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Zur freiheitlichen Begründung des Lieferkettengesetzes

Deutschland hat nun ein Lieferkettengesetz. Nach zahlreichen Lobbyaktivitäten, aber auch Bedenken aus dem akademischen Bereich ist es nun ein verhältnismäßig bescheidenes, wirkungsarmes Gesetz für eine überschaubare Anzahl von Unternehmen geworden. Dennoch ist die Empörung über den bürokratischen Aufwand, aber auch gegen unvorhersehbare Klagemöglichkeiten groß. Im Folgenden geht es nicht um die Details des Gesetzes, und auch ich bin der Ansicht, dass deutsche Regulierungsgründlichkeit, gepaart mit eklatanter Rückständigkeit in Sachen Digitalisierung und Unkenntnis der Lage der Adressaten der Regulierungen, zu sehr transaktionskostenträchtigen Lösungen führt. Stattdessen möchte ich wenige grundsätzliche Überlegungen anführen, die auf die Kritik eingehen, dass es ja wohl nicht sein könne, dass deutsche Unternehmen für die Versäumnisse der Politik in fremden Ländern in Haftung genommen werden. Ich gehe der Frage nach, ob „wir“, d.h. unsere Unternehmen dafür verantwortlich sein können, wie in anderen Ländern mit Umwelt, Arbeit und Menschenrechten umgegangen wird. Ist das überhaupt ein wirtschaftliches Thema, oder muss das nicht politisch in den entsprechenden Ländern gelöst werden?

Ich nehme die Pointe gleich vorweg: Ja, natürlich tragen „wir“ und somit auch deutsche Unternehmen Verantwortung, und ja, es ist ein wirtschaftliches Thema. Und das lässt sich ganz altmodisch ordnungsökonomisch begründen. Den Salbader um angebliche linksgrüne Weltrettungs-Ideologien werde ich höflich ignorieren.

Unsere Gesellschaft hat klare Vorstellungen und Präferenzen bezüglich Menschenrechte und Mindeststandards für angemessene Arbeitsbedingungen, und wir haben dementsprechende Regeln für die Produktion hierzulande. Nun erfolgt die Produktion aber heute in globalen Wertschöpfungsketten, die sich oft über viele Länder erstrecken, und die für die letzte Produktionsstufe oft gar nicht mehr nachvollziehbar sind. Daraus resultiert eine mangelnde Sichtbarkeit der Konsequenzen von Produktions- und Konsumentscheidungen, die an ganz entfernten Stellen ausgelöst werden, was zu einer Art „Verantwortungsdiffusion“ führt. Dies untergräbt die Souveränität, für die eigenen Handlungskonsequenzen Verantwortung tragen zu können. Zumindest die Kenntnisnahme der Konsequenzen einer Handlung durch Transparenz der Lieferkette ist ein Schritt in Richtung der Wiederherstellung dieser Souveränität.

Selbstverständlich gehört es zum Kernverständnis von Freiheit, auch die Verantwortung für die Konsequenzen der eigenen Entscheidung zu übernehmen, auch wenn diese andere Menschen in anderen Ländern betreffen.

Die durch hochgradige globale Arbeitsteilung geschaffene Informationsasymmetrie bezüglich der Handlungskonsequenzen ist bereits ein Problem für die Allokationseffizienz von Märkten, die ich an anderer Stelle diskutiert habe. Die damit einhergehende Verantwortungsdiffusion, die dadurch gerechtfertigt wird, dass ja andere Länder bzw. deren Regierungen dafür zuständig seien, ist in gewissem Sinn eine Zersetzung der Grundlagen des Liberalismus, weil Entscheidungsfreiheit und Verantwortung entkoppelt werden, indem man mit dem Finger auf andere zeigt.

Hinzu kommt, dass Preise nicht allein Knappheiten widerspiegeln, sondern auch asymmetrische Machtverhältnisse: Monopole extrahieren Konsumentenrente, Monopsone extrahieren Produzentenrente. Je unelastischer die Nachfrage- bzw. Angebotsseite, desto größer ist die Rentenextraktion. Im Fall des unelastischen Arbeitsangebots im globalen Süden – aufgrund der Armut muss jeder Job angenommen werden – beträgt die Rentenextraktion bis zu 100%, es bleibt also ein reiner Reservationslohn. Dazu braucht man keine „linken“ Theorien, das ist simpelste neoklassische Mikroökonomik aus Econ101-Kursen.

Komparative Vorteile, die zu Spezialisierung und globalen Wertschöpfungsketten führen, können deshalb auch dadurch entstehen, dass Anbieter in einem Land sehr geringe Marktmacht haben und deshalb jeden Preis akzeptieren müssen, der die Grenzkosten gerade deckt. So können Lieferketten zu „Rentenextraktionsketten“ werden, die den geschaffenen Mehrwert einseitig verteilen, und einige Glieder der Kette keinen substanziellen Mehrertrag gegenüber der Subsistenzwirtschaft haben. Möchten sich deutsche Unternehmen gerne daran beteiligen? Möchten sie es zumindest gerne wissen? Nein? Aber ich, der Nachfrager, möchte es gerne wissen.

