalls elastisch an die Nachfrage anpasst. Bleibt die Zertifikatsmenge hingegen fix, so führt der Preiskorridor zu Rationierungseffekten, die ebenfalls unerwünscht sind. Bei einem reinen Zertifikatsmodell ohne Preiskorridor würden die Preise jedoch kurzfristig schwanken, was die Planungssicherheit für Investitionen in klimaneutrale Technologien einschränken würde. Hier kann man einwenden, dass (a) Investoren eher langfristige Preisentwicklungen im Blick haben, die bei systematischer Verknappung der Zertifikate ziemlich eindeutig sein sollte. (b) In einer Marktwirtschaft schwanken Preise ohnehin, Rohstoffpreise allzumal, was nicht per se ein Investitionshindernis ist. Unsicherheit der Preisentwicklung ist Teil der DNA einer Marktwirtschaft. Sie hat auch nicht verhindert, dass in den vergangenen 150 Jahren massiv in fossile Energien investiert wurde. (c) Schließlich gibt es Hedging-Instrumente für das Management von Unsicherheit, etwa options und futures auf Zertifikate. (d) Im Steuermodell unterliegt der zukünftige CO2-Preis politischen Risiken. Die Preissicherheit ist hier eher kurz- bis mittelfristig.

Wenn einem das Volatilitätsargument, aber auch das Argument der Sicherheit der Mengenentwicklung wichtig ist, könnte man auch daran denken, ein umfassendes ETS mit einer (relativ hohen) Steuer zu kombinieren, wobei der an der Börse gezahlte Preis auf die Steuerschuld angerechnet wird, sofern dieser unterhalb des Steuersatzes liegt. Auf diese Weise kennen Investoren den Pfad des Mindestpreises, der in die Amortisationsrechnung einfließt.

Dullien weist außerdem darauf hin, dass mit der Preisvolatilität auch die Rückzahlungen an die Bürger unsicher würden. Diese Rückerstattungen seien aber für die Akzeptanz einer CO2-Bepreisung sehr wichtig. Letzterem ist unbedingt zuzustimmen. Allerdings gibt es zwei Einwände: (a) das Aufkommen ist prinzipiell unsicher bei planbarer Menge und volatilen Preisen (Zertifikatsmodell), aber auch bei festen Preisen und unklarem Mengeneffekt (Steuermodell). (b) Im Zertifikatsmodell erzielt der Staat Einnahmen aus der anfänglichen Versteigerung (oder Verkauf) der Zertifikate auf dem Primärmarkt. Diese Einnahmen werden an die Bürger zurückgegeben. Die anschließenden Preisschwankungen auf dem Sekundärmarkt sind weniger relevant, denn die z.B. beim Preisanstieg steigenden Kosten des Zertifikatserwerbers (was dessen Angebot verteuert) sind gleichzeitig Einnahmen des Zertifikatsverkäufers, dessen Produktion sich verbilligt. Die Kosten verteilen sich im Privatsektor lediglich anders, was zu Relativpreisänderungen führt, die Nettozahlungen des Privatsektors an den Staat und damit die an die Haushalte rückzuerstattende Summe bleibt davon aber unberührt. Ob Schwankungen der Zertifikatspreise an der Börse sich unmittelbar und 1:1 in z.B. Benzinpreisschwankungen übersetzen, wird man sehen. In der Regel werden Mineralölkonzerne vorab Kontingente von Zertifikaten erwerben und nicht erst fallweise dann, wenn eine einzelne Tankstelle beliefert wird. Da der CO2-Preis lediglich einen überschaubaren Teil des Benzinpreises ausmacht, wird die Volatilität des ersteren vermutlich in der ohnehin vorhandenen Volatilität des letzteren untergehen. Zudem bedeutet eine Preisänderung an der Börse eine Kostenänderung für die Anbieter, die jetzt gerade trades durchführen. Für diejenigen, die bereits ausreichend Zertifikate besitzen und diese einsetzen, ändern die täglichen Schwankungen nichts an der Kostensituation. Nur Grenz-Unternehmen sind betroffen. Deshalb denke ich, dass das Volatilitätsargument überbewertet wird.

Allerdings geht Dullien von einer Vorab-“Rück”erstattung aus, d.h. der Staat müsste die “Klimaprämie” quasi vorfinanzieren. Wenn das so gewünscht ist, ist es weniger problematisch, wenn hier der Staat die Aufkommensunsicherheit etwas abfedert. Allerdings zeigt sich hier auch ein Vorteil der Zertifikatslösung, weil Emittenten die Rechte vorab erwerben müssen, während bei einer CO2-Steuer das exakte Steueraufkommen erst ex post feststeht, nachdem die Emissionsmengen gemessen wurden.

Desweiteren argumentiert Dullien, dass komplementäre klimapolitische Maßnahmen wie etwa Förderung von ÖPNV oder Infrastrukturmaßnahmen nötig seien, um überhaupt genügende Substitutionsmöglichkeiten zu schaffen. Denn die stetige Substitution CO2-emittierender Produkte und Verfahren, gesteuert durch Preise, ist ja das Ziel. Diese komplementären CO2-sparenden Maßnahmen seien jedoch schwierig mit dem Zertifikatsmodell zu kombinieren, weil diese Maßnahmen die Nachfrage nach Zertifikaten und damit deren Preis senken würden, so dass diese Zertifikate eben an anderer Stelle nachgefragt würden, und sich trotz der Maßnahmen am Ende des Tages die Emissionsmenge nicht verändern würde. Bei einer CO2-Steuer hingegeben würde der Einsparanreiz bestehen bleiben. Das Argument ist völlig richtig, jedoch meines Erachtens dennoch irreführend. Bei einer CO2-Steuer wird es mangels Substitutionsmöglichkeiten oft keine ausreichende Verhaltensänderung geben. Deshalb wird es nötig, solche Substitutionsmöglichkeiten durch Zusatzmaßnahmen zu fördern, damit überhaupt eine nennenswerte Mengenwirkung erzielt wird. Beim Zertifikatsmodell hingegen ist die Mengenwirkung sicher. Allerdings würde bei unzureichenden Substitutionsmöglichkeiten der Zertrifikatspreis und damit die Kosten des klimaschädlichen Verhaltens durch die Decke gehen. Die begleitenden Maßnahmen (ÖPNV-Ausbau etc.) haben hier also den Sinn, bezahlbare Alternativen zu schaffen bei sicherem Mengeneffekt. Dieselbe Maßnahme im Kontext der CO2-Steuer hat den Sinn – obgleich klimaschädliches Verhalten einen lediglich moderaten Preis hat – eine halbwegs attraktive Alternative zu schaffen, damit es überhaupt einen Mengeneffekt gibt. Ich denke nicht, dass man diese zweifellos notwendigen komplementären klimapolitischen Maßnahmen in dem einen Kontext als Vorteil, im anderen als “schwierig vereinbar” sehen kann. Der Verweis darauf, dass es “attraktiv” sein muss CO2 zu sparen, klingt gut, ist hier aber nicht hilfreich, wenn das Instrument diese Einsparung bereits erzwingt.

Dasselbe Argument wird geltend gemacht bezüglich individueller Anstrengungen CO2 einzusparen. In einem Zertifikatssystem werden all diese Anstrengungen “zunichte” gemacht, weil die frei werdenden Zertifikate dann einfach anderswo eingesetzt werden und sich an der Gesamtmenge nichts ändert. Beispiel: Verzicht auf innereuropäische Flüge, was keinerlei CO2 einspart. Das ist richtig und für das intuitive Verständnis der breiten Bevölkerung sicherlich schwieriger nachvollziehbar als der kontinuierliche Vermeidungsanreiz einer CO2-Steuer. Als Misanthrop teile ich die Auffassung, dass die Logik des Zertifikatsmodells einer breiten Bevölkerung schwierig zu vermitteln ist. Aber der Sinn einer Internalisierung ist es ja, dass Konsumenten sich nun auf das Relativpreissystem verlassen können statt ihre Dispositionen zusätzlich von moralischen Überlegungen leiten zu lassen, wie man etwas Gutes für das Klima tun könne. Für die Konsumenten reicht das “normale” Substitutionsverhalten völlig aus um das Konsummuster klimafreundlicher werden zu lassen. Für Anbieter entsteht bei beiden Systemen (Zertifikate, CO2-Steuer) ein Anreiz, klimaschonende Alternativen zu entwickeln und sich so einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Für den moralisch motivierten Bürger, der zusätzlich etwas für das Klima tun möchte, würde ich raten: Kaufe CO2-Zertifikate und entziehe sie so dem Markt. Im Unterschied zu anderen individuellen klimaschonenden Maßnahmen kann man hier sogar exakt bestimmen, wieviel CO2 damit vermieden wird, nämlich eine Tonne pro Zertifikat. Der Nachteil ist allerdings, dass diese Rechnung zwar völlig korrekt ist, der virtuelle Kaufakt eines Wertpapiers per Mausklick aber psychologisch viel unbefriedigender ist als eine Verzichtsübung im täglichen Konsum. Hier kann man dann die Frage stellen, ob man die erzieherische Wirkung auf Menschen oder den tatsächlichen Effekt auf die Emissionen priorisiert.

Ein weiteres Argument Dulliens ist der Hinweis darauf, dass die im Zertifikatsmodell vorgegebene Menge und deren Reduzierung im Allgemeinen nicht sozial optimal ist. Dies wäre nur der Fall, wenn die Grenzvermeidungskosten dem Grenzschaden entspräche. Das Zertifikatsmodell lege jedoch nur eine Menge fest, deren Preis dann zwar den Grenzvermeidungskosten entspricht, der Grenzschaden jedoch systematisch keine Rolle spielt. Nun ist allerdings die Ermittlung des “Grenzschadens” einer Tonne CO2 außerordentlich methodenabhängig, man könnte auch sagen: spekulativ. Wenn man die UBA-Berechnung von “mindestens 180 Euro/Tonne” zugrundelegt, dann sind auch alle bekannten CO2-Steuerkonzepte sozial ineffizient. Befindet man sich in absehbarer Zeit an den Kipp-Punkten im Klima-System, dann dürfte es wohl keine seriösen “Berechnungen” von “Grenzschäden” mehr geben. Zielführender scheint mir daher das Kriterium zu sein, ob mit der Maßnahme das verbleibende CO2-Budget eingehalten werden kann, das zur Erreichung des 1.5- oder 2-Grad-Ziels erforderlich ist. Zwar ist es ein Problem zu bestimmen, welchen Anteil Deutschland am globalen CO2-Budget hat, was ja auch eine normative Frage ist. Aber sobald diese Frage politisch geklärt ist, ist der Spielraum für plausible Reduktionspfade, die sich innerhalb des Budgets bewegen, nicht allzu groß und sollten die Vorlage für die jährlichen Caps im Emissionshandel sein. Global gesehen wären dies im Schnitt konstante Reduktionsraten von 8-9 Prozent jährlich (Annahme: verbleibendes CO2-Budget = 420 Gt, jährliche Emissionen = 36 Gt), aus Gründen der Klimagerechtigkeit dürfte das bei Industriestaaten wohl etwas höher liegen, sagen wir z.B. 10 Prozent, um Spielraum für sich entwickelnde Volkswirtschaften zu schaffen. Ob dabei irgendwelche theoretischen Marginalbedingungen erfüllt sind oder nicht – ich glaube nicht, dass Dullien auf ein derartig neoklassisches Argument so viel Wert legt.

Schließlich argumentiert Dullien gegen das Argument, dass nur Zertifikatshandel einen einheitlichen CO2-Preis garantiert, der für effiziente Einsparung bzw. Allokation der Emissionen nötig sei. Zunächst ist es ein Strohmann-Argument, denn meines Wissens anerkennt jede*r Ökonom*in, dass auch eine CO2-Steuer ein einheitlicher Preis wäre. In dieser Hinsicht unterscheiden sich beide Konzepte nicht. Wenn es aber Argumente wie sektorspezifische Netzwerkeffekte und positive Externalitäten gibt, die an der Effizienz einheitlicher Preise zweifeln lassen, so trifft auch dies zunächst beide Instrumente. Sektorspezifische Extra-Steuern oder Subventionen, welche diese speziellen Marktunvollkommenheiten adressieren, sind in beiden Modellen möglich. Ich sehe darin kein systematisches Argument gegen das Zertifikatsmodell.

