Vielerorts wird gefordert, dass bestimmte wirtschaftliche Aktivitäten
gemeinwohl-orientiert sein sollen, oder dass sogar das ganze
Wirtschaftssystem oder “Wirtschaftsmodell” gemeinwohl-orientiert
sein solle. In aller Regel wird dies als ein Gegensatz zu “privaten
Gewinninteressen” gesehen. Dort, wo Akteure ihren (meist als
“kurzfristig” apostrophierten) Gewinninteressen nachgehen, käme
angeblich das Gemeinwohl zu kurz. Gemeinwohl-Orientierung wird daher
als Abwehr und Alternative gegenüber dem gesehen, was viele als
“kapitalistische Marktwirtschaft” bezeichnen. Damit löst in
gewissem Sinn der Gemeinwohlbegriff als Antipode zum Kapitalismus den
althergebrachten Sozialismusbegriff teilweise ab, er kommt ohne
dessen ideologischen Schrecken daher (denn wer könnte schon gegen
Gemeinwohl sein), und baut somit Brücken in das bürgerliche Milieu.
Dort, wo Gemeinwohl-Orientierung gefordert wird, geht es dann auch –
in der sanften Variante – mit Marktregulierungen einher, kann aber
auch in Richtung Verstaatlichung bzw. staatlichen Angebot
öffentlicher Leistungen verstanden werden, etwa im Bereich
Krankenhäuser.
Dementsprechend
sollte man mehreren Fragen nachgehen: Sind Gemeinwohl und Eigennutz
bzw. Gewinninteresse per se ein Gegensatz? Falls es Fälle gibt, wo
man einen solchen Gegensatz erkennt, welche Rolle spielen dann die
bereits bekannten Funktionsdefizite von Märkten, denen man mit den
normalen Bordmitteln der Sozialen (und Ökologischen) Marktwirtschaft
begegnen kann ohne gleich die Systemfrage stellen zu müssen? Und
schließlich: Was ist überhaupt Gemeinwohl und wer legt oder stellt
das fest?
Güter und Dienstleistungen werden produziert und angeboten, weil sie jemandem Nutzen stuiften, der deshalb eine Tauschbereitschaft dafür hat. Wird dieses “Nutzen stiften” plötzlich zum Gemeinwohl, wenn es sehr viele gibt, denen dieses Gut Nutzen stiftet? Tragen Bäckereien zum Gemeinwohl bei? (Falls ja, auch rednite-orientierte Bäckerei-Ketten?) Wieso gehört z.B. die medizinische Versorgung im Krankenhaus zum Gemeinwohl, der Kauf eines Fahrrades oder der Haarschnitt nicht? Wenn der Landwirtschaftsbetrieb konventionell Kartoffeln anbaut und verkauft, ist das dann eigennutz-orierntiert, während eine ökologische Produktionsweise gemeinwohl-orientiert ist? Und was ist, wenn man als Öko-Bauer sogar noch mehr Geld verdient, eine höhere Rendite hat? Wenn der Schlachtbetrieb hohe Renditen abwirft, weil Billigstlöhne gezahlt werden, wird man wohl kaum ein Gemeinwohl-Label bekommen, denn dafür müssten ja hohe (“faire”) Löhne selbstverständlich sein ebenso wie betriebliche Mitbestimmung. Sind dann also beispielsweise Volkswagen oder BMW gemeinwohl-orientiert, denn dort werden hohe Löhne gezahlt und die Sozial- und Mitbestimmungsstandards suchen ihresgleichen in der Industriegeschichte?
Kommen wir
exemplarisch auf die Behandlung in einem staatlichen Krankenhaus
zurück: Ist diese gemeinwohl-orientiert, weil das Krankenhaus keine
Gewinne abwirft und durch Steuergelder gestützt werden muss?
Dieselbe Behandlung bei einem privaten Träger ist es dann aber
nicht, weil dieser eine Rendite erzielt? Oft wird hier hinzugefügt:
Das Geld der Beitragszahler müsse “im System” bleiben statt in
die Renditen der privaten Krankenhausbetreiber zu fließen. Zunächst
mal aber bleibt das Geld niemals “im System”, sondern wird
ausgegeben für Personal, Medikamente, medizinisches Gerät usw.,
d.h. es entsteht irgendwo ein rein privates Einkommen bei denen, die
letztlich die Dienstleistung hergestellt haben, einschließlich der
Pharmakonzerne und Bettenhersteller. Oder gehören die nun doch zum
“System”? Beim privaten Krankenhausbetreiber kommt dann
zusätzlich noch das Einkommen derjenigen hinzu, die das
Risikokapital dafür aufgebracht haben. Aber eben das zieht offenbar
alles ins Unmoralische und führt zum sofortigen Entzug des
gedanklichen Gemeinwohl-Labels.