Macht steht Wettbewerb entgegen. Wenn – durchaus richtig – von den Segnungen des Wettbewerbs auf globalen Märkten geredet wird, so wird leicht vergessen, dass in weiten Teilen dieser Wettbewerb nur eingeschränkt existiert. Größere Konzerne auf Rohstoffmärkten oder lokalen Arbeitsmärkten verhalten sich logischerweise anders als kleinere Unternehmen im harten Wettbewerb im Endproduktbereich. Hier wäre eine globale Wettbewerbspolitik vonnöten, die es mangels globaler rechts(durch)setzender Institutionen aber nicht gibt. Daher kann man als second-best zumindest Unternehmen im eigenen Land dazu anhalten, diese Problematik zu erkennen und entsprechende Verantwortung zu übernehmen, wie sie den hier allgemein akzeptierten Wertegrundlagen entspricht.

Wir könnten einer globalen freiheitlichen Ordnung einen Schritt näher sein und einen Schritt weiter weg von einer „organisierten Unverantwortlichkeit“ (Ulrich Beck).

Über die handwerklichen Unzulänglichkeiten des Gesetzes und den Grenzen der Kontrollierbarkeit von Vor-Vor-Vorprodukten, über die das deutsche Unternehmen zu vertretbaren Kosten kaum etwas wissen kann, sowie auch die Grenzen von Verantwortbarkeit, wenn viele eine Teil-Verantwortung tragen, wird an anderer Stelle noch zu diskutieren sein.

Handelsverträge und der “Club der Willigen“

Nordhaus’ Vorschlag des “Clubs der Willigen” sieht vor, dass handelsstarke Länder, die sich zu einem effektiven Klimaschutz verpflichtet haben und damit einen Beitrag zu einem globalen öffentlichen Gut leisten, die weniger willigen Länder, die lieber “free rider” beim Klimaschutz sein wollen, zu einem stärkeren Engagement bewegen, indem Handelserleichterungen nur gegen eine entsprechende wirksame Klimapolitik gewährt werden, also eine Konditionierung der Handelserleichterungen erfolgt. Da der “Club” eine gewichtige Rolle im Welthandel spielt, also ein bedeutender Handelspartner ist, dürften andere Länder ein entsprechendes Interesse an Handelserleichterungen haben und somit diesen Deal eingehen. Da die bisherigen Selbstverpflichtungen zum Klimaschutz, wie etwa das Paris-Abkommen, keine Sanktionsmechanismen haben, d.h. ein Gefangenendilemma bzw. Öffentliches-Gut-Spiel vorliegt, dienen hier bindende Verträge aus einem anderen Politikbereich (Handel) als ein Ersatz, um doch noch einen (indirekten) Sanktionsmechanismus zu etablieren. Auf diese Weise wird Klimaschutzpolitik über das Vehikel der Handelspolitik in ihrer Wirkung vervielfacht. Der Verweis darauf, dass Deutschland ja “nur” 2% zu den CO2-Emissionen beitrage, und selbst die gesamte EU weniger emittiert als China, kann dann nicht als Ausflucht gelten: Das Gewicht im Handel ist sehr groß, und dementsprechend kann es nur gelingen, große Handelspartner zu einem Klima-Committment zu bewegen, wenn auch die eigenen Klimaziele erreicht werden – denn Nordhaus’ Vorschlag bindet auch die Mitglieder des “Clubs der Willigen”, so dass diese nicht nur durch die brüchige kollektive Vernunft, sondern simpel durch Eigeninteresse weiterhin “willig” bleiben.

Globalisierung und die wechselseitige Abhängigkeit der Länder aufgrund komplexer Wertschöpfungsketten ist hier geradezu ein Vorteil um das Anreizproblem bei einem derart existentiellen Thema zu lösen. Je mehr ich auf das Funktionieren dieser Wertschöpfungsketten angewiesen bin, desto höher mein Interesse, bei einem derart konditionierten Handelsvertrag mitzumachen. Das erfordert eine neue Generation von Regional Trade Agreements (RTA), denn eine Implementation auf multilateralem Weg (WTO) würde angesichts der drängenden Zeit viel zu lange dauern.

Diese neue Generation von RTAs sollte also eine Konditionalität vorsehen: wohldefinierte Pakete von Handelserleichterungen müssen quasi “erworben” werden durch überprüfbare Erfolge bei der Reduktion von Treibhausgasen sowie dem Schutz der CO2-Absorptionskapazitäten (z.B. Regenwald). Es sollte auch möglich sein, im Vergleich zum Status Quo zusätzliche protektionistische Maßnahmen zu verhängen, wenn die Emissionsreduktion die gesetzten Ziele nicht erreicht oder sogar ansteigen (oder z.B. Regenwald abgeholzt wird). Da davon auszugehen ist, dass CO2-Emissionen in irgendeiner Form bepreist werden, sind border adjustments selbstverständlich Bestandteil der Abkommen. Nicht oder unzureichend CO2-bepreiste Importgüter werden an der Grenze nachbesteuert um ein level playing field zu schaffen, d.h. heimische Produzenten im “Club der Willigen” sollen keinen Preisnachteil haben dadurch, dass CO2 innerhalb des Clubs einen hohen Preis hat. Umgekehrt muss auch beim Export eine Rückerstattung zumindest eines Teils des entrichteten CO2-Preises möglich sein, um keinen Preisnachteil beim Export außerhalb des “Clubs” zu haben. Auf solche adjustments kann in dem Maß verzichtet werden, wie die Handelspartner ebenfalls solche Preise einführen.