Im Gesamturteil ist Dullien sehr vorsichtig trotz der erkennbaren Präferenz für die Steuerlösung. Es ist durchaus verdienstvoll, kritische Punkte am Zertifikatsmodell herauszuarbeiten. Dennoch halte ich die Kritikpunkte für nicht allzu tragfähig und gravierend, um den m.E. entscheidenden Vorteil des Zertifikatsmodells überzukompensieren: Eine verlässliche quantitative Reduktion innerhalb des verbleibenden CO2-Budgets ist unabdingbar und mit einem umfassenden Zertifikatsmodell mehr oder weniger zu “erzwingen”. Dieser Vorteil ist keineswegs “übertrieben” obschon jedes Instrument, jedes klimapolitische Konzept selbstverständlich Vor- und Nachteile hat. Die Flankierung durch weitere klimapolitische Maßnahmen (Infrastruktur, FuE, Ordnungsrecht) sowie der soziale Ausgleich durch Rückgabe der staatlichen Einnahmen an die Haushalte sind in beiden Modellen wichtig.

Grüne Klimapolitik: Preise, Mengen, Quoten

Nach dem vielerorts zu Recht als unambitioniert kritisierten Klimapaket der Großen Koalition legen die Grünen ihre Vorschläge vor, die auf dem Parteitag im November 2019 beschlossen werden sollen. Bezüglich der Ziele, des konkreten CO2-Preises und vieler begleitender Maßnahmen wird es mit Sicherheit ein deutlich ambitionierteres Maßnahmenpaket als das der Regierung sein. Gleichzeitig soll es auch das wirtschaftspolitische Image der Grünen schärfen, da auch sie auf das marktkonforme Instrument der CO2-Bepreisung, auf Innovationen sowie unterstützende industriepolitische Maßnahmen setzen. Die umfangreichen Maßnahmen sind eingebettet in die ordnungspolitische Vorstellung einer “ökologisch-sozialen Marktwirtschaft”. So weit, so gut. Bei näherem Hinsehen zeigen sich aber Brüche, die Thema dieses Beitrags sind. Ich beziehe mich dabei auf Positionen, die man in unterschiedlichen Medien und öffentlich zugänglichen Positionspapieren und Leitanträgen nachlesen kann.

Dreh- und Angelpunkt einer marktwirtschaftlichen Klimastrategie ist die Internalisierung externer Effekte durch Einführung von CO2-Preisen. Dies kann einerseits durch eine Mengensteuerung geschehen, wie das beim Emissionszertifikate-Handel (ETS) der Fall ist, bei dem sich der Preis endogen am Markt ergibt. Ein solches ETS gibt es derzeit schon bei der Energieerzeugung und in ausgewählten Industriebranchen sowie dem innereuropäischen Flugverkehr. Oder man gibt wie bei der CO2-Steuer einen Preis vor und erhält durch Substitutions- und technologische Anpassungsprozesse die angestrebte CO2-Mengenreduktion. In beiden Fällen sind begleitende Maßnahmen erforderlich, um zum einen Substitutionsmöglichkeiten im Bereich der Infrastruktur zu schaffen (z.B. ÖPNV-Kapazitätsausbau), und zum anderen um Innovationen und Wechsel hin zu klimafreundlichen Technologien anzuregen, z.B. durch Förderprogramme, aber auch z.B. durch das Verbot von Ölheizungen bei Neubauten ab 20XX. Gegnern solcher “Verbotspolitik” ist oft nicht klar, dass manchmal erst solche command-and-control Maßnahmen Ingenieure vor neue Probleme stellen, die sie dann durch Innovationen lösen. Diese ergänzenden Maßnahmen sind im Fall einer CO2-Steuer sogar notwendig, um eine deutliche Verhaltens- und somit Emissionsmengenänderung zu induzieren. Bei der Zertifikatslösung würde die Mengenänderung hingegen erzwungen werden. Hier haben die begleitenden Maßnahmen den Zweck eines möglichst sanften Übergangs, ohne dass es zu extremen Preiseffekten und brachialen Anpassungsproblemen kommt.

Nun entwickeln die Grünen aber ein außerordentlich komplexes Maßnahmenbündel, welches sowohl auf einer CO2-Steuer basiert (genau genommen ist nur von einem staatlich gesetzten Preis die Rede), als auch einer teilweisen Ausdehnung des ETS sowie zusätzlich sektorspezifischer Ziel- und Quotenvorgaben, zahlreicher ordnungsrechtlicher Regulierungen, und noch zahlreicherer Förder- und Investitionsmaßnahmen, z.T. mit Quersubventionierungseffekten. Sie bezeichnen dies als “klugen Mix” aus Maßnahmen, doch es steht zu befürchten, dass das Wirrwar von sich z.T. überlappenden Maßnahmen und die nicht gewährleistete Einheitlichkeit eines sektorübergreifenden CO2-Preises das Ziel nur zu unnötig hohen volkswirtschaftlichen Kosten erreicht, und ein Controlling, ob die Maßnahmen effektiv sind und das ganze Programm kosteneffizient ist, praktisch unmöglich ist – ein Fehler, den der Bundesrechnungshof schon bei der Energiewende heftig gerügt hat.

Allein ein deutlicher CO2-Preis würde erhebliche Anpassungseffekte auslösen, nicht nur im Verhalten von Haushalten und Firmen, sondern auch bezüglich der Investitionen in klimaschonende Technologien und der entsprechenden Ausrichtung von Forschung und Entwicklung. Das Vertrauen in diese marktwirtschaftlichen Anpassungsprozesse scheint aber eher gering zu sein, wenn man meint, sie durch ein äußerst kleinteiliges sektor- und technologiespezifisches Maßnahmenbündel und staatliche Vorgaben ergänzen zu müssen. Zudem erscheint mir das Gesamtpaket teilweise inkohärent zu sein, u.a. weil es auf Missverständnissen bezüglich der Funktionsweise marktwirtschaftlicher Instrumente beruht.

Es wird zum einen vorgeschlagen, das ETS auf weitere Bereiche auszudehnen wie z.B. weitere Industriesektoren, den außereuropäischen Flugverkehr sowie den Schiffsverkehr. Von einer Ausdehnung des Systems auf grundsätzliche alle Sektoren (Energie, Wohnen, Industrie, Verkehr, Landwirtschaft) ist dagegen nicht die Rede. Hier setzt man lieber auf eine CO2-Steuer. Nun ergibt sich dadurch aber das grundsätzliche Problem unterschiedlicher CO2-Preise in ETS- und non-ETS-Sektoren, welches nur unzureichend angegangen wird. Dies wirkt verzerrend und führt zu Ineffizienzen, da CO2 nicht automatisch dort eingespart wird, wo es die geringsten Kosten verursacht. Dem Klima ist es völlig egal, wo das CO2 eingespart wird, der Volkswirtschaft aber nicht. Anders als im Vorschlag des SVR wird die CO2-Steuer nicht als Instrument in einer Übergangsphase hin zu einem umfassenden ETS betrachtet, sondern als dauerhaft paralleles Instrument. Wenn man dann aber tatsächlich einen einheitlichen CO2-Preis erreichen würde (etwa indem in ETS-Sektoren nur die Differenz zwischen Steuersatz und Zertifikatspreis als Steuer erhoben wird), dann entfällt der Sinn des ETS, einen adäquaten Marktpreis bei vorgegebener Emissionsreduktion zu finden.

Nun gut, wenn man auf den eigentlich aus ökologischer Sicht ungeheuren Vorzug des ETS verzichten möchte, den CO2-Mengenreduktionspfad so definieren zu können, dass das CO2-Budget nicht überschritten wird und Klimaneutralität im Zieljahr 2050 erreicht wird, kann man ja auf eine reine Preissteuerung per CO2-Steuer setzen. Da hier die Mengenwirkung aber ungewiss ist, wird dann jedoch per Quotenregelung und sektorspezifischen Reduktionszielen nachgeholfen. Das klingt eher nach sowjetischem 5-Jahres-Plan. Wenn man der Preiswirkung nicht traut und relativ detailliert in einzelwirtschaftliche Mengenentscheidungen eingreift, dann könnte man eigentlich gleich auf das ETS setzen, welches viel einfacher und zuverlässiger die Mengenreduktion erreicht. Gleichzeitig Preise und Mengen staatlich zu regulieren, ist eine Chimäre. Nochmal: dem Klima ist es egal, wann wieviel in welchen Sektoren eingespart wird, solange die akkumulierten Emissionen nicht das verbliebene CO2-Budget überschreiten, was eigentlich das übergeordnete Leitprinzip sein sollte. Quoten, zum Beispiel für Elektroautos, setzen zum einen voraus, dass der Staat weiß, welche Technologien langfristig sinnvoll sind, und dass eine Einsparung z.B. im Bereich des Individualverkehrs sinnvoller ist als z.B. eine noch ambitioniertere Einsparung per Gebäudesanierung. Oder in der Landwirtschaft. Oder in der Stahlindustrie. Jedoch: das wissen wir nicht. Unter keinen Umständen darf der Markt aber selbst herausfinden, wo man am schnellsten und am preiswertesten einspart, dafür scheint das in der Grünen-DNA verankerte Misstrauen gegenüber Märkten noch zu groß zu sein, auch wenn die Rhetorik deutlich marktwirtschafts-freundlicher geworden ist.

Es finden sich Vorschläge, die auf Quersubventionierung hinauslaufen: Wer Technologie A verwendet, muss eine Abgabe zahlen, mit der die Nutzung der klimafreundlichen alternativen Technologie B gefördert wird. So etwas kann sinnvoll sein, wenn Technologie B noch in den Kinderschuhen steckt, und man durch Stimulierung der Nachfrage starke Skaleneffekte und so Kostendegressionseffekte hervorrufen kann wie das z.B. im Bereich der Photovoltaik geschehen ist. Die Schattenseite ist jedoch, dass die Extrakosten, die der Technologie A neben dem CO2-Preis auferlegt werden, faktisch die Emissionen stärker verteuern als in anderen Sektoren, der CO2-Preis also nicht mehr einheitlich ist. Zudem bilden solche und ähnliche Vorschläge ein kaum überschaubares Geflecht von Abgaben einerseits und Fördertöpfen andererseits, was das Controlling enorm erschwert (siehe oben). Es wäre ja möglich, dass allein der steigende CO2-Preis die Substitution von A durch B bewirkt, ohne das an allen Ecken und Enden mit Extramaßnahmen nachgeholfen werden muss. Falls nicht, so könnte das ganz schlicht daran liegen, dass der CO2-Preis noch zu gering ist.

