CO2-Bepreisung – kurz und bündig

Meine persönliche (derzeitige) Präferenz bezüglich einer Bepreisung von CO2:

  1. Wegen der ökologischen Zielgenauigkeit wird das ETS-Modell im Grundsatz favorisiert (handelbare Emissionsrechte). Ein CO2-Reduktionspfad im Rahmen des noch verbliebenen CO2-Budgets erfordert eine solche Zielgenauigkeit bezüglich der Emissionsmenge. Da aber dessen Ausdehnung auf alle Sektoren sowie die europarechtliche Abstimmung relativ viel Zeit beansprucht, sollte übergangsweise eine CO2-Steuer eingeführt werden und zwar so zeitnah wie möglich.
  2. Öl, Kohle, fossiles Erdgas werden an der Quelle, d.h. bei der erstmaligen inländischen Transaktion besteuert, ähnlich wie das derzeit bei der Mineralölsteuer schon geschieht. Industrie, Stromerzeugung, Wohnen/Heizen und Verkehr werden dadurch automatisch erfasst, da alle fossilen Energieträger durch Steuerüberwälzung teurer werden. Der Steuersatz sollte bei mindestens 100 Euro/Tonne liegen, und dann sukzessive jährlich gesteigert werden. Damit liegt man in etwa auf dem Niveau der Schweiz oder Schwedens, die längst eine solche Steuer haben, und auch in der Nähe der Vorstellungen der Industrie (z.B. VDMA), die sich auf eine deutliche CO2-Bepreisung eingestellt hat.
  3. Im Gegenzug wird die Stromsteuer abgeschafft. Eine allgemeine Besteuerung von Strom unabhängig von der Art der Energiequelle ist nicht zielführend, zumal Strom eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielt. Aufgrund der zu erwartenden massiven Relativpreisänderung zuungunsten fossil erzeugten Stroms und entsprechender Nachfragelenkung auf Strom aus erneuerbaren Energien, wird deren Quersubventionierung durch EEG-Umlage nicht mehr nötig sein. Solange noch keine 100%-Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien vorhanden ist, wird die Überschussnachfrage nach grünem Strom zu ausreichend hohen Preisen führen, die zur zügigen Amortisation nötig sind.
  4. Die Steuereinnahmen fließen in einen Fonds, aus dem die Bürger den größten Teil als Steuerrückerstattung pro Kopf oder pro Haushalt erhalten. Dies sollte positive Verteilungswirkungen haben, da Geringverdiener in der Regel einen geringeren CO2-Fußabdruck haben. Jeder Bürger hat eine Steuernummer, welche technisch zur Rückerstattung verwendet werden könnte. Der Fonds sollte unabhängig von tagespolitischer Einflussnahme sein, um den Bürgern das Vertrauen zu geben, dass es sich eben nicht um eine Steuererhöhung handelt, sondern sich in der Summe das verfügbare Einkommen aller Haushalte nicht wesentlich ändert (ärmere Haushalte sogar profitieren). Diese nicht unberechtigte Sorge der Bürger, dass Steuereinnahmen letztlich nur fiskalische Begehrlichkeiten wecken und befriedigen, dürfte die wesentliche Erklärung für das schizophrene Umfrageergebnis sein, dass die große Mehrheit der BürgerInnen sich eine erheblich schärfere Klimapolitik wünschen, gleichzeitig aber eine CO2-Bepreisung ablehnen. Diese Inkonsistenz gilt es deutlich zu machen und zu überwinden. Eine Rückführung der Einnahmen auch als “Steuerrückerstattung” zu benennen statt “Klimadividende” oder “Energiegeld”, was eher an Transferleistungen eines gütigen Staates erinnert, wäre vielleicht hilfreich. Es signalisiert “Das steht mir zu!” statt “Mir wird eine milde Gabe zuteil.”