Neben dem Klimaproblem können im Prinzip auch andere Problemfelder die Handelserleichterungen konditionieren, etwa die Einhaltung von Menschenrechten oder ILO-Normen. Spielregeln, die die Art und Weise, wie wir produzieren und konsumieren, arbeiten und leben, so gestalten sollen, wie es den Präferenzen der Menschen in allen am Handel beteiligten Ländern entspricht, sollen nicht durch den Hinweis unterminiert werden, dass sie ja die Wettbewerbsfähigkeit auf den globalisierten Märkten senken. Würde man diesem Argument folgen, so würde zwar (vielleicht) mehr Handel getrieben, aber man befände sich schnurstracks auf dem Weg in Richtung Pareto-Ineffizienz, denn dieses Mehr an Gütern wird unter Bedingungen erzeugt, die die Menschen letztlich nicht präferieren. Und das ist der Maßstab ökonomischer Vernunft: die knappen Ressourcen so einzusetzen, dass Lebensbedingungen erzeugt werden, die von möglichst vielen präferiert werden. Das schließt nicht bloß die schiere Menge an produzierten bzw. konsumierten Gütern ein, sondern auch die Art und Weise, wie sie produziert werden. Und es schließt nicht nur die aktuell lebende, sondern auch künftige Generationen ein. Letztere würden sonst in ihrer Freiheit, ihre eigenen Lebensumstände durch Marktentscheidungen und demokratischen Wahlen bestimmen zu können, eingeschränkt. Und das kann ja wohl nicht Sinn des “Frei”handels sein.

Langfristig führt ein solches Schleifen der Spielregeln zugunsten einer Erhöhung des Handelsvolumens zu ihrer Delegitimation, auch zu Ressentiments gegenüber vertiefter Globalisierung. Eine Konditionierung der Handelserleichterung durch länderübergreifende andere Ziele, wie etwa den Klimaschutz oder den Menschenrechten, kann Globalisierung als schlagkräftiges Vehikel der Durchsetzung dieser Ziele an Zustimmung gewinnen. Das Abkommen zwischen der Europäischen Union und den MERCOSUR-Staaten könnte, wenn es denn neu verhandelt würde (!), zu einer Blaupause für eine solche neue Generation von RTAs werden. In der derzeitigen Form ist von Nordhaus‘ Idee leider nichts zu sehen.

When is Free Trade “free”? Taking liberalism seriously

Liberal economists tend to say that free trade means that governments should not impose barriers of trade. These barriers could be tariffs or non-tariff barriers such like quotas and different standards which regulate market access. Free trade negotiations thus aim to reduce tariffs and quotas, reduce bureaucracy, and harmonizing standards.

Many of these market regulations or standards have their background in various forms of market failure. Their task is e.g. to internalize external costs (or to regulate activities which produce externalities), to mitigate problems of information asymmetry e.g. in case of consumer protection, or to establish countervailing power, e.g. in case of labor standards. All that is not distortive in the sense of allocation efficiency, in contrast, it should promote market efficiency, and could incentivise market participants to seek for better solutions. The design of these rules and standards  – though being influenced by political bargaining and interest groups – can be seen as a democratic outcome: the open and liberal society decides to which extent and in which way they wish to come up with these various sorts of market failure. These rules determine the mode how markets are working in order to achieve an overall desirable outcome – not only the desired bundle of goods but also the way how production, market exchange, (re-) distribution, working conditions etc. are organized. Recall, that all that are choice consequences where individuals have preferences about. This illustrates that market regulations, also for cross-border transactions, should empower people to make better informed choices, reduce externalities and the role of imbalanced power and to take responsibility for the consequences – not bossing individuals around.

Liberalism implies that people are aware of the choice consequences and take full responsibility of them. This requires that prices reflect all social costs, and that customers are well informed about choice consequences. Many agents would like to take responsibility about social and ecological conditions of production of the goods they are purchasing. In Global Value Chains, information about these consequences are usually dispersed and not fully reflected in the prices. Thus, with increasing globalization, information asymmetry increases, too. The price system in a market economy should reflect social opportunity costs and willingness to pay. Hence, the question whether globalization fosters or reduces allocative efficiency, is not easy to
answer.

What happens in case of trade between countries with different, i.e. lower standards or more lax regulations? The country with stricter standards will have – in tendency – a comparative disadvantage for all activities which are regulated more strictly. These activities are out-sourced or off-shored, and consumers buy the imported goods at lower prices. However, they could know that they are indirectly contributing to externalities and social imbalances in other countries. But if their decisions are guided predominantly by prices, they are less able to express their willingness to pay for proper production conditions. An example might be child
work or hazardous working conditions. People decided for good reasons to prohibit child work – in their country. Whether they indirectly promote child work in other regions via their consumption behavior is a choice consequence they cannot be sure about. Imposing environmental taxes for internalizing externalities leads to comparative advantages of other countries for producing dirty goods. Introducing labor standards create comparative advantages of other countries for labor-intensive goods, and so forth.