Eine CO2-Steuer wird vom Staat festgelegt. Hier sind die Vorschläge der Grünen deutlich progressiver als beim Klimapaket der GroKo, bleiben aber dennoch hinter anderen Ländern (Schweiz, Schweden), Vorstellungen von Wissenschaftlern (UBA oder als “neoliberal” geltenden Ökonomen), Aktivisten (FFF) und sogar der Industrie (VDMA) zurück. Interessant ist, dass man auch bei den ETS-Sektoren, da die Einheitlichkeit des Preises nun mal nicht gewährleistet ist, zumindest regulatorische Preiseingriffe vorsieht, konkret: Mindestpreise für Zertifikate, “um die Anreizwirkung aufrecht zu erhalten”. Ob es sich um den Preis beim initialen Verkauf bzw. Versteigerung der Zertifikate auf dem Primärmarkt, oder einen regulatorischen Eingriff auf dem Sekundärmarkt handelt, bleibt etwas unklar; ich gehe von Letzterem aus. Diese Mixtur aus Preis- und Mengenvorgaben führt nicht nur zu adversen Anreizeffekten. Die Begründung zeugt auch von einem Missverstehen dieses Instrumentes: Es bedarf beim ETS keines speziellen “Anreizes” zur Reduktion von CO2, denn diese wird durch den jährliche Cap staatlich vorgegeben! Wenn der Marktpreis nun nicht weiter sinken kann als der verordnete Mindestpreis, so kommt es an dieser Grenze zu einem künstlich erzeugten Angebotsüberschuss nach Zertifikaten und dementsprechend zu Rationierungseffekten. Firmen, die CO2 eingespart haben und nun ihr Zertifikat nicht mehr benötigen, finden ggf. keinen Käufer zum Minimalpreis, der oberhalb des Gleichgewichtsniveaus liegt. In der Nähe des Minimalpreises könnte daher der Anreiz CO2 einzusparen sogar zurückgehen um nicht eventuell auf der rationierten Marktseite zu stehen. Es ist damit zu rechnen, dass das Überschussangebot von Spekulanten zum Minimalpreis aufgekauft wird in der Erwartung auf Preissteigerungen während der Laufzeit der Zertifikate. Wird diese Erwartung erfüllt, ziehen diese Spekulanten Renten aus dem Markt, die ihnen der Gesetzgeber ermöglicht hat. Man kann allenfalls argumentieren, dass der Anreiz auf klimafreundliche Technologien umzustellen, dadurch ausgelöst wird, dass man sich den künstlich erzeugten Dysfunktionalitäten des ETS-Marktes entziehen möchte. Das wäre allerdings eine recht perverse Argumentation. Wenn der Börsenpreis politisch als zu niedrig empfunden wird, könnte der Staat ja auch ganz einfach ETS kaufen und stilllegen, um den Preis zu stabilisieren.

Auch gesonderte Maßnahmen, welche europäische Inlandsflüge teurer machen sollen, um den Verkehr z.B. auf die Schiene zu bringen, sind gut gemeint, zeigen aber, dass das ETS nicht richtig verstanden wird: Sind die Maßnahmen erfolgreich, d.h. reduziert sich der innereuropäische Flugverkehr (bzw. bei der geplanten Ausdehnung des ETS: der Flugverkehr insgesamt), so sinkt die Nachfrage der Fluglinien nach Zertifikaten, deren Preis dann fällt und von anderen Emittenten (z.B. Kohlekraftwerken?) gekauft und verwendet wird. An den Emissionen ändert sich konstruktionsbedingt nichts. Ähnlich ist auch der Irrglaube, durch Verbot von Inlandsflügen würde CO2 eingespart: Die erlaubten Emissionen fallen dann woanders an. Man könnte hier jedoch wieder regulatorisch eingreifen und diejenigen Zertifikate, die durch die Flugpreis-erhöhenden Maßnahmen induzierte Verhaltensänderung nicht mehr nachgefragt werden, staatlicherseits vom Markt nehmen/kaufen. Angesichts dieser irrsinnig komplizierten Konstruktion, welche die Logik des ETS ohnehin völlig außer Kraft setzt, hätte man dann lieber für dessen Abschaffung und Ersatz durch komplexe Bepreisungsregeln plädieren sollen.

Was die Investitionen in klimafreundliche Technologien betrifft, so scheinen die Grünen trotz des deutlich höheren CO2-Preises als im GroKo-Klimapaket kaum Hoffnung zu haben, dass dies private Investitionen in erheblichem Umfang auslöst. Der Fokus liegt nämlich klar auf staatlicher Förderung privater Investitionen sowie auf Investitionen durch den Staat selbst. Schon jetzt scheinen viele Unternehmen erheblich progressiver zu sein als die derzeitige Regierung. Mit ambitionierten Zielen für die klimaneutrale Produktion von Autos oder Stahl, mit einem vorgeschlagenen CO2-Preis von 110 Euro/Tonne (VDMA) und vor allem mit entsprechenden Investitionen gehen einige Firmen voran, obwohl es derzeit noch gar keine wirklich wirksame Klimapolitik gibt. Ob man tatsächlich einen so komplexen und voluminösen fiskalischen Instrumentenkasten braucht, wie es die Vorstellungen der Grünen nahelegen, werden wir sehen. Selbstverständlich sind staatliche Investitionen und Förderungen wichtig. Aber es werden mit keinem Wort positive Erwartungen bezüglich des privaten Engagements ausgesprochen oder gar Abschätzungen von Größenordnungen. Das ist aber nicht unwichtig um diesbezügliche Staatstätigkeit ökonomisch begründen zu können.

Auch die gut gemeinte Einführung von “Preiskorridoren” um stabile Erwartungen bezüglich der CO2-Preisentwicklung im ETS zu generieren, ist kritikwürdig. Wie oben beim Minimalpreis angesprochen, so gibt es auch bei einem Maximnalpreis adverse Anreizeffekte (künstliche Rationierung der Nachfrageseite; Firmen, die sich nicht rechtzeitig mit Zertifikaten eingedeckt haben und nun durch staatliche Verordnung rationiert werden, können nicht produzieren. Es kommt quasi einem Produktionsverbot gleich). Nur wenn man damit rechnet, dauerhaft rationiert zu werden, lohnt sich zu überlegen in klimaneutrale Technologien zu investieren, weil man dann keine Zertifikate nachfragen muss. Auch hier liegt der “Anreiz” darin, sich den künstlich erzeugten Dysfunktionalitäten des Marktes zu entziehen. Fraglich ist jedoch, ob das dann diejenigen Firmen sind, bei denen der Technologiewechsel auch am wirtschaftlichsten ist. Das zu gewährleisten war aber der Sinn des ETS. Warum sollte die Stabilisierung der Preiserwartungen so wichtig sein, dass sie regulatorische Eingriffe rechtfertigt, die den Preismechanismus außer Kraft setzen? Unternehmen sind in einer Marktwirtschaft durchaus gewohnt, langfristige Investitionsentscheidungen zu treffen, obwohl Rohstoff- und Güterpreise schwanken. Zudem gibt es Terminmärkte für Zertifikate sowie andere Hedginginstrumente, so dass Risikomanagement auch ohne staatliche Assistenz möglich ist. Würde man im ETS die jährlichen Caps so festlegen, dass planbar im Jahr 2050 so gut wie keine Emissionsrechte mehr vorhanden sein werden, kann sich jeder Investor an fünf Fingern abzählen, dass demnächst fossile Investitionen mit einem Zeithorizont von ein paar Jahrzehnten (z.B. die neue Ölheizung) sich wohl schwerlich amortisieren werden.

Ein Kernpunkt, auf den die Grünen besonders stolz sind, ist die Entlastung der Haushalte dergestalt, dass ärmere Haushalte durch die CO2-Bepreisung nicht nur nicht belastet, sondern unter dem Strich sogar entlastet werden. Zum einen soll die Stromsteuer auf ein Minimum gesenkt werden, und vor allem sollen die Bürger pro Kopf ein “Energiegeld” erhalten, welches den Kaufkraftverlust ihres Einkommens durch die CO2-Preisüberwälzung kompensiert. Wer unterdurchschnittlich viel CO2 emittiert – und dies sind vor allem die ärmeren Haushalte aufgrund des geringeren Konsums – profitiert sogar. Das ist im Kern ein sehr guter Ansatz. Nun ist von einem anfänglichen CO2-Preis von 40 Euro/Tonne die Rede und einem Energiegeld von 100 Euro pro Person und Jahr. Zu bedenken ist, dass offenbar nur die Einnahmen der Steuer an die Bürger teilweise zurückgegeben werden soll, während das bei den Einnahmen aus dem Zertifikatsverkauf nicht der Fall zu sein scheint. Bei derzeit etwa 9 Tonnen CO2 pro Person und Jahr ist ein Energiegeld von 100 Euro allerdings nur eine sehr mäßige Rückerstattung, falls man von einer weitgehenden Überwälzung der Kosten ausgeht. Bei der Nachbesteuerung von CO2 bei importierten Gütern (“border carbon adjustment”) wird denn auch gleich gesagt, dass dies zur Teilfinanzierung der zahlreichen vorgeschlagenen “Fonds” dient, die alles mögliche bezüglich der “ökologischen Transformation” fördern sollen. Deutlich radikaler, aber auch schlüssiger und für die Bürgern glaubwürdiger wäre es, wenn alle Einnahmen aus der Internalisierung externer Kosten (CO2-Steuer, Einnahmen aus dem Verkauf der Zertifikaten, nachgelagerte Besteuerung an der Grenze) ohne weitere fiskalische Budgetwirkungen unmittelbar an die Bürger zurückgegeben werden (sowie Ausgleich für die Exporteure, denn dort tragen nicht die inländischen Haushalte, sondern ausländische Kunden die Steuerlast mit, und die heimische Firma würde sonst Wettbewerbsverluste erleiden). Den fiskalischen Begehrlichkeiten des Staates sollte dies entzogen sein. Sein Budget einschließlich der ganzen Klima-Förderprogramme sollte sich vorwiegend über Steuern finanzieren, die nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip erhoben werden. Die Höhe der Kompensation, also das “Energiegeld”, ist dann eine Steuerrückerstattung, deren Höhe nicht feststeht, sondern die sich aus der Preis- und Mengenentwicklung ergibt. Die Bürger müssen nicht bloß hoffen, dass die 100 Euro Energiegeld ausreichen um ihre Mehrausgaben zu kompensieren, sie wissen, dass sie (fast) alles zurückbekommen und zwar automatisch. Eine solche fiskalische Regelbindung wäre innovativ gewesen, besonders für die Grünen, die bislang eher für weitere fiskalische Ermächtigungen des Staates stehen, wie sich auch am vorliegenden Konzept zeigt. Immerhin ist das Energiegeld wesentlich überzeugender als die Erhöhung der Pendlerpauschale.

Zwar werden auf dem Parteitag im November auch Positionen bezüglich Globalisierung und internationaler Handelspolitik beschlossen. Es wäre sinnvoll gewesen deutlich zu machen, dass dieses Politikfeld ein integraler Bestandteil der Klimapolitik ist. Man hätte klar konzedieren können, dass Deutschland lediglich etwa 2% zur Emission von Treibhausgasen beiträgt und selbst der Anteil Europas moderat und zudem rückläufig ist. Umso entscheidender ist es, wenn man hier Instrumente, Wissen und Fähigkeiten entwickelt, wie man hohen Wohlstand mit weniger und schließlich ohne fossile Inputs erzeugen kann. Dann kann man die starke Position im Welthandel nutzen, um auch andere Länder (Handelspartner) dazu zu bringen sich auf eine Dekarbonisierungstategie zu verpflichten, und um das entsprechende technologische Know-How zügig zu verbreiten. Dies kann dem Klima sehr viel mehr bringen als nationale Erfolge. Gelänge durch kluges Design von Handelsverträgen und Wissenstransfer die Emissionen allein in China lediglich um 5% zu reduzieren, wäre das mehr als eine 60%-ige Reduktion in Deutschland. Handelsverflechtungen können via Handelsverträge ein mächtiges Vehikel für eine Globalisierung von Klimapolitik sein, und sollten deshalb im Klimaprogramm prominent herausgestellt werden. Hier ist noch viel Luft nach oben.

Alles in allem ist das Klimaprogramm der Grünen deutlich ambitionierter und detaillierter als das GroKo-Paket, von einem Grundverständnis marktwirtschaftlicher Prozesse ist es trotz ständiger anderslauternder Rhetorik nur sehr bedingt getragen. Der Fokus liegt nicht nur auf dem “regulatorischen Rahmen”, den eine sozial-ökologische Marktwirtschaft braucht, wie immer wieder betont wird, sondern auf z.T. sehr detaillierten Eingriffen in Preis-, Mengen- und Technologieentscheidungen, welche die Marktmechanismen nicht bloß “in richtige Bahnen lenken”, sondern partiell außer Kraft setzen. Die Konsequenz wird sein, falls es denn mit der Einhaltung der Klimaziele überhaupt klappt, es unnötig teuer werden wird. Insbesondere wird der Charme der ökologischen Treffsicherheit eines gut ausgestalteten ETS eher achtlos an der Seite liegen gelassen. Dieses Instrument wirkt auf viele Grüne vermutlich doch zu “neoliberal”. Auch deswegen ist der Weg zu einer wirklich wirtschaftskompetenten Partei, die ihren eigenen Anspruch des ordnungsökonomischen Konzeptes einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft gerecht wird, doch noch ein Stückchen weiter als viele in der Partei glauben.