  5. Synthetisches Erdgas (Power2Gas), welches durch Extraktion von CO2 aus der Atmosphäre gewonnen wurde und deshalb klimaneutral ist, wird logischerweise nicht besteuert. Da derzeit technisch bedingt synthetisches Methan teurer ist als fossiles, sollte dadurch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit von Power2Gas deutlich schneller erreicht werden, möglicherweise sofort. Das bietet attraktive Investitionsmöglichkeiten in einen Bereich, der für die Energiewende dringend erforderlich ist. Da es sich bei Power2Gas letztlich um eine Form der Speicherung (nicht: Verbrauch) von Strom handelt, vorzugsweise von Strom aus einem temporären Überschussangebot, sollten hier nur der Strombörsenpreis anfallen.
  6. Die Besteuerung von Biokraftstoffen, die zwar ebenfalls klimaneutral sind, aber anderweitige ökologische Nachteile haben (etwa den enormen Flächenverbrauch zulasten der Nahrungsmittel­produktion), ist noch zu klären. Biokraftstoffe werden derzeit noch von der EU gefördert. Diese Subvention gehört, wie etliche andere fragwürdige Subventionen auch, überprüft bzw. abgeschafft.
  7. Andere klimaschädliche Emissionen wie z.B. Methan oder Lachgas werden in CO2-Äquivalente umgerechnet und ebenfalls besteuert (bzw. später in das ETS einbezogen). Das betrifft beispielsweise die Landwirtschaft oder durch Fracking gefördertes fossiles Erdgas (welches dann entsprechend teurer würde als konventionell gefördertes).
  8. In der Phase der CO2-Steuer werden wertvolle Informationen über Mengenreaktionen gesammelt, die in das adäquate Design eines allgemeinen ETS für alle Sektoren einfließen. Dieses ETS sieht vor, dass mit dem Erwerb von Öl, Kohle, fossilem Gas (also der Bemessungsgrundlage der Steuer) entsprechende Zertifikate zu erwerben sind. In der Zwischenphase können diejenigen Branchen, die schon jetzt Zertifikate erwerben müssen, sich den Erwerbspreis auf die Steuer anrechnen lassen, um eine verzerrende Doppel-Bepreisung zu vermeiden, so dass ein einheitlicher CO2-Preis entsteht, was für eine effiziente Klimapolitik wichtig ist.
  9. In einem späteren ETS soll es kein Grandfathering geben (keine anfängliche kostenlose Zertifikatsvergabe). Die Zertifikate sollen entweder versteigert werden, oder aber ein fester, jedoch im Zeitablauf steigender Ausgabepreis vorgegeben werden. Dies würde einen möglichst nahtlosen Umstieg vom Steuer- auf das ETS-System ermöglichen, indem der zuletzt gültige Steuersatz als Ausgabepreis oder als Mindestpreis der Auktion verwendet wird. Der anschließende Handel auf dem Sekundärmarkt erfolgt dann zum aktuellen Marktpreis. Dieser liefert wichtige Informationen zur Gestaltung des künftigen Ausgabepreises und der künftigen Mengenkürzungen (“caps”). Um sicherzustellen, dass bei der anfänglichen Zertifikatsversteigerung bzw. dem Verkauf nur Emittenten und nicht etwa finanzstarke spekulative Investoren zum Zuge kommen, könnten Zugangsregeln für den Primärmarkt erlassen werden.