The common wisdom of trade theory that “aggregated” welfare increases due to specialization and trade is easy to prove for a „represwentative“ consumer who is purely self-interested: her welfare depends only on the amount and variety of consumed goods, and the bundle of goods is increasing due to trade. From a political economy point of view, if consumer’s or voter’s preferences are also reflected in the way of regulation and standards, it is by no means clear whether welfare has increased. This is one of the problematic issues of many free trade agreements: the negotiations are often intransparent and massively influenced by minority lobbying groups. Public support of free trade arrangements require an open dialogue, information disclosure, and participation in discussion. This would reduce campaigning activities against free trade agreements by other lobbying groups which are often seen as ill-informed. However, the main participants and lobbyists of past trade agreements are sometimes ill-informed as well, e.g. when declaring that environmental and consumer protection issues are “not economic issues” and should thus not be prioritized. (That’s an example of the widespread misconception that first we have to „make business“ in order to have the money to finance all that social and environmental bling-bling – this is the opposite of informed economic reasoning.)

For a reduction of tariffs or quotas or bureaucracy there is usually a broad consensus. The “harmonization” of regulations and standards, however, is highly debatable. Proponents of free trade see these differences as a barrier to trade. The opponents see an undermining of the democratically legitimated rules how to cope with these various forms of market failures according to the voter’s preferences. In many cases a “harmonization” means that the lower standard is made effective, and a further improvement of standards or adaption to the preferences is much more difficult as the consent of the other country is necessary (supranational law). Therefore, the voters do not experience an extension of their “freedom”, the “free” trade agreement might limit or reduce their freedom to take responsibility of their choice consequences and the future design of the rules. The “free” in free trade should not be trivialized to freedom to choose among a larger variety of (cheaper) goods or the freedom to
make more money. This would not have much to do with the ideas of liberalism.

These are not ideological or left-winged arguments, it is a very simple implication of economic reasoning, based on Pareto efficiency criterion and theory of allocation in a market economy plus some arguments from Public Choice. Therefore, free trade agreements between countries with different attitudes and preferences is an ordoliberal challenge if the goal is to maintain or even extend freedom. It is by far less simple than just “abandoning trade barriers”. It has to address the question how individuals can decide about the design of rules which govern their life conditions according to their preferences. And how they can keep control of that in a globalized world with multilateral and regional agreements.

The free trade negotiation process should carefully deliberate publicly about differences of standards. If harmonization isn’t desirable, the national standards prevail. If national standards evolve, all suppliers and consumers are affected in the same way. Thus it is not legitimate that foreign investors have privileged rights to appeal against changing policies (such privileges are justified only in case of very weak institutions if FDI should be promoted). Both governments should make clear arrangements how to deal with important cross-border externalities such as greenhouse gas emissions. For example, both sides could agree to consider a joint de-carbonization strategy which imposes improved standards of cleaner production. In case of e.g. different carbon taxes, traded goods should be border-taxed so that the carbon embodied in traded goods is taxed in a non-discriminatory way compared to the locally produced goods. Improvements of regulations should not be hindered by international treaties but supported by them. Thus, free trade agreements could become a vehicle to globalize improved environmental and social standards. It could be expected that with such an agenda there would be by far less resistance against globalization and free trade. And it would be a step towards a modernization, i.e. de-trivialization of the term “liberal” in economic policy.

Ein Globalisierungsparadoxon – weniger Effizienz durch mehr Freihandel?

Um eines vorab zu klären: Ich habe nichts gegen wettbewerbliche Märkte und freien Handel, ganz im Gegenteil. Mir geht es um die individuelle Freiheit von Menschen, die in einer Gemeinschaft mit anderen Menschen leben, weshalb Freiheit immer mit Verantwortung zu tun hat. Freie Märkte und Handel werden angetrieben durch individuelle Entscheidungen im Rahmen gesellschaftliche gestalteter Spielregeln. Ökonomen gehen von der Vorstellung aus, dass Individuen die Konsequenzen möglicher Handlungsalternativen entsprechend ihrer Präferenzen bewerten, (meistens) die für sie bestmögliche Alternative wählen, und dann aber auch Verantwortung für die Konsequenzen tragen. Wie man bereits im ersten Semester eines Ökonomiestudiums lernt, treten aber auf einem freien Markt dann Probleme auf, wenn eine Marktseite die Konsequenzen ihrer Handlungsalternativen nicht richtig einschätzen kann, weil eine Informationsasymmetrie vorliegt. In solchen Fällen kann der Markt in aller Regel nicht effizient funktionieren. Standardlehrbuchbeispiel ist der Gebrauchtwagenmarkt, bei dem der Käufer über die Qualität des Gebrauchtwagens schlechter informiert ist als der Verkäufer und daher seine Zahlungsbereitschaft evtl. unterhalb des Preises liegt, den der Verkäufer angesichts der ihm bekannten Qualität angemessen erscheint. Ein wechselseitig vorteilhafter Tausch kommt nicht zustande, was im Klartext heißt: Ineffizienz. Ein anderes Beispiel ist eine Bank, die über die Bonität des Kreditnehmers schlechter informiert ist als dieser selbst, was zu einer Kalkulation eines Risikoaufschlags auf den Zins führen kann, den ein risikoarmer Kreditnehmer nicht mehr zu tragen bereit ist.