CO2-Bepreisung – kurz und bündig

Meine persönliche (derzeitige) Präferenz bezüglich einer Bepreisung von CO2:

  1. Wegen der ökologischen Zielgenauigkeit wird das ETS-Modell im Grundsatz favorisiert (handelbare Emissionsrechte). Ein CO2-Reduktionspfad im Rahmen des noch verbliebenen CO2-Budgets erfordert eine solche Zielgenauigkeit bezüglich der Emissionsmenge. Da aber dessen Ausdehnung auf alle Sektoren sowie die europarechtliche Abstimmung relativ viel Zeit beansprucht, sollte übergangsweise eine CO2-Steuer eingeführt werden und zwar so zeitnah wie möglich.
  2. Öl, Kohle, fossiles Erdgas werden an der Quelle, d.h. bei der erstmaligen inländischen Transaktion besteuert, ähnlich wie das derzeit bei der Mineralölsteuer schon geschieht. Industrie, Stromerzeugung, Wohnen/Heizen und Verkehr werden dadurch automatisch erfasst, da alle fossilen Energieträger durch Steuerüberwälzung teurer werden. Der Steuersatz sollte bei mindestens 100 Euro/Tonne liegen, und dann sukzessive jährlich gesteigert werden. Damit liegt man in etwa auf dem Niveau der Schweiz oder Schwedens, die längst eine solche Steuer haben, und auch in der Nähe der Vorstellungen der Industrie (z.B. VDMA), die sich auf eine deutliche CO2-Bepreisung eingestellt hat.
  3. Im Gegenzug wird die Stromsteuer abgeschafft. Eine allgemeine Besteuerung von Strom unabhängig von der Art der Energiequelle ist nicht zielführend, zumal Strom eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielt. Aufgrund der zu erwartenden massiven Relativpreisänderung zuungunsten fossil erzeugten Stroms und entsprechender Nachfragelenkung auf Strom aus erneuerbaren Energien, wird deren Quersubventionierung durch EEG-Umlage nicht mehr nötig sein. Solange noch keine 100%-Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien vorhanden ist, wird die Überschussnachfrage nach grünem Strom zu ausreichend hohen Preisen führen, die zur zügigen Amortisation nötig sind.
  4. Die Steuereinnahmen fließen in einen Fonds, aus dem die Bürger den größten Teil als Steuerrückerstattung pro Kopf oder pro Haushalt erhalten. Dies sollte positive Verteilungswirkungen haben, da Geringverdiener in der Regel einen geringeren CO2-Fußabdruck haben. Jeder Bürger hat eine Steuernummer, welche technisch zur Rückerstattung verwendet werden könnte. Der Fonds sollte unabhängig von tagespolitischer Einflussnahme sein, um den Bürgern das Vertrauen zu geben, dass es sich eben nicht um eine Steuererhöhung handelt, sondern sich in der Summe das verfügbare Einkommen aller Haushalte nicht wesentlich ändert (ärmere Haushalte sogar profitieren). Diese nicht unberechtigte Sorge der Bürger, dass Steuereinnahmen letztlich nur fiskalische Begehrlichkeiten wecken und befriedigen, dürfte die wesentliche Erklärung für das schizophrene Umfrageergebnis sein, dass die große Mehrheit der BürgerInnen sich eine erheblich schärfere Klimapolitik wünschen, gleichzeitig aber eine CO2-Bepreisung ablehnen. Diese Inkonsistenz gilt es deutlich zu machen und zu überwinden. Eine Rückführung der Einnahmen auch als “Steuerrückerstattung” zu benennen statt “Klimadividende” oder “Energiegeld”, was eher an Transferleistungen eines gütigen Staates erinnert, wäre vielleicht hilfreich. Es signalisiert “Das steht mir zu!” statt “Mir wird eine milde Gabe zuteil.”
  5. Synthetisches Erdgas (Power2Gas), welches durch Extraktion von CO2 aus der Atmosphäre gewonnen wurde und deshalb klimaneutral ist, wird logischerweise nicht besteuert. Da derzeit technisch bedingt synthetisches Methan teurer ist als fossiles, sollte dadurch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit von Power2Gas deutlich schneller erreicht werden, möglicherweise sofort. Das bietet attraktive Investitionsmöglichkeiten in einen Bereich, der für die Energiewende dringend erforderlich ist. Da es sich bei Power2Gas letztlich um eine Form der Speicherung (nicht: Verbrauch) von Strom handelt, vorzugsweise von Strom aus einem temporären Überschussangebot, sollten hier nur der Strombörsenpreis anfallen.
  6. Die Besteuerung von Biokraftstoffen, die zwar ebenfalls klimaneutral sind, aber anderweitige ökologische Nachteile haben (etwa den enormen Flächenverbrauch zulasten der Nahrungsmittel­produktion), ist noch zu klären. Biokraftstoffe werden derzeit noch von der EU gefördert. Diese Subvention gehört, wie etliche andere fragwürdige Subventionen auch, überprüft bzw. abgeschafft.
  7. Andere klimaschädliche Emissionen wie z.B. Methan oder Lachgas werden in CO2-Äquivalente umgerechnet und ebenfalls besteuert (bzw. später in das ETS einbezogen). Das betrifft beispielsweise die Landwirtschaft oder durch Fracking gefördertes fossiles Erdgas (welches dann entsprechend teurer würde als konventionell gefördertes).
  8. In der Phase der CO2-Steuer werden wertvolle Informationen über Mengenreaktionen gesammelt, die in das adäquate Design eines allgemeinen ETS für alle Sektoren einfließen. Dieses ETS sieht vor, dass mit dem Erwerb von Öl, Kohle, fossilem Gas (also der Bemessungsgrundlage der Steuer) entsprechende Zertifikate zu erwerben sind. In der Zwischenphase können diejenigen Branchen, die schon jetzt Zertifikate erwerben müssen, sich den Erwerbspreis auf die Steuer anrechnen lassen, um eine verzerrende Doppel-Bepreisung zu vermeiden, so dass ein einheitlicher CO2-Preis entsteht, was für eine effiziente Klimapolitik wichtig ist.
  9. In einem späteren ETS soll es kein Grandfathering geben (keine anfängliche kostenlose Zertifikatsvergabe). Die Zertifikate sollen entweder versteigert werden, oder aber ein fester, jedoch im Zeitablauf steigender Ausgabepreis vorgegeben werden. Dies würde einen möglichst nahtlosen Umstieg vom Steuer- auf das ETS-System ermöglichen, indem der zuletzt gültige Steuersatz als Ausgabepreis oder als Mindestpreis der Auktion verwendet wird. Der anschließende Handel auf dem Sekundärmarkt erfolgt dann zum aktuellen Marktpreis. Dieser liefert wichtige Informationen zur Gestaltung des künftigen Ausgabepreises und der künftigen Mengenkürzungen (“caps”). Um sicherzustellen, dass bei der anfänglichen Zertifikatsversteigerung bzw. dem Verkauf nur Emittenten und nicht etwa finanzstarke spekulative Investoren zum Zuge kommen, könnten Zugangsregeln für den Primärmarkt erlassen werden.
  10. Ein Mindest- und Höchstpreis (Korridor) bei einem Zertifikatssystem ist nicht sinnvoll. Es gehen nicht nur wertvolle Informationen verloren, es entstehen auch adverse Anreizwirkungen. Fällt der Preis sehr stark, so ist das ein Indiz dafür, dass eine Substitution durch klimafreundliche Technologien erheblich einfacher und attraktiver geworden ist, so dass die Nachfrage nach Zertifikaten stark zurückgegangen ist. Das ist gut! Zwar stimmt das Argument, dass dann ältere “dreckige” Anlagen wieder wirtschaftlicher werden. Allerdings nur vorübergehend, weil der Preisverfall im Folgejahr zu einem entsprechend strikterem Cap, also einer stärkeren Verknappung führen wird. Außerdem bleibt ja stets garantiert, dass die Emission die vorgegebene Gesamtmenge nicht überschreitet, selbst wenn ältere Anlagen vorübergehend mehr produzieren. Würde man einen Mindestpreis bei unverändeter Zertifikatsmenge setzen, so würden diejenigen Anbieter, die CO2 eingespart haben und bereits gekaufte Zertifikate nicht mehr brauchen, dadurch bestraft, dass sie für diesen Mindestpreis wahrscheinlich keinen Käufer finden werden (künstliches Überschussangebot, d.h. Rationierung von Anbietern). Das wiederum kann Spekulanten auf den Plan rufen, die die überschüssigen Zertifikate zum Mindestpreis aufkaufen, um sie ggf. später zu höheren Preisen verkaufen zu können. Gelingt diese Spekulation, so werden Renten aus dem Markt extrahiert, was nicht effizient ist. Alternativ könnte der Staat allerdings Zertifikate vom Markt wegkaufen, bis der minimale Zielpreis erreicht ist. Bei einem Höchstpreis gibt es ebenfalls adverse Reaktionen: Diejenigen Firmen, die dringend Zertifikate brauchen und einen höheren Preis zu zahlen bereit wären, erhalten keines (Überschussnachfrage). Sie werden rationiert und können somit nicht produzieren. Es läuft letztlich auf ein Produktionsverbot hinaus, welches zufällig jene Unternehmen trifft, die nicht schnell genug waren, sich rechtzeitig mit Zertifikaten einzudecken. Das wirkt ähnlich wie eine Enteignung. Dies ließe sich nur vermeiden, wenn zum Höchstpreis die entsprechend nachgefragte Zertifikatsmenge ausgegeben würde, was der CO2-Steuerlösung entspräche. Dann aber entfällt der zentrale Sinn der Zertifikatslösung, nämlich die Mengenentwicklung entsprechend des verbleibenden CO2-Budgets steuern zu können.