  10. Ein Mindest- und Höchstpreis (Korridor) bei einem Zertifikatssystem ist nicht sinnvoll. Es gehen nicht nur wertvolle Informationen verloren, es entstehen auch adverse Anreizwirkungen. Fällt der Preis sehr stark, so ist das ein Indiz dafür, dass eine Substitution durch klimafreundliche Technologien erheblich einfacher und attraktiver geworden ist, so dass die Nachfrage nach Zertifikaten stark zurückgegangen ist. Das ist gut! Zwar stimmt das Argument, dass dann ältere “dreckige” Anlagen wieder wirtschaftlicher werden. Allerdings nur vorübergehend, weil der Preisverfall im Folgejahr zu einem entsprechend strikterem Cap, also einer stärkeren Verknappung führen wird. Außerdem bleibt ja stets garantiert, dass die Emission die vorgegebene Gesamtmenge nicht überschreitet, selbst wenn ältere Anlagen vorübergehend mehr produzieren. Würde man einen Mindestpreis bei unverändeter Zertifikatsmenge setzen, so würden diejenigen Anbieter, die CO2 eingespart haben und bereits gekaufte Zertifikate nicht mehr brauchen, dadurch bestraft, dass sie für diesen Mindestpreis wahrscheinlich keinen Käufer finden werden (künstliches Überschussangebot, d.h. Rationierung von Anbietern). Das wiederum kann Spekulanten auf den Plan rufen, die die überschüssigen Zertifikate zum Mindestpreis aufkaufen, um sie ggf. später zu höheren Preisen verkaufen zu können. Gelingt diese Spekulation, so werden Renten aus dem Markt extrahiert, was nicht effizient ist. Alternativ könnte der Staat allerdings Zertifikate vom Markt wegkaufen, bis der minimale Zielpreis erreicht ist. Bei einem Höchstpreis gibt es ebenfalls adverse Reaktionen: Diejenigen Firmen, die dringend Zertifikate brauchen und einen höheren Preis zu zahlen bereit wären, erhalten keines (Überschussnachfrage). Sie werden rationiert und können somit nicht produzieren. Es läuft letztlich auf ein Produktionsverbot hinaus, welches zufällig jene Unternehmen trifft, die nicht schnell genug waren, sich rechtzeitig mit Zertifikaten einzudecken. Das wirkt ähnlich wie eine Enteignung. Dies ließe sich nur vermeiden, wenn zum Höchstpreis die entsprechend nachgefragte Zertifikatsmenge ausgegeben würde, was der CO2-Steuerlösung entspräche. Dann aber entfällt der zentrale Sinn der Zertifikatslösung, nämlich die Mengenentwicklung entsprechend des verbleibenden CO2-Budgets steuern zu können.

    Die Absicht hinter Mindest- und Höchstpreisen ist, eine relativ stabile Preisentwicklung zu erhalten, die die Unsicherheit der Investoren reduzieren soll, die langfristig planen. Dazu ist zu sagen, dass auch bisher schon Unternehmen mit der Volatilität von Rohstoffpreisen umzugehen hatten. Das ist in einer Marktwirtschaft nichts Ungewöhnliches. Es ist rührend, wenn dem Staat jetzt einfällt, dass man Investoren Planungssicherheit verschaffen möchte, die es sonst auf Rohstoffmärkten nicht gibt. Außerdem wird übersehen, dass es Hedging-Instrumente wie options und futures auf Zertifikate gibt, die ein Risikomanagement ermöglichen. Die Reduktion von Unsicherheit betrifft im Übrigen auch Investitionen in fossile Technologien. Worauf sich allerdings alle Marktteilnehmer 100%ig verlassen können ist, dass das Angebot an Zertifikaten systematisch knapper wird, mit dauerhaft sinkenden Preisen also nicht zu rechnen ist. Das sollte eigentlich genügen, um einen Bias in Richtung Investition in klimaneutrale Technologien zu bewirken.
  11. Die Einnahmen aus der Zertifikatsvergabe fließen dann in denselben Fonds wie zuvor die CO2-Steuer, und sie werden ebenso den Bürgern pauschal wieder zurückgegeben. Es muss deutlich werden, dass es sich hier um eine Maßnahme zur Korrektur des Preissystems handelt (“Preise müssen ökologische Wahrheit sagen”) und nicht um die fiskalischen Interessen des Staates. Für letztere ist eine Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeits­prinzip vorgesehen, aber nicht die Maßnahmen zur Internalisierung externer Effekte.