Was hat das nun mit der Globalisierung zu tun? Kürzlich hat Mexiko, welches ein Freihandelsabkommen mit den USA hat (TPP), erfolgreich dagegen geklagt, dass in den USA im Handel erhältlicher Thunfisch mit einem Siegel versehen sein muss, welches nachweisen soll, dass dieser für Delphine schonend gefangen wurde. Mexiko sah darin ein nicht-tarifäres Handelshemmnis, welches dem Freihandelsabkommen widerspricht, und hat damit Recht bekommen (SZ.de vom 30.11.15). Käufer von Thunfisch können nicht wissen, wie der Thunfisch gefangen wurde, der Preis enthält alle möglichen Informationen, aber nicht die, ob dabei Delphine als Beifang ums Leben kommen oder nicht. Mit anderen Worten: beim Thunfischkauf kann man eben nicht alle Konsequenzen dieser Handlung einschätzen, es liegt Informationsasymmetrie vor. Zur Lösung oder Linderung solcher Probleme gibt es verschiedene Mechanismen, dem Marktmechanismus auf die Sprünge zu helfen. Im Fall des Gebrauchtwagens ist dies z.B. das TÜV-Siegel, welches zumindest gewisse Mindestqualitätsstandards garantiert, im Fall der Kreditnehmer-Bonität gibt es Dienste wie SCHUFA oder Ratingagenturen. Und im Fall des Thunfischs eben ein „dolphin safe“-Siegel. Daneben gibt es eine ganze Palette von Öko- und Fair-Trade-Siegeln, die über diese und jene Produktions- und Handelsbedingungen Auskunft geben. All das soll zumindest ein wenig helfen, Informationsasymmetrien abzubauen, die Käufer über die globalen Konsequenzen ihrer Handlungen aufzuklären und somit Entscheidungen zu treffen, die ihren Präferenzen am nächsten kommen. Erst dann spiegeln Preise einigermaßen adäquat auch die Zahlungsbereitschaft wider. All diese Maßnahmen sind nicht gegen den Markt und den freien Handel gerichtet, sondern für diese! Sie sollen dem Markt helfen zu einer effizienten Allokation knapper Ressourcen zu gelangen. Es ist ein tiefgreifendes Missverständnis, dass solche Regulierungen als „nicht-ökonomische“, also z.B. verbraucherschutz- oder umweltorientierte Maßnahmen betrachtet werden, um den freien Markt einzudämmen. Das Gegenteil ist der Fall: Umwelt- und Verbraucherschutz will den Präferenzen der Individuen dort Geltung verschaffen, wo das Preissystem dieser Aufgabe unzureichend nachkommt, und soll somit die Leistungsfähigkeit der Marktwirtschaft stärken!

Ein anderes Beispiel: In den USA müssen Restaurants neuerdings den Salzgehalt der angebotenen Speisen angeben. Der entsprechende Gaststättenverband hat dagegen nun Klage eingereicht (spiegel.de vom 4.12.15). Solche Vorschriften werden als unangemessener Eingriff in individuelle Freiheitsrechte, als unverhältnismäßige staatliche Bevormundung aufgefasst. Nun führt aber eine Ernährungsweise, in der übermäßig Salz konsumiert wird, zu Gesundheitsschäden. Die langfristigen Konsequenzen für die Gesundheit können vom individuellen Entscheider nicht eingeschätzt werden, wenn ihm Informationen über Inhaltsstoffe in der Nahrung fehlen. Wenn einem dieser spezielle Aspekt wichtig genug, also als handlungsrelevant erscheint, kann man über eine kollektive Lösung dieser Informationsasymmetrie nachdenken, die dann zu einer solchen Regulierung führt. In anderen Gesellschaften mit anderen Ernährungsgewohnheiten mag man da zu anderen Abwägungen kommen. Die Konsequenzen der Handlungen zu kennen und verantworten zu können, ist aber essentiell für individuelle Freiheit. Die Begründung, dass der Abbau von Informationsasymmetrien eine Beschränkungen individueller Freiheit darstelle, ist somit aberwitzig. Indem zig Millionen Kunden eine informierte, reflektierte und verantwortbare Entscheidung unmöglich gemacht wird, werden diese ebenfalls in der Substanz ihrer Freiheitsrechte eingeschränkt. Sie sollen als stumpf Konsumierende „funktionieren“, nicht aber ihre Handlungsfolgen verantworten wollen. Welcher Freiheitsbegriff hier in der angeblich so liberalen Wirtschaftskonzeption zugrunde liegt, möchte man am liebsten gar nicht wissen.