    Die Absicht hinter Mindest- und Höchstpreisen ist, eine relativ stabile Preisentwicklung zu erhalten, die die Unsicherheit der Investoren reduzieren soll, die langfristig planen. Dazu ist zu sagen, dass auch bisher schon Unternehmen mit der Volatilität von Rohstoffpreisen umzugehen hatten. Das ist in einer Marktwirtschaft nichts Ungewöhnliches. Es ist rührend, wenn dem Staat jetzt einfällt, dass man Investoren Planungssicherheit verschaffen möchte, die es sonst auf Rohstoffmärkten nicht gibt. Außerdem wird übersehen, dass es Hedging-Instrumente wie options und futures auf Zertifikate gibt, die ein Risikomanagement ermöglichen. Die Reduktion von Unsicherheit betrifft im Übrigen auch Investitionen in fossile Technologien. Worauf sich allerdings alle Marktteilnehmer 100%ig verlassen können ist, dass das Angebot an Zertifikaten systematisch knapper wird, mit dauerhaft sinkenden Preisen also nicht zu rechnen ist. Das sollte eigentlich genügen, um einen Bias in Richtung Investition in klimaneutrale Technologien zu bewirken.
  11. Die Einnahmen aus der Zertifikatsvergabe fließen dann in denselben Fonds wie zuvor die CO2-Steuer, und sie werden ebenso den Bürgern pauschal wieder zurückgegeben. Es muss deutlich werden, dass es sich hier um eine Maßnahme zur Korrektur des Preissystems handelt (“Preise müssen ökologische Wahrheit sagen”) und nicht um die fiskalischen Interessen des Staates. Für letztere ist eine Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeits­prinzip vorgesehen, aber nicht die Maßnahmen zur Internalisierung externer Effekte.
  12. Vom jetzigen Zeitpunkt an ist die für das 1.5-Grad-Ziel tolerierbare Menge (“CO2-Budget”) bekannt. Während der Phase der CO2-Steuer wird dieses in nicht voraussehbarer Weise teilweise aufgebraucht. Beim Umstieg auf ein allgemeines ETS kann dann das restliche Budget zielgenau über die Zeit verteilt werden. Wann genau inn welchem Sektor eine vollständige Dekarbonisierung erfolgt, ist dabei unwichtig, solange man sich an die CO2-Budgetrestriktion hält. Dieser Pfad hängt stark von der technologischen Entwicklung ab, die der Staat im vorhinein nicht kennen kann. Allerdings sollte der Staat klimaneutrale Technologien und entsprechende FuE fördern, ÖPNV ausbauen etc., damit die erforderliche Substitution überhaupt stattfinden kann, die der CO2-Preis ja bewirken soll. Eine Vorgabe fester Quoten für bestimmte Sektoren steht der Logik einer CO2-Bepreisung entgegen: CO2 soll ja in erster Linie dort vermieden werden, wo es einfach möglich und daher billig ist. Wer sich in wenigen Jahren noch eine Ölheizung oder einen PkW mit Benzin-/Dieselmotor kauft, kann jetzt schon wissen, dass der Betrieb wahnsinnig teuer werden wird und mit einer Amortisation nicht mehr zu rechnen ist.
  13. Sowohl bei der CO2-Steuer als auch beim Zertifikatehandel ist das Problem der internationalen Preisverzerrung zu lösen. Heimische Anbieter CO2-intensiver Produkte werden einen komparativen Nachteil haben, entsprechende Industrien drohen abzuwandern, die Emissionen finden dann anderswo statt. Dementsprechend ist der (geschätzte) CO2-Gehalt importierter Güter nachzubesteuern (“carbon border adjustment tax”). Es handelt sich dabei ausdrücklich nicht um einen Zoll, sondern um eine Maßnahme steuerlicher Gleichbehandlung und sollte deshalb WTO-konform sein. Sowohl technisch-administrativ als auch europarechtlich ist das jedoch außerordentlich kniffelig. In diese Richtung muss aber dringend weitergedacht werden.
  14. Eine länderübergreifende Harmonisierung von CO2-Steuern mag wünschenswert sein, aber mit Wünschen kommt man nicht schnell genug nicht weit genug. Wichtiger ist eine mittel- bis längerfristige Ausdehnung des ETS auf andere Länder, insbesondere solche, die intensiv über Wertschöpfungsketten miteinander verbunden sind. Da es der Atmosphäre egal ist, wo genau die Emission stattfindet bzw. vermieden wird, kann und sollte es auch einen grenzüberschreitenden (regulierten) Zertifikatehandel geben. Da es sich um ein homogenes Gut handelt, gäbe es im Idealfall einen global einheitlichen Zertifikatspreis. Auf steuerliche Ausgleichsmaßnahmen an der Grenze kann in dem Umfang verzichtet werden, wo die Handelspartnerländer ein entsprechendes ETS (oder Steuer) eingeführt haben.
  15. Freihandelsverträge sollten genutzt werden um massiv auf CO2-Bepreisungen bei Handelspartnern hinzuwirken, also bspw. die Einführung eines integrierten ETS zur Voraussetzung für Handelserleicherungen zu machen (entsprechend Nordhaus‘ Vorschlag des „Clubs der Willigen“). Da künftig das weitaus größte Potenzial der CO2-Reduktion nicht in Deutschland (und auch nur sehr begrenzt in Europa) liegt, sondern vor allem bei den Schwellenländern, ist die Nutzung von Freihandelsverträgen zur Förderung einer möglichst weltweiten CO2-Bepreisung möglicherweise die wichtigste Klimaschutzmaßnahme überhaupt. Die Abhängigkeit der heimischen Wirtschaft von globalen Wertschöpfungsketten kann also gerade eine Chance darstellen, dass die Bedingung sich in eine Klimaschutzstrategie einbinden zu lassen, von vielen Ländern akzeptiert werden wird.

Die Rede von der “guten Balance zwischen Ökonomie und Ökologie”

Diese Sentenz findet sich häufig in der politischen Debatte. Sie soll Ausgewogenheit, Realismus und Kompromissbereitschaft signalisieren. Man nimmt ökologische Ziele durchaus sehr ernst, sieht aber auch ökonomische Realitäten und versucht eine vernünftige Abwägung, da man ja auch an Dinge wie Wettbewerbsfähigkeit, Jobs, soziale Ausgewogenheit und dergleichen denken müsse. Schließlich müsse ja alles, was man “für die Umwelt” tue, ja auch “finanziert” werden.

Mich wundert, dass solche Sichtweisen als Ausweis wirtschaftlicher Vernunft gelten, denn sie beruht auf einer Konfusion von Ziel und Mittel (Restriktionen) und infolgedessen einem Fehlverständnis von Güterabwägung und Effizienz. Die Umwelt ist nicht Ziel, sondern Mittel. Wirtschaftliche Prozesse welcher Art auch immer können auf Dauer nur stattfinden, wenn sie ökologische Restriktionen respektieren. Eine zeitlang kann man diese Restriktionen überschreiten, also mehr Ressourcen extrahieren oder die Umwelt als Senke für Emissionen aller Art verwenden als nachhaltig ist, aber eben nicht auf Dauer. Hinsichtlich des Klimas wird überdeutlich, dass das Ende der tolerierbaren Überschreitung ökologischer Restriktionen gekommen ist. Klima- und Umweltschutz sollten deshalb gerade nicht als Ziel unter mehreren anderen Zielen angesehen werden, sondern als Bestrebung, wirtschaftliche (und andere) Ziele innerhalb und nicht außerhalb der ökologischen Restriktionen zu erreichen. Letztere können wir uns nicht aussuchen. Wenn beim Einkaufen im Supermarkt an der Kasse das Geld nicht ganz reicht, wird man sich auch nicht damit rausreden können, der/die Kassierer/in müsse doch einsehen, dass man eine “ausgewogene Balance” zwischen seinen Konsumwünschen und dem (nicht) vorhandenen Geld im Portemonnaie anstrebe.

Es ist deshalb logisch-konzeptionell schwer nachvollziehbar, was denn ein “Kompromiss” zwischen ökonomischen und ökologischen Zielen, oder ein “Ausgleich von Ökonomie und Ökologie” sein soll. Es ist eine wohlklingende Phrase, von der ich mir wünsche, dass sie ihr Ziel, ökonomische Kompetenz zu signalisieren, verfehlt.

Solange die Menschen wirtschaftliche Ziele schon seit vielen Jahrzehnten auf eine Art und Weise erreichen, die ökologisch nicht nachhaltig ist, sie also quasi ökologisch “auf Kredit” wirtschaften, ist das Jammern über die hohen “Kosten des Umwelt- und Klimaschutzes” unverständlich. Die enormen akkumulierten externen Kosten der Vergangenheit plus die abdiskontierten zukünftigen externen Kosten – also die Kosten des unterlassenen Umwelt- und Klimaschutzes – stellen alles in den Schatten, was auch die ambitioniertesten Klimaschutzprogramme an Ausgaben erfordern. Da sich diese gewaltigen externen Kosten aber bislang fast nicht in den Preisen widergespiegelt haben, hat sich eine Illusion von Wohlstand aufgebaut. Jetzt geht es bildlich gesprochen an die Rückzahlung des ökologischen Kredites und das Geschrei ist groß. Natürlich ist es völlig richtig, dass man zur Einhaltung der Klimaschutzziele ökonomisch “effizient” vorgehen sollte, aber das fällt der Menschheit nun reichlich spät ein. Für eine intertemporal effiziente Strategie hätte man spätestens vor 50 Jahren anfangen sollen.

Entkopplung wirtschaftlicher Aktivität vom Umweltverbrauch, massiver technologischer und struktureller Wandel, Veränderung von Konsummustern usw., möglicherweise auch der eine oder andere Verzicht, falls das mit dem technischen Fortschritt und der Entkopplung nicht so schnell klappt wie es nötig wäre, all das kann man ja auch als “sportliche Herausforderung” sehen denn als ökonomische Bedrohung, um den ökologischen Überziehungskredit (ökolog. Fußabdruck größer als biologische Kapazität) abzubezahlen – kurz bevor der Insolvenzverwalter klopft.

Klimaschutz: “Es sind doch nur 2%…”

Immer und immer wieder liest man von VertreterInnen unterschiedlicher Parteien, JournalistInnen, und natürlich unzähligen Twitter-NutzerInnen, dass Deutschland ja lediglich für 2% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich sei, es also völlig naiv sei zu glauben, “wir” könnten das Klima “retten”. Andere Länder, allen voran China, würden derzeit und vor allem zukünftig eine bedeutend größere Rolle bei den Emissionen spielen und seien deshalb in viel größerer Verantwortung als Deutschland. Manchmal wird dann hinzugefügt – bei anderen schwingt das Argument aber zwischen den Zeilen mit – dass es deshalb völlig unverhältnismäßig sei, dass man hier in Deutschland radikale Klimaschutz-Maßnahmen beschließt, die hier zu hohen Kosten und drohender De-Industrialisierung führen, wenn das doch am Ende global keinen nennenswerten Effekt hat. Kürzlich hat auch Dieter Nuhr diese Argumentationsfigur kolportiert, das Publikum klatschte.

Dazu ein paar Anmerkungen:

  • Rhetorisch gesehen ist diese Argumentation eine klassische straw man fallacy. Absolut niemand, der sich ernsthaft oder sogar wissenschaftlich mit Klimaschutzpolitik beschäftigt und darüber publiziert, behauptet, dass Deutschland im Alleingang das Weltklima retten könne. Auch die Forderung von Fridays for Future, dass “wir” radikale Maßnahmen gegen den Klimawandel ergreifen müssen, muss man vor dem Hintergrund sehen, dass es sich um eine global vernetzte Aktion von SchülerInnen handelt, man also dieses “wir” als etwas Globales sehen muss, und sich die Forderungen gleichermaßen an alle Regierungen richtet. KlimaschützerInnen wird hier eine Naivität unterstellt, für die es empirisch kaum Belege gibt. KlimaforscherInnen und auch die große Mehrheit der ÖkonomInnen kritisieren das “Klimapaket” der Bundesregierung, insbesondere den minimalen CO2-Preis als unzureichend. Sind all diese Leute naiv oder uninformiert über den geringen globalen CO2-Anteil von Deutschland? Rhetorische Frage natürlich.

  • Es gibt auch Personen, die bezweifeln, dass es nur 2% sind, weil doch über die globalen Produktionsketten der Konsum in Deutschland ja auch CO2-Emissionen anderswo induziert. Das ist zwar im Kern ein valides Argument, aber empirisch kaum ins Gewicht fallend: Der Carbon Footprint des Konsums ist zwar etwas höher als der der Produktion, aber in überschaubarer Größenordnung. Wenn wir also großzügig den Effekt einpreisen und auf 2.1% kommen, liegen wir noch im Bereich des statistischen Fehlers.

Wozu soll es also gut sein, wenn Deutschland trotz der “nur 2%” mit einer drastischen ambitionierten Klimaschutzpolitik vorangeht? Vorangestellt sei zunächst ein simples politisches Argument: damit “wir” den bereits eingegangenen Verpflichtungen z.B. aus dem Paris-Abkommen nachkommen, d.h. die selbst gesteckten Ziele, auf die sich Deutschland verpflichtet hat, zu erreichen. Das ist allerdings kein sachbezogenes Argument, welches die eingangs dargestellte Argumentationsfigur entkräftet. Es ist völlig richtig, dass die Einhaltung des 1.5-Grad-Ziels nur gelingen kann, wenn wenigstens die G20-Länder gemeinsam eine konsequente Klimaschutzpolitik betreiben. Warum also beherzt hier damit beginnen?