Eine Variante ist, dass Gemeinwohl mit dem Begriff der öffentlichen Gütern verbunden wird, während private Güter etwas mit privatem Gewinnstreben zu tun haben. Dagegen müssen öffentliche Güter angeblich dem Gewinnstreben entzogen werden. Nun ist das ein prä-wissenschaftlicher (und falscher) Gebrauch des Begriff des öffentlichen Gutes. Wie alle anderen Güter auch stiftet dieses einen Nutzen, jedoch kann niemand von der Nutzung ausgeschlossen werden, und die Nutzung rivalisiert nicht. Deshalb besteht ein Anreizproblem, weil sie meist gar nicht gewinnbringend an privaten Märkten produziert und angeboten werden können. Die Forderung, diese dürfen nicht dem Gewinnstreben unterliegen, ist insofern lächerlich, denn nur weil eben kein Gewinn erzielt werden kann, kommt es zur systematischen Unterversorgung und der Staat muss letztlich einspringen (jedoch nicht zwingend selbst produzieren). Es liegt also ein Marktversagenstatbestand vor; der Staat ist hier ohnehin gefordert. Das ist eine olle Kamelle in der VWL. Nehmen wir mal ein klassisches Lehrbuchbeispiel für ein öffentliches Gut: Landesverteidigung (produziert etwa durch Militär). Militär ist also ein Beispiel für Gemeinwohl? Gut, dass wir drüber geredet haben.
Eine der Leistungen
Adam Smiths war die Erkenntnis, dass auch und gerade dann, wenn
eigennutz-orientiertes Handeln auf Märkten koordiniert und durch
Wettbewerb sowie durch moralische Normen diszipliniert wird, auch zu
kollektiv wünschenswerten Zuständen führt, für die man heute
vielleicht das Wort Gemeinwohl verwenden mag. Es liegt also gar kein
systematischer Gegensatz von Eigennutz und Gemeinwohl vor. Die
Stigmatisierung des “privaten Gewinninteresses” ist gewissermaßen
vor-bürgerlich, vor-aufklärerisch.
Nun gibt es durchaus
offensichtliche Fälle, wo das Verfolgen privater Gewinninteressen
systematisch den Interessen der Allgemeinheit zuwider laufen kann.
Jede/r kennt dafür praktische Beispiele, seien es illegale Abholzung
von Regenwäldern, ausbeuterische Arbeitsverhältnisse,
Sich-Bereichern auf Kosten des Steuerzahlers usw. In aller Regel sind
das Beispiele, wo die Bildung von Macht eine Rolle spielt, oder wo
Kosten auf die Allgemeinheit abgewälzt werden können (Externe
Kosten). Beides sind bekanntermaßen Funktionsschwächen von Märkten,
wie Ökonomen aller Coleur (Neoklassiker, Ordoliberale etc.)
bestätigen werden. Hier lassen sich selbstverständlich
Effizienzgewinne und ein Zugewinn an Gemeinwohl erzielen, wenn
entsprechend adäquat reguliert wird. Das gehört zur DNA der
Sozialen Marktwirtschaft. Man braucht dafür weder neue Begriffe,
noch die Systemfrage. Eigentlich auch keinen neuartigen gedanklichen
Überbau, der sich z.B. “Gemeinwohl-Ökonomie” nennt und der sich
als Alternative zur Marktwirtschaft geriert. Denn all das, was man
wissen muss, um negative externe soziale und ökologische Effekte zu
internalisieren, Informationsasymmetrien und Machtpositionen
abzubauen, kennen wir bereits, zumindest im Prinzip. Es ist eher eine
polit-ökonomische Frage, weshalb vieles von dem, was man als
Bordmittel der Sozialen Marktwirtschaft einsetzen könnte, noch nicht
stärker eingesetzt wird.
Ebenfalls
irritierend, zumindest in einer liberalen Demokratie, ist die Frage,
wer auf welcher Grundlage überhaupt befinden kann, dass etwas
gemeinwohl-orientiert ist und anderes nicht. Selbstverständlich kann
man sich Kriterien dafür ausdenken, Kataloge erstellen, und auf
deren Grundlage Labels verteilen oder entziehen. Hier werden aber
möglicherweise die Präferenzen von Millionen einzelner Individuen
beiseite geschoben zugunsten zentraler Instanzen, die auf
ideologischer Basis entscheiden, was “Gemeinwohl” ist. Die
VertreterInnen des Gemeinwohlgedankens gehen offenbar davon aus, dass
die Bedeutung doch intuitiv klar sei – vertrauen dabei aber nur auf
die Intuition derjenigen aus demselben ideologischen Lager. Ich sage
nicht, dass das Erstellen von Kriterien nicht möglich ist, aber das
ist ein offener und keineswegs trivialer Prozess voller
Zielkonflikte, zu denen man sich unterschiedlich positionieren kann.