Es gibt zahllose weitere Beispiele für unbekannte Handlungskonsequenzen. Der Witz ist, dass in dem Fall, in dem Individuen ausschließlich egoistisch denken, ein großer Teil dieser Handlungskonsequenzen irrelevant sind: ob bei der Herstellung des Produktes Kinder- oder Sklavenarbeit eingesetzt, oder Flüsse in fernen Ländern verschmutzt wurden usw. wird dann nicht als entscheidungsrelevant angesehen und diesbezügliche Informationsasymmetrie stellt kein ökonomisches Problem dar. Je mehr Menschen aber sozial und ökologisch interessiert sind und – als anspruchsvolle Voraussetzung individueller Freiheit – Verantwortung übernehmen möchten, desto drängender ist das Problem der Informationsasymmetrie. Ohne deren teilweise Überwindung lebt und konsumiert man fast zwangsläufig in „struktureller Verantwortungslosigkeit“. Ich würde in diesem Konsummodell eine Bedrohung individueller Freiheit sehen.

Und so erschließt sich auch die Bedeutung der Überschrift: Mit fortschreitender Globalisierung werden die Produktionsketten immer weiter zerlegt und auf viele Produktionsstandorte verteilt. Keine Instanz kann mehr über das komplette Wissen verfügen, wann, wo und vor allem wie all die Rohstoffe und Vorprodukte hergestellt, transportiert und letztlich zum Endprodukt verarbeitet wurden. Wenn all diese Informationen für den Käufer des Endproduktes irrelevant sind, so ist es auch überhaupt nicht nötig, all dies zu wissen, denn alle relevanten Informationen sind in all den Preisen für Rohstoffe, Vorprodukte, Transport und schließlich für das Endprodukt enthalten. Auf diesen Vorstellungen beruhen im Wesentlichen die (neoklassischen) Theorien der Ökonomen. Daraus kann man dann die Schlussfolgerung ziehen, dass eine fortschreitende Globalisierung zu einer verbesserten Nutzung vorhandener Ressourcen und Technologien führt, und letztlich den Wohlstand aller erhöht. Paradoxerweise erhöhen sich dadurch aber auch die Informationsasymmetrien enorm. Ein wachsender Aufwand ist nötig um sicherzustellen, dass z.B. keine Kinderarbeit eingesetzt wurde, bestimmte Qualitäts- und Lebensmittelstandards eingehalten wurden (auch in Vorprodukten fernab der Endproduktfertigung), die Umwelt nicht allzu belastet, und keine Despoten unterstützt wurden. Dieser Aufwand ist für Hersteller und Händler lästig, wie an dem Thunfisch- und dem Salzbeispiel zu sehen ist, aber für Käufer, die eine verantwortbare individuelle Entscheidung gemäß ihrer Präferenzen treffen möchten, ist der Aufwand noch zu gering. Immer noch ist z.B. der unmittelbare Zusammenhang zwischen eigenem Einkaufsverhalten und der Rodung von Regenwald zwecks Anpflanzung von Plantagen zur Palmölgewinnung unsichtbar, obwohl das Palmöl in den Produkten steckt, die man soeben in seinen Einkaufswagen gelegt hat. Als Ökonom muss sich da die Frage aufdrängen, ob die Effizienzverluste aufgrund globalisierungsbedingt steigender Informationsasymmetrien nicht die Effizienzgewinne aufgrund der Nutzung komparativer Kostenvorteile eventuell schon übersteigt.

Eigentlich müsste sich diese Frage einem liberalen marktwirtschafts-affinen Ökonomen noch viel drängender stellen als einem regulierungsorientierten „linken“ Ökonomen. Einmal mehr wird deutlich, wie sehr der Markt und die individuelle Freiheit an Voraussetzungen geknüpft sind, an Spielregeln, die kollektiv gesetzt werden müssen. Freiheit im Sinne von Autonomie wird nicht nur durch die Anmaßungen des Kollektivs bedroht, bevormundend in individuelle Entscheidungen einzugreifen, sondern auch durch die Anmaßungen eines Marktes, der einem die Voraussetzungen für verantwortbares Handeln vorenthält.

Sogenannte „Fakten“ zu TTIP

Nach Kritik von Foodwatch mussten BDI und INSM ihre Zahlen zu den positiven Effekten von TTIP korrigieren, andere Institutionen zieren sich noch. Die fehlerhafte Darstellung von Ergebnissen aus Studien ist eine Sache, die Orientierung am optimistischen oberen Rand der Schätzungen dieser Studien ist eine andere. Je nach zitierter Studie und nach zitiertem Szenario innerhalb einer Studie schwanken die Schätzungen bezüglich der Wirkungen auf BIP-Wachstum und geschaffenen Arbeitsplätzen enorm. Arbeitsplatzeffekte werden für Europa mit 12.000 bis zu 1,3 Millionen angegeben – wobei letzteres das über Hundertfache (!) der konservativen Schätzung ist. Kann man da überhaupt noch von einer „Schätzung“ sprechen? Selbst der Kalenderweisheit, dass die Wahrheit „irgendwo in der Mitte“ liegen wird, ist wohl kaum zu trauen.