  • Häufig wird auf die Vorbildfunktion verwiesen. Nun könnten auch andere Länder mit viel größerem CO2-Anteil diese Funktion erfüllen. Es geht hier nicht nur – und m.E. auch nur am Rande – um eine moralische Vorbildfunktion, sondern vielmehr darum zu zeigen, dass ökonomisch und technisch hoch entwickelte Volkswirtschaften in der Lage sind, Produktion und Konsum zu dekarbonisieren, und Wohlstand auch ohne ständigen Input fossiler Rohstoffe zu erzeugen. Es ist ein proof of concept, welches zeigt: Wenn das auf unserem hohen Wohlstands-Level funktioniert, dann funktioniert es in derzeit weniger entwickelten Volkswirtschaften auch. Das technologische Wissen ist vorhanden und replizierbar. Wer sollte dieses entwickeln können, wenn nicht die reicheren Länder? Man kann ärmeren Ländern wohl kaum verwehren, das Wohlstandsniveau der OECD-Länder erreichen zu wollen. Also muss man zeigen können, dass dies mit weniger und schließlich gar keinen fossilen Rohstoffen möglich ist.
  • Die meisten VertreterInnen der eingangs dargelegten Argumentationsfigur sind ja keine Klimawandelleugner und sehen durchaus die Notwendigkeit, dass etwas getan werden muss. Dann jedoch erkennt man an, dass es früher oder später zwangsläufig zu starken technologischen Veränderungen, Strukturwandel und ökonomischen Anpassungen kommen wird. Je früher man versucht, in relevanten Feldern eine technologische Spitzenposition einzunehmen und Strukturwandlungsprozesse einzuleiten, Relativpreissysteme anzupassen usw. desto besser. Agiert man hier zu langsam, werden die Anpassungskosten in der Zukunft umso größer sein, man verliert technologische Führungspositionen, wie das in Deutschland bereits im Bereich der Photovoltaik zum großen Teil geschehen ist: fast unbemerkt sind zigtausende Arbeitsplätze in dieser Branche verloren gegangen und nach China verlagert worden, weil sich dort das FuE- und Investitions-Engagement im Bereich Photovoltaik immens gesteigert hat, während man in Deutschland eher auf die Bremse trat. Hier hat also bereits eine De-Industrialisierung stattgefunden, aber nicht wegen einer übertrieben radikalen Klimaschutzpolitik, sondern wegen einer zu unambitionierten. Die VertreterInnen der Eingangsthese haben beim Stichwort der De-Industrialisierung vermutlich immer die alten Industrien wie Kohle oder Automobil im Blick. Das ist sehr strukturkonservativ (und daher nicht wirklich marktwirtschaftlich) gedacht und verkennt zudem die Chancen eines Strukturwandels, der ohnehin kommen muss.
  • VertreterInnen der Eingangsthese geben sich gerne marktwirtschaftlich und kritisieren (oder verspotten) die oft anti-kapitalistische Haltung vieler Fridays for Future AktivistInnen. Zugegeben, letztere halte auch ich für kontraproduktiv, weil es die richtige Forderung nach einer wirksamen Klimapolitik unnötigerweise mit einem ideologischen Überbau versieht, der leicht angreifbar ist. Was mich viel mehr erstaunt ist, dass kaum jemand darauf hinweist, wie wenig marktwirtschaftlich die Denkweise hinter der Eingangsthese eigentlich ist. Es wird betont, welche Unsummen all dieser Klimaschutz kostet – Kosten, die andere Länder nicht in dem Maße auf sich zu nehmen bereit sind, so dass Deutschland einen Nachteil erleide und Jobs gefährde.
    Zunächst ist festzuhalten, dass der Kostenbegriff falsch ist. Der in der Vergangenheit und auch heute unterlassene Klimaschutz verursacht bereits jetzt und vor allem in der Zukunft extrem hohe (sog. “externe”) Kosten. Diese spiegeln sich aber nicht in den Preisen wider, die wir für alles bezahlen, was mit fossilen Rohstoffen zusammenhängt. Anders gesagt: Autofahren ist bereits jetzt wahnsinnig teuer, aber die Autofahrer merken das gar nicht an der Tankstelle. Das Preissystem ist unvollständig, somit verzerrt, d.h. nicht die Knappheiten widerspiegelnd, und führt folglich nicht zu einer effizienten Verwendung sowohl der natürlichen Ressourcen als auch von Kapital und Arbeit. Das ist simples VWL-Basiswissen. Das nächste Missverständnis ist, dass nur auf die Dinge geschaut wird, die durch eine drastische CO2-Bepreisung teurer werden, die Kaufkraft des eigenen Einkommens also sinken lässt. Folgt man der dringenden Empfehlung vieler Ökonomen und gibt die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung umgehend an die Bevölkerung zurück (z.B. per Kopfpauschale), so ändert sich das verfügbare Einkommen eben nicht (zudem erhält man positive Umverteilungseffekte als Nebenwirkung, es ist also “sozial”). Lediglich die Relativpreise ändern sich, und das ist auch der Sinn der Sache. Teil der Einnahmen aus der CO2-Bepreisung können investiert werden, es sollen somit neue Jobs in neuen zukunftsfesten Industrien entstehen. Diese Maßnahmen fördern und flankieren einen Strukturwandel, der im Zuge einer Dekarbonisierung zwangsläufig stattfinden muss. Hier von einer “De-Industrialisierung” zu sprechen, also den Fokus nur auf bestimmte bestehende Industriezweige zu richten, ist strukturkonservativ und unterschätzt die Fähigkeit marktwirtschaftlicher Systeme, auf die Änderung von Relativpreisen zu reagieren, also die Produktionsfaktoren in zukunftsfähigere Sektoren zu lenken. Der Staat kann dabei behilflich sein, ohne allerdings zu sehr technologische oder strukturelle Vorgaben zu machen. Dieser Strukturwandlungsprozess, der in neuen Branchen große Wachstumschancen (ja, “Wachstum”) eröffnet, sollten marktwirtschaftlich gesinnte Menschen als große Chance denn als Bedrohung auffassen.
  • Derzeit werden rein quantitativ die größten Investitionsanstrengungen im Bereich Erneuerbare Energien in China unternommen. Dort sind tausende Arbeitsplätze entstanden, von denen sehr viele zuvor in Deutschland verloren gegangen sind. Und die richtige klimapolitische Strategie soll etwa sein, weiterhin nur Trippelschritte zu machen und einem autoritären Regime die Gelegenheit zu geben der Welt zu demonstrieren, wie man eine gigantische Volkswirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit trimmt? Da so oft vom “Systemwettbewerb” im Zusammenhang mit China die Rede ist, so wäre es doch naheliegend zu zeigen, dass gerade flexible Märkte mit innovativen UnternehmerInnen innerhalb von Spielregeln und wirtschaftspolitischen Maßnahmen, auf die man sich in liberalen Demokratien geeinigt hat, dies mindestens genauso gut können. Egal, ob Deutschland “nur” 2% zur globalen Emission beiträgt oder nicht.
  • Schließlich verweist das Argument von den “nur 2%, die global nicht ins Gewicht fallen” auf ein recht nationalstaatliches Denken: Die Nationalstaaten stehen sich in einem Gefangenen-Dilemma gegenüber, bei dem die Nash-Lösung leider ineffizient ist, und keiner einen Anreiz hat, den ersten Schritt zu einer kooperativen Lösung zu gehen. Die Lehre, die man daraus ziehen sollte, ist allerdings die dringende Notwendigkeit multilateraler Bemühungen. Dabei geht es nicht nur um eine gemeinschaftliche Bindung an Ziele wie beim Paris-Abkommen, das allerdings keinerlei effektive Sanktionsmechanismen vorsieht. Statt sich passiv in den Sessel zurückfallen zu lassen, weil es aus diesem Dilemma kein Entrinnen gibt, sollte das eher der Ansporn zur Suche nach effektiven Lösungen (game changing rules) sein. Und hier spielt gerade die enorme globale Verflechtung von Produktionsketten und Handelsabkommen eine wichtige Rolle. Man kann entweder beklagen, dass die Globalisierung und Einbettung in zahlreiche Handelsverträge ein nationalstaatliches Handeln praktisch unmöglich macht (“golden straightjacket”). Man kann aber auch darüber nachdenken, eben gerade diese Verflechtung zu nutzen um Handelsverträge als Vehikel für eine gemeinsame verbindliche Klimapolitik zu nutzen, also nicht bloß ein formales Bekenntnis zum Paris-Abkommen in die Präambel zu schreiben. Die Entwicklung integrierter Emissionsrechtehandelssysteme etwa, oder Modalitäten für Carbon Border Adjustments bei einer CO2-Bepreisung, oder das Verbot von Investorenklagemöglichkeiten gegen verschärfte Klimaschutzmaßnahmen, das Abhängigmachen von Handelserleichterungen von der Einhaltung bestimmter ökologischer Produktionsstandards usw. – all das kann zu einem Vehikel werden, wie ambitionierte Klimaschutzpolitik via Handelsverträgen Druck ausübt, dass andere Länder nachziehen.

    Dies ist allerdings ein großer Schwachpunkt in der Debatte, denn die zwingend nötige Verknüpfung von Klimapolitik und Handelspolitik (denn die Zeit drängt) wird kaum diskutiert. Leider auch nur selten von denjenigen, die das Eingangsstatement von den “nur 2%” brüsk zurückweisen. Konkrete Wege, wie daraus weit mehr als nur 2% werden könnten, und zwar ganz simpel über ökonomische Anreize, haben auch viele VertreterInnen einer radikaleren Klimaschutzpolitik in Deutschland leider nicht aufgezeigt. Eine entsprechende Nachverhandlung und Neukonzeption des EU-Mercosur-Abkommens wäre da zum Beispiel ein zukunftsweisender Schritt. Vielleicht könnten diejenigen PolitikerInnen, die derzeit ihre Tagesfreizeit dazu nutzen, um sich über Greta Thunbergs Mimik oder den persönlichen Lebensstil jugendlicher KlimaaktivitInnen auszulassen, ihre kostbare Lebenszeit produktiveren Verwendungsmöglichkeiten zukommen lassen.

CO2-Bepreisung: Steuer oder Zertifikatslösung?

Praktisch alle Ökonomen sind sich einig, dass sich das Klimaproblem in einer Marktwirtschaft nur lösen lässt, wenn CO2 einen Preis hat, externe Kosten also internalisiert werden. Das zeigt u.a. die Erklärung von über 3500 ÖkonomInnen, darunter 27 Nobelpreisträger und (ehemalige) Zentralbankchefs. Auch der Sachverständigenrat und führende Industrieverbände sprechen sich dafür aus. Die ökonomischen Grundlagen sind so simpel, dass sie an dieser Stelle nicht ausgeführt werden brauchen, und sie sind seit Jahrzehnten bekannt und ihre Anwendung wird ebenso lange schon gefordert. Weniger Einigkeit besteht darüber, in welcher Form CO2 bepreist werden solle: CO2-Steuer oder handelbare Emissionszertifikate. Unter idealen ökonomischen Bedingungen sollten beide Lösungen zum selben Resultat führen. Jedoch sind die Bedingungen nie ideal, und eine äquivalente Ausgestaltung setzt Wissen voraus, das der Staat nicht haben kann. Der Streit darüber, welcher Lösung der Vorzug zu geben ist, verzögert die Lösung des Problems, für dessen Bewältigung wir nur ein recht knapp bemessenes Zeitfenster haben. Da nach der politökonomischen Logik derzeit alle Parteien ein Interesse daran haben, ihre klimapolitische Kompetenz herauszustellen, bietet es sich an, sich vom politischen Gegner zu unterscheiden, also genau die Lösung zu präferieren, die der Gegener gerade nicht präferiert. Möglichst schnell einen Kompromiss zu finden, wird als Schwächung des eigenen Profils angesehen. Daher folgender unverkrampfter Blick auf beide Lösungsansätze.