Daneben sollte man sich auch vor Augen halten, dass überall dort, wo Institutionen und kollektive Mechanismen über die Vergabe oder den Entzug von Gemeinwohl-Labels entscheiden, auch die Tür zum rent-seeking weit offen steht. Der naive Glaube, das man allein durch das Studium entsprechender populärwissenschaftlicher Gemeinwohlökonomie-Literatur doch einen klaren Maßstab habe, was gemeinwohl-orientiert sei und was nicht, wird schnell der Erkenntnis weichen, dass der Prozess der Feststellung und auch die daran beteiligten Personen Ziel von Interessengruppen sein werden. Es hilft hier auch nicht weiter, wenn man dann ideologisch zwischen “legitimen” Interessen (also solchen, die doch “offenbar” für das “Gemeinwohl” kämpfen, also Umweltverbände, alternative Forschungsinstitute, Campaigning-Plattformen oder andere “zivilgesellschaftliche Gruppen”, von denen man die richtige Gesinnung erwarten kann) und bloßen “Wirtschaftsinteressen” zu unterscheiden. All das setzt immer schon eine überlegene ideologische Position voraus, aus der heraus man das entscheiden kann. Nur: In einer offenen pluralistischen Gesellschaft gibt es eine solche überlegene Position grundsätzlich nicht.
Die Hoffnung, dass sich eine Gemeinwohl-Ökonomie irgendwann “den Kapitalismus” ablöst, kann man angesichts der vorgetragenen Bedenken gegen Inhalt und Logik des Konzepts mehr als Befürchtung denn als Hoffnung beschreiben. Da der Begriff per se positiv besetzt ist (“Kapitalismus” bei vielen aber negativ) wird das auf Unverständnis stoßen. Ich selber kann jedoch auch mit “Kapitalismus” wenig anfangen (außer vielleicht der Überzeugung, dass Privateigentum, freie Entscheidungen über Produktion und Konsum, Eigenverantwortlichkeit eine wichtige Rolle spielen) und würde das, ergänzt um Machtkontrolle, Sozialer Ausgleich, ökologische Rahmenbedingungen für Nachhaltigkeit, eher als sozial-ökologische Marktwirtschaft beschreiben, deren Reformfähigkeit ich am ehesten in der Lage sehe, auch für Gemeinwohl zu sorgen.
Hier sehe ich die zu Beginn genannte “sanfte Variante” der Gemeinwohlökonomie als ganz normalen Bestandteil einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Wenn z.B. in der sog. “Gemeinwohl-Matrix” Kriterien bezüglich ökologischer Nachhaltigkeit, Mitbestimmung/Partizipation von MitarbeiterInnen, faire Entlohnung usw. definiert werden, und das über die gesamte Lieferkette, so ist das lediglich die konsequente Anwendung der regulatorischen Bordmittel der sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Keine freiheitliche Wirtschaftsordnung kommt ohne Spielregeln aus, die die Funktionsvorausetzungen und Funktionsbedingungen von Märkten bestimmen. Es soll nicht nur das an (öffentlichen und privaten) Gütern produziert werden, was die Menschen gerne wollen (was freie Entscheidung voraussetzt), sondern auch auf eine Art und Weise, wie wir es uns wünschen, also ökologisch nachhaltig, ohne Ausbeutung, mit für KonsumentInnen nachvollziehbaren Auswirkungen auch auf den globalen Süden usw. usw. (was freie Entscheidung über die Spielregeln voraussetzt). Das alles sind Selbstverständlichkeiten, die im politischen Wettbewerb ausgehandelt werden müssen . Ich kann nicht erkennen, weshalb hier von einem anderen “Wirtschaftsmodell” die Rede ist, einem “Modell”, das als Alternative zum gegenwärtigen angepriesen wird.
Ist ein solcher Rahmen festgelegt, für den ich lieber den Begriff der sozialen und ökologischen Standards verwenden würde als den Gemeinwohl-Begriff zu bemühen, werden die sich dann ergebenden wirtschaftlichen Tätigkeiten nach wie vor auch danach ausrichten, womit man Gewinne erzielen kann. Na und? Ich würde mir aber wünschen, dass die Kriterien z.B. einer solchen “Gemeinwohl-Matrix” im gesellschaftlichen Diskurs verhandelt und nicht durch Gemeinwohlökonomie-ExpertInnen bestimmt werden. Und damit meine ich auch, dass es keinen Alleinvertretungsanspruch bei der Definition solcher Begriffe geben darf, der dann die Fähigkeit verleiht, politische Gegner zu de-legitimieren (“das ist gegen das Gemeinwohl gerichtet”). Es würde schon viel helfen, solche Begriffe einfach mal wegzulassen und nicht alles zu einer Frage des Wirtschafts”modells” oder Wirtschafts”systems” zu stilisieren.