  12. Vom jetzigen Zeitpunkt an ist die für das 1.5-Grad-Ziel tolerierbare Menge (“CO2-Budget”) bekannt. Während der Phase der CO2-Steuer wird dieses in nicht voraussehbarer Weise teilweise aufgebraucht. Beim Umstieg auf ein allgemeines ETS kann dann das restliche Budget zielgenau über die Zeit verteilt werden. Wann genau inn welchem Sektor eine vollständige Dekarbonisierung erfolgt, ist dabei unwichtig, solange man sich an die CO2-Budgetrestriktion hält. Dieser Pfad hängt stark von der technologischen Entwicklung ab, die der Staat im vorhinein nicht kennen kann. Allerdings sollte der Staat klimaneutrale Technologien und entsprechende FuE fördern, ÖPNV ausbauen etc., damit die erforderliche Substitution überhaupt stattfinden kann, die der CO2-Preis ja bewirken soll. Eine Vorgabe fester Quoten für bestimmte Sektoren steht der Logik einer CO2-Bepreisung entgegen: CO2 soll ja in erster Linie dort vermieden werden, wo es einfach möglich und daher billig ist. Wer sich in wenigen Jahren noch eine Ölheizung oder einen PkW mit Benzin-/Dieselmotor kauft, kann jetzt schon wissen, dass der Betrieb wahnsinnig teuer werden wird und mit einer Amortisation nicht mehr zu rechnen ist.
  13. Sowohl bei der CO2-Steuer als auch beim Zertifikatehandel ist das Problem der internationalen Preisverzerrung zu lösen. Heimische Anbieter CO2-intensiver Produkte werden einen komparativen Nachteil haben, entsprechende Industrien drohen abzuwandern, die Emissionen finden dann anderswo statt. Dementsprechend ist der (geschätzte) CO2-Gehalt importierter Güter nachzubesteuern (“carbon border adjustment tax”). Es handelt sich dabei ausdrücklich nicht um einen Zoll, sondern um eine Maßnahme steuerlicher Gleichbehandlung und sollte deshalb WTO-konform sein. Sowohl technisch-administrativ als auch europarechtlich ist das jedoch außerordentlich kniffelig. In diese Richtung muss aber dringend weitergedacht werden.
  14. Eine länderübergreifende Harmonisierung von CO2-Steuern mag wünschenswert sein, aber mit Wünschen kommt man nicht schnell genug nicht weit genug. Wichtiger ist eine mittel- bis längerfristige Ausdehnung des ETS auf andere Länder, insbesondere solche, die intensiv über Wertschöpfungsketten miteinander verbunden sind. Da es der Atmosphäre egal ist, wo genau die Emission stattfindet bzw. vermieden wird, kann und sollte es auch einen grenzüberschreitenden (regulierten) Zertifikatehandel geben. Da es sich um ein homogenes Gut handelt, gäbe es im Idealfall einen global einheitlichen Zertifikatspreis. Auf steuerliche Ausgleichsmaßnahmen an der Grenze kann in dem Umfang verzichtet werden, wo die Handelspartnerländer ein entsprechendes ETS (oder Steuer) eingeführt haben.
  15. Freihandelsverträge sollten genutzt werden um massiv auf CO2-Bepreisungen bei Handelspartnern hinzuwirken, also bspw. die Einführung eines integrierten ETS zur Voraussetzung für Handelserleicherungen zu machen (entsprechend Nordhaus‘ Vorschlag des „Clubs der Willigen“). Da künftig das weitaus größte Potenzial der CO2-Reduktion nicht in Deutschland (und auch nur sehr begrenzt in Europa) liegt, sondern vor allem bei den Schwellenländern, ist die Nutzung von Freihandelsverträgen zur Förderung einer möglichst weltweiten CO2-Bepreisung möglicherweise die wichtigste Klimaschutzmaßnahme überhaupt. Die Abhängigkeit der heimischen Wirtschaft von globalen Wertschöpfungsketten kann also gerade eine Chance darstellen, dass die Bedingung sich in eine Klimaschutzstrategie einbinden zu lassen, von vielen Ländern akzeptiert werden wird.