Für den Strommarkt und spezielle Industriebereiche gibt es schon seit langem den CO2-Emissionszertifikatehandel. Wer in einem bestimmten Zeitraum CO2 emittieren will (bzw. muss), muss sich die Erlaubnis dazu erst kaufen. CO2 erhält dadurch einen Preis. Anfänglich hatte dieses System konzeptionelle Probleme, was zu einem viel zu geringen Preis führte, der kaum Anreizwirkung zur Emissionsvermeidung entfaltete. Durch Senkung der Zertifikatsmengen in den Folgezeiträumen und Übergang zur Versteigerung bei der Erstausgabe (statt “grandfathering”) ist der Preis zwar deutlich gesteiegen, jedoch immer noch gering im Vergleich zu dem, was Ökonomen für angemessen halten. Nun könnte sich dies aber ändern, wenn das Zertifikatsmodell auf alle Sektoren (Industrie, Verkehr, Wohnen, Landwirtschaft) ausgedehnt, und die ausgegebene Zertifikatsmenge konsequent und deutlich jede Periode reduziert wird. Die Vorteile dieses Konzeptes sind: (a) Die CO2-Menge ist – im Gegensatz zur Steuerlösung – gut prognostizierbar und steuerbar. Hinsichtlich der ökologischen Treffsicherheit ist das ein großer Vorteil. (b) Die Zertifikate können nach dem Ersterwerb gehandelt werden. Der Preis richtet sich (zumindest unter idealen Bedingungen) nach den marginalen CO2-Vermeidungskosten. Das bedeutet, dass die Zertifikate dorthin gehen, wo die Vermeidungskosten und somit die Zahlungsbereitschaft für Zertifikate hoch sind, die Emissionsvermeidung also dort stattfindet, wo sie am kostengünstigsten ist. Das ist volkswirtschaftlich sinnvoll. Gleichzeitig hat dies den Nachteil, dass die Preise fluktuieren und für längerfristige Investitionen keine verlässliche Basis darstellen. Allerdings sind sich ändernde Preise in einer Marktwirtschaft normal, dies stellt also keinen außergewöhnlichen Nachteil dar. Allerdings können Preise auch durch spekulative Aktivitäten getrieben werden, so dass Rentenextraktion möglich ist. Großinvestoren könnten sich z.B. mit Zertifikaten eindecken, die sie selbst nicht benötigen, und erst dann zu Spitzenpreisen verkaufen, wenn andere darauf dringend angewiesen sind.

Bei einer CO2-Steuer ist dagegen ein einheitlicher CO2-Preis fest vorgegeben, hingegen ist der Mengeneffekt unsicher. Dieser hängt von sich ggf. ändernden Preiselastizitäten der Nachfrage, also z.B. auch von den Ausweich- bzw. Substitutionsmöglichkeiten ab. Je geringer diese sind, desto kleiner ist der Mengeneffekt, und die ökologische Lenkungswirkung ist beeinträchtigt. Um dieselbe Mengenwirkung zu erzielen wie die Zertifikatslösung, müsste der Staat über ein enormes Wissen bezüglich all dieser Anpassungsprozesse verfügen. Der Vorteil einer Steuer ist allerdings, dass ihre Logik sehr einfach nachvollziehbar ist und eine Steuerharmonisierung oder entsprechende border taxes bei Importen von CO2 beinhaltenden Waren aus Ländern ohne CO2-Bepreisung leicht möglich ist. Bei einem Zertifikatsmodell wäre hingegen zu klären, an was sich solche border taxes denn orientieren sollten.

Daneben gibt es noch einen weiteren Aspekt, wenn man eine europäische Lösung anstrebt: Steuerrecht ist Ländersache, hier hat die EU wenig Handhabe. Das Zertifikatsmodell ist aber bereits ein europäisches Modell, welches „nur“ auf alle Sektoren ausgedehnt werden müsste. Das wiederum hat den Nachteil, dass solche Einigungsprozesse in Europa recht lange dauern, während sich eine nationale Steuerlösung ggf. zügiger implementieren ließe. Ein parallele Kombination aus Zertifikats- und Steuermodell ist jedoch eine Chimäre, die zu Diskriminierung führt: Je nach Sektor ist mal nur eine Steuer, mal ein Zertifikatskauf plus Steuer fällig, es sei denn, man erlaubt eine Anrechnung des Zertifikatspreises auf die Steuerzahlung, was das Modell ziemlich kompliziert macht.

Ein oft genannter verteilungspolitischer Nachteil der Steuer ist auf den ersten Blick, dass alle Waren entsprechend ihres CO2-Gehaltes bei Produktion oder Konsum teurer werden, was vor allem für ärmere Haushalte problematisch ist. Strom, Kraftsstoff, Wärme – alles wird teurer, ohne dass diese Haushalte dem ausweichen können. Deshalb schlagen alle seriösen CO2-Steuermodelle vor, die Steuereinnahmen an die Bürger so zurückzugeben, dass solche Verteilungsprobleme nicht auftreten. Im Fall eines Pauschaltransfers pro Kopf dürften ärmere Haushalte sogar finanziell besser dastehen als beim Status Quo. Reichere Haushalte, wo z.B. deutlich mehr Flugreisen anfallen, wären relativ schlechter gestellt. Der angebliche Nachteil, dass eine CO2-Steuer “die Falschen träfe”, ist also nicht haltbar. Der Sinn der Besteuerung ist allein die Relativpreisänderung zwekcs Internalisierung, nicht das fiskalische Ziel. Daher ist eine Rückgabe an die Bürger unabdingbar. Ein Pauschale pro Kopf oder pro Haushalt hat den Vorteil, dass dadurch die einzelwirtschaftlichen Dispositionen nicht verändert werden, der Rücktransfer der Steuereinnahmen die Allokation also nicht verzerrt. Ein entscheidendes Problem ist jedoch, wie der Staat sich glaubwürdig an eine Regel binden kann, nach der “automatisch” die Einnahmen aus der Steuer sofort zurückgegeben werden, also die Begehrlichkeiten des Fiskus keine Rolle mehr spielen können. Häufig sind Vorschläge zu lesen, welche sozialen und ökologischen Projekte mit etwaigen CO2-Steuereinnahmen alles finanziert werden könnten. Solche Vorschläge sind verständlich und gut gemeint, verdeutlichen aber, wie groß die Begehrlichkeiten sind und wie wichtig eine regelgebundene Rückgabe der Steuer an die Bürger ist. Bei dieser Debatte wird gern übersehen, dass dasselbe Problem auch beim Zertifikatsmodell besteht: Die Einnahmen aus der Versteigerung bzw. dem Verkauf der Zertifikate gehen an den Fiskus. Die Zertifikatspreise verteuern – wie die Steuer – die Produkte, und der Fiskus freut sich über Einnahmen, die rechtlich allerdings keine Steuereinnahmen sind. Die ökonomische Wirkung, auch hinsichtlich der Verteilung, hängt aber nicht davon ab, wie die Einnahmen des Staates benannt werden.

Eine Idee ist nun, beide Modelle wie folgt zu kombinieren: Die Zertifikate mit einer Laufzeit von 1-2 Jahren werden auf dem Primärmarkt zu einem Festpreis pro Tonne und Jahr verkauft. Ausnahmslos alle Sektoren, die CO2 (-Äquivalente) emittieren, müssen Zertifikate nachfragen. Damit wäre CO2 völlig äquivalent zu einer Steuer einheitlich bepreist. Die Zahl der Zertifikate ist jedoch fix und wird jährlich bzw. zweijährlich reduziert. Während dieser Zeit können die Zertifikate zu Marktpreisen gehandelt werden mit der Folge, dass CO2 am ehesten dort eingespart wird, wo es am billigsten ist. Der Ausgabepreis ist dann maßgeblich für eine border tax für unbepreiste CO2-Importe in Gestalt von gehandelten Waren. Die Einnahmen aus dem Zertifikateverkauf an der Börse wird – z.B. über die Finanzämter – automatisch an die Bürger zurückgegeben, also gar nicht erst in einem Haushalt verplant. Dies könnte ein für die Bürger glaubwürdiger Mechanismus sein, so dass sie wissen, dass das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte durch diese Maßnahme nicht reduziert wird.

Nebenbei: Es ist selten eine gute Idee, eine Steuer, die zur Finanzierung von Aufgaben fiskalisch ergiebig und relativ stabil sein soll (z.B. Zahlung einer Grundrente), an eine Bemessungsgrundlage zu knüpfen, deren Schrumpfung gerade das erklärte Ziel eben dieser Steuer ist. Da bei Lenkungssteuern reine Relativpreiseffekte angestrebt werden, sollte man, allein schon um die Akzeptanz der Bürger zu sichern, die Einkommenseffekte neutralisieren, indem die Einnahmen automatisch an die Bürger zurückgegeben werden. Wie man dies institutionell glaubwürdig verankern kann, ist derzeit noch zu wenig diskutiert worden.

Ist die nachgefragte Menge beim initialen Verkauf der Zertifikate zu gering, so kann anschließend der Marktpreis an der Börse nicht oberhalb des Ausgabepreises liegen. Für den Staat wäre das ein Indikator, dass Vermeidung von CO2-Emissionen kostengünstiger ist als gedacht, und weniger Emission geplant sind als rechtlich zulässig gewsen wären. Die Nichtnutzung von Zertifikaten wäre ökologisch zu begrüßen, der Staat könnte dann in der nächsten Runde eine entsprechend drastischere Senkung der Zertifikatsmenge anstreben. Im Fall einer Überschussnachfrage hingegen stellt der Ausgabepreis eine Untergrenze dar, es sei denn, im Verlauf der Periode gelingt es der Wirtschaft, die Emissionen und somit den Bedarf an Zertifikaten zu senken. In dem Fall ist ein geringer Preis kein Grund zur Besorgnis, denn das quantitative Vermeidungsziel wurde ja eingehalten, und der niedrige Preis zeigt an, dass in der Folgeperiode ehrgeizigere Einsparziele (durch verminderte Zertifikatsausgabe) möglich sind. Bei einer initialen Überschussnachfrage kann man natürlich überlegen, den Ausgabepreis zu erhöhen oder doch wieder auf ein Auktionsverfahren überzugehen. Alternativ kann auch eine Zuteilung der nachgefragten Mengen mit einem Abschlag erfolgen.

Wie ist ein Mindestpreis für Zertifikate zu beurteilen, wie ihn einige vorschlagen? Ziel ist, Preise stabil und hoch zu halten und somit die Planungsgrundlage zu verbessern. Zunächst kann man erwidern, dass der Staat, wenn er denn das Ziel eines Mindespreises hat, jederzeit gerne Zertifikate vom Markt kaufen und stilllegen kann, wenn er das möchte. In der Regel zielt ein Mindestpreisvorschlag aber auf einen mehr oder weniger komplizierten staatlichen Eingriff in das Preissystem der Börse ab. Dies verbessert allerdings auch die Planungsgrundlage für den spekulativen Kauf von Zertifikaten, da hier das Verlustrisiko nach unten begrenzt ist. An der Mindestschwelle lohnt es sich, Zertifikate zu kaufen, auch wenn man kein CO2-Emittent ist. Durch die Verknappung treibt man so den Preis hoch und verkauft die Bestände dann mit Gewinn. Das allerdings hätte auch der Staat selbst tun können, so dass nun dieser Gewinn privaten Spekulanten zufließt. Kurzum: ein niedriger Zertifikatspreis ist ein Indikator dafür, dass man die Ausgabe der Zertifikate drosseln sollte, der Pfad in Richtung Null also schneller beschritten werden sollte. Er ist nicht per se ein Grund, mit einer Mindestpreisregelung einzugreifen.

Wie steht dieser Vorschlag im Verhältnis zu verbindlichen Ausstiegsszenarien, also etwa: Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 20XX; Verbot des Verbrennungsmotors für PKW bis 20YY usw. usf.? Wenn die Gesamtemissionen wegen der Ausdehnung des Zertifikatmodells auf alle Sektoren einem strikten Reduktionsplan folgen, so dass das emittierte Gesamtvolumen von CO2 eine bestimmte Grenze nicht überschreitet, wozu soll es dann gut sein, für einzelne Industrien oder Technologien Ausstiegsszenarien oder Grenzen festzulegen? Der Natur ist es völlig egal, wo und wie CO2 eingespart wird. Und volkswirtschaftlich sollte die Einsparung dort erfolgen, wo sie am billigsten ist. Ich erkenne keinen ökologischen Zweck in detaillierten planwirtschaftlichen Vorgaben.