Dasselbe gilt für „Schätzungen“ der Wachstumseffekte: 100 Milliarden in einem Zeitraum von 10 (!) Jahren. Abgesehen davon, dass auf das Jahr gerechnet der Effekt sich prozentual erst in der Nachkommastelle der Wachstumsrate bemerkbar machen würde, darf man fragen, was von derartig langfristigen Prognosen zu halten ist, wenn man die Fehlerquoten des Sachverständigenrates und anderer Institutionen betrachtet, die bei einem Prognosezeitraum von nur einem einzigen Jahr auftreten. Daran gemessen läge der angebliche TTIP-Effekt noch im Bereich der Standardabweichung normaler Wachstumsprognosen. Prognosen für einen so großen Wirtschaftsraum über einen so langen Zeitraum mit so vielen aus den Rechnungen eliminierten Variablen und Unwägbarkeiten – das ist kaum mehr als der Blick in eine Glaskugel, nur dass diese sich heutzutage zum Beispiel „DSGE-Model“ oder „Hochrechnung“ nennt. Dabei ist TTIP noch nicht einmal beschlossen und die Details des Vertrages, so er denn geschlossen würde, sind noch nicht klar. Den Erstellern der zitierten Studien kann man das kaum vorhalten, denn diese kennen die im Kleingedruckten dokumentierten Grenzen und Voraussetzungsabhängigkeit ihrer Rechnungen in aller Regel.

Wenn TTIP-Befürworter in ihren Broschüren stets die euphorischsten Schätzungen als „Fakten zu TTIP“ präsentieren, dann kann man das wohlwollend noch als Lobbyarbeit verstehen, die ganz auf die Naivität eines Lesers setzt, der den Unterschied zwischen „vager Schätzung“ und „Fakt“ nicht kennt (geschweige denn den Unterschied zwischen einem Erwartungswert und dem oberen Rand eines Konfidenzintervalls) und auf dessen Ehrfurcht vor „Wirtschaftsexperten“ man noch setzen kann. Sie können sich auch damit herausreden, dass sie jede Zahl mit dem Zusatz „bis zu“ versehen (beim Leser werden trotzdem „100 Milliarden Euro“ im Gedächtnis bleiben und nicht der Gedanke, dass es auch „Null“ sein könnten). So formuliert, muss man dann dem TTIP-Gegner nicht einfach konzedieren, Chancen und Risiken anders einzuschätzen als man selbst, sondern kann ihm vorhalten „die Fakten zu ignorieren“, während man selbst zur „Versachlichung“ der Diskussion beitrage. Das mag perfide sein, beleidigt aber zumindest nicht die Intelligenz der Broschüren-Schreiber und PR-Strategen. Unterstellt man weniger wohlwollend, dass die Autoren selbst an die Faktizität glauben, so muss man wohl an deren Fachexpertise zweifeln.

Nun kann man auch TTIP-Gegnern nicht unbedingt attestieren, dass sie stets die Sachwalter kühler Vernunft und sachlich-differenzierter Darstellung sind. Im medialen Kampf um Meinungshoheit ist das vermutlich nicht gerade eine Schlüsselkompetenz. Daher sollte man immer genauer hinschauen, wenn sich jemand zum Anwalt von Vernunft und Sachlichkeit aufschwingt, indem er am häufigsten das Worten „Fakten“ im Mund führt.

Freihandelsabkommen TTIP: Kopfschütteln aus dem Hörsaal

Im ersten Semester eines Wirtschaftsstudiums lernt man etwas über Präferenzen von Menschen und die Knappheit der Güter, und dass eine Gesellschaft Mechanismen entwickelt, wie knappe Mittel auf konkurrierende Verwendungsmöglichkeiten möglichst effizient aufgeteilt werden können (Allokation). Man lernt, welche Vorzüge der Mechanismus „wettbewerblicher Markt“ dabei in einer arbeitteiligen Gesellschaft hat, aber auch, dass alle denkbaren Allokationsmechanismen ihre Vor- und Nachteile haben, und Gesellschaften daher stets durch eine Mischung verschiedener Mechanismen charakterisiert sind. Im Fall des Marktes etwa lernt man, dass die Bildung von Marktmacht, externe Effekte sowie Informationsasymmetrien die Funktionsfähigkeit von Märkten beeinträchtigen. Staatliches Handeln kann sich folglich nicht nur auf das Schaffen der institutionellen Voraussetzungen freier Märkte beschränken, sondern sollte auch durch Regulierung und Kontrolle die Funktionsfähigkeit von Märkten verbessern. Dabei beruht der Bewertungsmaßstab – die Effizienz – letzten Endes auf den Präferenzen der Menschen, welche diese Gesellschaft und ihre Allokationsmechanismen organisieren. So weit, so gut.

Nun sind die Präferenzen der Menschen vielschichtig. Ihnen geht es nicht nur um ihr möglichst billiges Schnitzel. Sie interessieren sich auch für Inhaltsstoffe und technische Standards, sie interessieren sich für Fragen der Verteilung und sozialen Gerechtigkeit, sie interessieren sich Fragen der ökologischen und Arbeitsstandards bei der Produktion. In einer zunehmend arbeitsteiligen Wirtschaft mit fein zerlegten und über den Globus verteilten Produktionsstufen wird es daher ständig schwieriger, die Folgen der eigenen Entscheidungen abschätzen zu können. Präferenzen beziehen sich nun mal aber auf eine indivieuelle Bewertung der Entscheidungsfolgen, das ist der Kern des ökonomischen Verständnisses von Rationalität. Man kann es auch so ausdrücken: in einer arbeitsteiligen globalisierten Produktionsweise wird es immer schwieriger, rationale, d.h. präferenzgerechte Entscheidungen zu treffen, die Informationsasymmetrie nimmt strukturell zu. Man trägt mit seinen Entscheidungen zu Konsequenzen bei, die man eigentlich ablehnt, es herrscht eine „organisierte Unverantwortlichkeit“ (Ulrich Beck).