Es sollte nicht allzu kompliziert sein, sich pragmatisch auf ein Modell zu einigen. Wähler sowie Fridays4Future werden es honorieren, wenn ein mutiger Schritt in diese Richtung getan wird. Das bedeutet aber, dass die Parteien aufeinander zugehen müsen.

Nachhaltigkeit als Prinzip einer wettbewerblichen Marktwirtschaft

Ordnungsökonomische Prinzipien wie etwa die von Eucken beschreiben die für eine funktionierende Marktwirtschaft als konstitutiv angesehenen Merkmale. Man kann argumentieren, dass ökologische Nachhaltigkeit in diesen Kanon hineingehört. Zum einen hat es keinen Sinn von einer “funktionierenden” Marktwirtschaft zu sprechen, wenn diese systematisch zu einer Übernutzung von Ressourcen, Zerstörung ökologischer Lebensgrundlagen und zu einem lebensbedrohlichen Klimawandel führt. Damit würde sich die Marktwirtschaft ihrer eigenen langfristigen Grundlagen berauben. Insofern man diese negativen ökologischen Konsequenzen als Externalitäten auffasst, so ist deren Internalisierung also nicht nur ein regulatorischer Eingriff zur Verbesserung der Effizienz des Marktsystems, sondern konstitutiv für den langfristigen Bestand der Wirtschaftsordnung. Zum anderen unterminiert eine nicht nachhaltige Entwicklung letztlich die Freiheitsrechte künftiger Generationen. Sieht man die institutionelle Garantie von Freiheitsrechten als konstitutiv an (wie etwa bei Eucken), so sind die Rechte künftiger Generationen nicht als inferior zu vernachlässigen. Eine Vernachlässigung ökologischer Nachhaltigkeit ist deshalb in Bezug auf spätere Genarationen ähnlich zu werten wie der Entzug wirtschaftlicher Freiheiten heute lebender Individuen zugunsten anderer heute lebender Individuen. Während wirtschaftlicher Wettbewerb die Machtpositionen der einen, welche die Freiheit der anderen beschränken, auflösen soll und kann, so ist dies im Fall des intergereativen Freiheitsentzugs nicht möglich. Daher ist instiotutionell durch eine Nachhaltigkeitspolitik dafür zu sorgen, dass künftige Generationen genügend Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit bleibt.

Während nach dem Zweiten Weltkrieg der Ordoliberalismus die Notwendigkeit des sozialen Ausgleichs erkannt und zu einem integralen Bestandteil der Wirtschaftsordnung gemacht hat (“Soziale Marktwirtschaft”), so sollte nach 50 Jahren Diskussion über die ökologischen Grenzen des Wachstums und nachhaltiger Wirtschaftsweise die Erkenntnis stehen, dass auch ökologische Nachhaltigkeit konstitutives Merkmal der Wirtschaftsordnung ist, und demzufolge eine “Ökologisch-soziale Marktwirtschaft” als Leitkonzept akzeptiert werden sollte. Diese normative Festlegung würde den Staat zu einer entsprechenden Nachhaltigkeitspolitik verpflichten. Angesichts der enormen Herausforderungen des Klimawandels (neben vielen anderen Problemfeldern) erfordert dies drastische Schritte, auch wenn diese im Detail nicht direkt aus dem ordnungspolitischen Konzept abgeleitet werden können. Trotz dieser Herausforderungen an eine aktive staatliche Politik ist aber auch klar, dass wettbewerbliche Märkte aufgrund ihrer Fähigkeit zur Anpassung, zur Innovation und zur Bewältigung von Strukturwandel notwendig sind – sie also vom Problem zum Teil der Lösung werden.

Sowohl die langfristigen Konsequenzen von Handlungen für zukünftige Generationen, als auch die entfernt liegenden Handlungskonsequenzen entlang globaler Wertschöpfungsketten sind für Individuen kaum abschätzbar oder sichtbar. Versucht der Staat Externalitäten zu internalisieren, so spiegeln sich zumindest teilweise die Handlungskonsequenzen in den Preisen wider. Aber erstens gelingt dies nur sehr unvollkommen (wer kennt schon das sozial optimale Niveau?), zweitens hat der Staat nur Internalisierungsmöglichkeiten innerhalb nationaler oder durch Handelsabkommen determinierter Grenzen, also nicht entlang der gesamten Produktionskette. Und drittens hat die Internalisierungslogik Grenzen, die in der Natur sozialer Präferenzen liegt: Wenn ein Konsument Präferenzen (etwa ethische Überzeugungen) hat, die von vornherein den Kauf von Gütern ausschließt, die mit Kinder- oder Sklavenarbeit hergestellt wurden, so nützt es nichts, wenn Kinderarbeit als „negative Externalität“ internalisiert wurde um sie auf ein “sozial optimales Niveau” zu reduzieren. Die Tatsache als solche, ob Kinderarbeit enthalten ist oder nicht, ist dem Preissystem nicht zu entnehmen. Hinzu kommt, dass das Individuum nie wissen kann, ob alle Staaten entlang der Produktionskette eine adäquate Internalisierungspolitik betreiben. Damit erzeugt die Zergliederung des Produktionsprozesses infolge zunehmender globaler Arbeitsteilung asymmetrische Informationen.

Kurzum: Im Fall sozialer Präferenzen, wo aufgeklärte Individuen die Konsequenzen ihrer Handlungen verantworten wollen – und nach Auffassung des Liberalismus auch sollen – bietet das Markt- bzw. Preissystem nicht immer adäquaten Möglichkeiten dies zu tun. Dies ist faktisch eine Reduktion von Freiheitsrechten, wenn einem die Möglichkeit genommen wird, Verantwortung für die eigenen Handlungskonsequenzen zu übernehmen. Nebenbei bemerkt kann die Allokation dann nicht mehr pareto-effizient sein, weil der ultimative Maßstab für Effizienz die (ggf. sozialen) Präferenzen der Individuen sind. Demzufolge muss eine liberale marktwirtschaftliche Politik in Zeiten globalisierter Produktionsketten und langfristiger intergenerativer Handlungsfolgen die Mischung marktlicher und regulatorischer Allokationsmechanismen neu denken. Ein Liberalismus, der in der Vorstellung “mehr Markt = mehr individuelle Freiheit, mehr Staat = mehr Bevormundung” verhaftet ist, hat diese Zusammenhänge nicht wirklich verstanden.

When is Free Trade “free”? Taking liberalism seriously

Liberal economists tend to say that free trade means that governments should not impose barriers of trade. These barriers could be tariffs or non-tariff barriers such like quotas and different standards which regulate market access. Free trade negotiations thus aim to reduce tariffs and quotas, reduce bureaucracy, and harmonizing standards.

Many of these market regulations or standards have their background in various forms of market failure. Their task is e.g. to internalize external costs (or to regulate activities which produce externalities), to mitigate problems of information asymmetry e.g. in case of consumer protection, or to establish countervailing power, e.g. in case of labor standards. All that is not distortive in the sense of allocation efficiency, in contrast, it should promote market efficiency, and could incentivise market participants to seek for better solutions. The design of these rules and standards  – though being influenced by political bargaining and interest groups – can be seen as a democratic outcome: the open and liberal society decides to which extent and in which way they wish to come up with these various sorts of market failure. These rules determine the mode how markets are working in order to achieve an overall desirable outcome – not only the desired bundle of goods but also the way how production, market exchange, (re-) distribution, working conditions etc. are organized. Recall, that all that are choice consequences where individuals have preferences about. This illustrates that market regulations, also for cross-border transactions, should empower people to make better informed choices, reduce externalities and the role of imbalanced power and to take responsibility for the consequences – not bossing individuals around.

Liberalism implies that people are aware of the choice consequences and take full responsibility of them. This requires that prices reflect all social costs, and that customers are well informed about choice consequences. Many agents would like to take responsibility about social and ecological conditions of production of the goods they are purchasing. In Global Value Chains, information about these consequences are usually dispersed and not fully reflected in the prices. Thus, with increasing globalization, information asymmetry increases, too. The price system in a market economy should reflect social opportunity costs and willingness to pay. Hence, the question whether globalization fosters or reduces allocative efficiency, is not easy to
answer.

What happens in case of trade between countries with different, i.e. lower standards or more lax regulations? The country with stricter standards will have – in tendency – a comparative disadvantage for all activities which are regulated more strictly. These activities are out-sourced or off-shored, and consumers buy the imported goods at lower prices. However, they could know that they are indirectly contributing to externalities and social imbalances in other countries. But if their decisions are guided predominantly by prices, they are less able to express their willingness to pay for proper production conditions. An example might be child
work or hazardous working conditions. People decided for good reasons to prohibit child work – in their country. Whether they indirectly promote child work in other regions via their consumption behavior is a choice consequence they cannot be sure about. Imposing environmental taxes for internalizing externalities leads to comparative advantages of other countries for producing dirty goods. Introducing labor standards create comparative advantages of other countries for labor-intensive goods, and so forth.

The common wisdom of trade theory that “aggregated” welfare increases due to specialization and trade is easy to prove for a „represwentative“ consumer who is purely self-interested: her welfare depends only on the amount and variety of consumed goods, and the bundle of goods is increasing due to trade. From a political economy point of view, if consumer’s or voter’s preferences are also reflected in the way of regulation and standards, it is by no means clear whether welfare has increased. This is one of the problematic issues of many free trade agreements: the negotiations are often intransparent and massively influenced by minority lobbying groups. Public support of free trade arrangements require an open dialogue, information disclosure, and participation in discussion. This would reduce campaigning activities against free trade agreements by other lobbying groups which are often seen as ill-informed. However, the main participants and lobbyists of past trade agreements are sometimes ill-informed as well, e.g. when declaring that environmental and consumer protection issues are “not economic issues” and should thus not be prioritized. (That’s an example of the widespread misconception that first we have to „make business“ in order to have the money to finance all that social and environmental bling-bling – this is the opposite of informed economic reasoning.)

For a reduction of tariffs or quotas or bureaucracy there is usually a broad consensus. The “harmonization” of regulations and standards, however, is highly debatable. Proponents of free trade see these differences as a barrier to trade. The opponents see an undermining of the democratically legitimated rules how to cope with these various forms of market failures according to the voter’s preferences. In many cases a “harmonization” means that the lower standard is made effective, and a further improvement of standards or adaption to the preferences is much more difficult as the consent of the other country is necessary (supranational law). Therefore, the voters do not experience an extension of their “freedom”, the “free” trade agreement might limit or reduce their freedom to take responsibility of their choice consequences and the future design of the rules. The “free” in free trade should not be trivialized to freedom to choose among a larger variety of (cheaper) goods or the freedom to
make more money. This would not have much to do with the ideas of liberalism.

These are not ideological or left-winged arguments, it is a very simple implication of economic reasoning, based on Pareto efficiency criterion and theory of allocation in a market economy plus some arguments from Public Choice. Therefore, free trade agreements between countries with different attitudes and preferences is an ordoliberal challenge if the goal is to maintain or even extend freedom. It is by far less simple than just “abandoning trade barriers”. It has to address the question how individuals can decide about the design of rules which govern their life conditions according to their preferences. And how they can keep control of that in a globalized world with multilateral and regional agreements.

The free trade negotiation process should carefully deliberate publicly about differences of standards. If harmonization isn’t desirable, the national standards prevail. If national standards evolve, all suppliers and consumers are affected in the same way. Thus it is not legitimate that foreign investors have privileged rights to appeal against changing policies (such privileges are justified only in case of very weak institutions if FDI should be promoted). Both governments should make clear arrangements how to deal with important cross-border externalities such as greenhouse gas emissions. For example, both sides could agree to consider a joint de-carbonization strategy which imposes improved standards of cleaner production. In case of e.g. different carbon taxes, traded goods should be border-taxed so that the carbon embodied in traded goods is taxed in a non-discriminatory way compared to the locally produced goods. Improvements of regulations should not be hindered by international treaties but supported by them. Thus, free trade agreements could become a vehicle to globalize improved environmental and social standards. It could be expected that with such an agenda there would be by far less resistance against globalization and free trade. And it would be a step towards a modernization, i.e. de-trivialization of the term “liberal” in economic policy.