Nun haben wir Informationsasymmetrien aber als eine der Funktionsdefinizite wettbewerblicher Märkte herausgestellt. Seit den 1970er Jahren ist dieses fundamentale Problem ein Standard in der ökonomischen Analyse. Der Abschied vom „allwissenden“ Akteur hat zu zahlreichen interessanten ökonomischen Einsichten geführt. Letztlich kann man praktisch alle regulatorischen Maßnahmen, welche Funktionsdefizite vor allem aufgrund dieser Informationsprobleme mildern sollen – von der TÜV-Plakette zur Inhaltsstoffangabe bei Lebensmitteln, von Finanzmarktregulationen bis zum Verbot von krebserregenden Farben bei Kinderspielzeug, von Tierschutzvorschriften bis zum EU-Ökolabel – als Maßnahmen zur Effizienzverbesserung von Märkten verstehen.

Der gesellschaftliche Konsens kann sich auch mit der Zeit verändern und somit auch der Bedarf an Art und Umfang regulatorischer Eingriffe. Es ist aber eine hanebüchene Fehlinterpretation von Ökonomik, solche Dinge wie Verbraucherschutz, Arbeits-, Tier- oder Umweltschutz als „wirtschaftsfremde Themen“ abzukanzeln, welche die Debatte um eine Liberalisierung des Handels „nicht zu früh überlagern“ solle, wie es eine Stellungnahme der IHK Bayern zum Freihandelsabkommen mit den USA formuliert. Wie bitte? Das ist Wirtschaft. Solche Regularien zeigen an, wie die Menschen in einer Gesellschaft leben wollen, welche Ansprüche ihre souveränen Individuen nicht nur an die Güter, sondern auch an ihre Produktionsweise haben. Dies drückt ihre Präferenzen aus!

Insofern spiegelt die vielfach geäußerte Kritik an den (voraussichtlichen, teilweise vielleicht aber auch vermeintlichen) Konsequenzen des Handelsabkommens keinen Zielkonflikt zwischen wirtschaftlichen und „sonstigen“ Zielen wider. Es ist ein Konflikt ökonomischer Interessen. Wenn ein amerikanischer Vertreter (Stuart Eizenstat, Transatlantic Business Council) etwa meint, die Europäer würden es mit dem Verbraucherschutz bei Lebensmitteln übertreiben, denn „was gut für eine amerikanische Familie ist, ist auch gut für eine europäische“, dann spricht hier kein Fachmann für Marktwirtschaft, sondern jemand, der das Konzept der Konsumentensouveränität und der Handlungsrationalität, mithin also die Grundlagen der Funktionsfähigkeit wettbewerblicher Märkte nicht richtig verstanden hat. Es ist jemand, der paternalistisch in die Präferenzen souveräner Individuen einzugreifen gedenkt, dies jedoch im Namen von Freiheit und Wettbewerb. Vermutlich hängt auch er dem laienhaften Aberglauben vieler Lobbyisten an, dass das, weas Umsatz und Gewinn sprudeln lässt, auch volkswirtschaftlich effizient sei. Nun ja, ökonomische Interessen zu vertreten setzt ja nicht zwingend ökonomischen Sachverstand voraus.

Europäische Regierungen werden nicht müde zu beteuern, dass es bei europäischen Standards keine Abstriche geben wird und keine Einigung auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner angestrebt sei. Das mag glauben wer will. Die Neigung zu Naivität ist bei Politikern nicht anders verteilt als auch sonst in der Bevölkerung. Da der Hauptgegenstand der Verhandlungen aber der Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse ist – und damit ist nicht nur der Abbau von etwas Bürokratie bei Export- und Importgenehmigungen gemeint – ist es aber doch wohl mehr als naheliegend, dass es sehr wohl um eine Angleichung von Standards geht. Schlüsselbegriffe wie „Harminisierung“ und „Konvergenz“ in den offiziellen Dokumenten unterstreichen das. Jedoch: unsere Spielregeln drücken unsere Präferenzen aus, eure Spielregeln drücken eure Präferenzen aus. Ist jemand ökonomisch beim jeweiligen Partner aktiv, hält er sich an dessen Spielregeln. Klar ist dies ein wenig lästig für den, der mit möglichst wenig Transaktionskosten viel Geld verdienen will. Aber jeder hat für seine Regeln Gründe. Und diese Gründe sind nicht „wirtschaftsfremd“, sie sind begründet in den Funktionsdefiziten von Märkten aufgrund von Informationsasymmetrien. Letztlich helfen sie dem Markt das zu tun, was er tun soll: eine Allokation herbeizuführen, wie sie den Präferenzen ihrer Bürger entspricht.

Die TTIP-Verhandlungen bieten noch mehr Anlässe für Kopfschütteln ob des laienhaften Verständnisses von Marktwirtschaft – Stoff für weitere Blogs.