Das Vermögen in Deutschland ist extrem ungleich verteilt, auch im internationalen Vergleich. Vernachlässigt man die Ansprüche an die Rentenversicherung, so verfügen die unteren 40% der Haushalte über Null (!) Vermögen, während die oberen 10% der Haushalte über 60% des Vermögens verfügen (Bundesbank 2019). Selbst innerhalb dieser oberen 10% gibt es wiederum eine starke Ungleichverteilung. Die Ungleichheit der Einkommensverteilung in Deutschland ist zwar ebenfalls Gegenstand einer Gerechtigkeitsdiskussion, aber erstens ist sie weitaus weniger stark ausgeprägt als die Vermögensungleichheit, zweitens liegt Deutschland hier eher im Mittelfeld, und drittens kann hier das Steuer-Transfer-System zu einem stärkeren Ausgleich beitragen (sekundäre Einkommensverteilung). Allerdings muss man konstatieren, dass trotz eines im Ländervergleich sehr stark ausgebauten Umverteilungsapparates der Effekt auf die Einkommensungleichheit vergleichsweise moderat ist. Das kann u.a. daran liegen, dass bereits die Primärverteilung der Einkommen ungleicher wird.
Bei den Vermögen hingegen gibt es keinen wirksamen Umverteilungsmechanismus. Im Gegenteil: Es gibt eine Tendenz zur stärkeren Konzentration, beispielsweise durch Vererbung (DIW 2019). Das Erbschaftssteuersystem ist löchrig und von vielen Ausnahmen geprägt; eine Vermögenssteuer gibt es derzeit nicht. Ihre Wiedereinführung wird zwar diskutiert, von vielen Ökonomen aber skeptisch gesehen. Die Möglichkeit ihrer verfassungskonforme Umsetzung ist Gegenstand eines jahrzehntelangen Streits. Maßnahmen zur Förderung der Vermögensbildung wie etwa Baukindergeld oder Riester-Rente sind angesichts der Dimensionen der Ungleichheit minimalistisch und teils dysfunktional (z.B. Mitnahmeeffekte beim Baukindergeld; Unrentabilität bei der Riesterrente). Weitere Vorschläge wie das Fördern des Aktienbesitzes werden wohl kaum die unteren 40% erreichen und möglicherweise diejenigen besserstellen, die ohnehin Aktien haben und weiter erwerben. Kaum ein Geringverdiener-Haushalt wird sehnlich auf die Steuererleichterung warten, damit er sich endlich einen ETF von Blackrock kaufen kann.
Ein Bürgerfonds, wie es ihn in anderen Ländern wie z.B. Norwegen schon lange gibt, ist ein derzeit auch im akademischen Bereich durchaus oft wohlwollend diskutierter Ansatz (etwa Fuest et al 2019). Aktuell wirbt Robert Habeck für ein solches Modell. Allgemein geht um einen Fonds, der systematisch in ein Vermögensportfolio investiert, an das alle Bürger einen Anspruch haben. Dieser Anspruch kann zum Beispiel darin bestehen, dass der im Laufe des Lebens akkumulierte Fondsanteil eines einzelnen Bürgers beim Eintritt in das Rentenalter als Rente ausbezahlt wird. Denkbar ist aber auch, dass das Vermögen im Fonds verbleibt und der Bürger ab dem 18. Lebensjahr die Rendite als Kapitaleinkommen ausbezahlt wird. Gerade angesichts der Perspektive, dass durch die Digitalisierung und Roboterisierung die Arbeit zwar nicht ausgehen, das Arbeitseinkommen aber möglicherweise an Bedeutung abnehmen wird, ist eine Partizipation am wachsenden Wohlstand, der zu einem erheblichen Teil von Maschinen erzeugt wird, dadurch möglich, dass ein Teil des Kapitalstocks diesem Fonds, also allen Bürgern gehört, die entsprechende Ansprüche daran haben. Auch andere Möglichkeiten sind denkbar, etwa, dass Bürger auf eine regelmäßige Auszahlung der Rendite verzichten, d.h. diese ansparen, und sich später in Form eines Zuschusses für ein Sabbatical oder längere Fortbildung auszahlen lassen (Corneo 2014).
Eine strittige Frage ist, wie ein solcher Fonds finanziert werden kann. Im Fall von Norwegen geschieht dies durch die hohen staatlichen Öleinnahmen, über die Deutschland jedoch nicht verfügt. Manche Ökonomen befürworten, dass eine Anschubfinanzierung durchaus durch Schuldtitel finanziert werden könne, da der deutsche Staat derzeit Null Zinsen zahlen muss (oder sehr geringe Zinsen bei sehr lang laufenden Anleihen). Bei Fälligkeit der Anleihen müssten diese dann aber entweder prolongiert werden zu einem dann aber möglicherweise höheren Zinssatz, oder ein größerer Teil des Fond-Vermögebrutto medianeinkommenns muss wieder veräußert werden. Deshalb ist eine dauerhafte Schuldenfinanzierung wohl nicht ratsam.
Eine weitere Quelle können freiwillige Zahlungen der Bürger sein, die ihr Erspartes dem Fonds anvertrauen möchten, um etwas für ihre Altersvorsorge zu tun. Dies könnte – wie bei der im Gegenzug abzuschaffenden Riesterrente – staatlich gefördert werden. Allerdings ist zu bedenken, dass dann hier ein staatliche geförderter und gemanagter Fonds als direkter Konkurrent zu privaten Vorsorgefonds auftritt, was wettbewerbsrechtlich problematisch ist.
In diesem Beitrag wird nun der Vorschlag gemacht, dass sich der Fonds aus den jährlichen Erbschaftssteuern speisen sollte. Dies setzt eine Erbschaftssteuerreform voraus, die keine Ausnahmen kennt, eine sehr breite Bemessungsgrundlage hat, aber auch deutliche Freibeträge vorsieht, damit kleinere Vermögen („Omas Häuschen“) nicht belastet werden. Bei 200 – 400 Mrd. Euro Erbschaften pro Jahr könnten so ein zweistelliger Milliardenbetrag jährlicher Steuereinnahmen zusammenkommen, die dem Bürgerfonds zugeführt werden. Man sollte dies nicht als sozialpolitische Wohltat des Staates auffassen, der den Bürgern einen Teil „seiner“ Steuereinnahmen „schenkt“. Es sollte vielmehr als Automatismus angesehen werden, bei dem bei jedem Erbfall das Vermögen der Bürger ohne Umwege in Bürgerhand bleibt, jedoch breiter verteilt wird.
Im Fall von vererbtem Betriebsvermögen besteht bislang das Problem, dass die Erben ein illiquides Vermögen, etwa den Familienbetrieb, erben, aber nicht genügend Mittel haben um die Erbschaftssteuer zu begleichen. Eine Veräußerung des Betriebs nur zu dem Zweck, die Steuerschulden zu bezahlen, ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Eigentumsrecht. Daher gibt es hier zahlreiche Ausnahmen. Bei einem Bürgerfonds ergäbe sich eine einfache elegante Lösung: Das Betriebsvermögen geht zu x% (Erbschaftssteuersatz) an den Fonds als Eigentümer (aber mit den Rechten eines Gläubigers) über. Dieser hat dann Anspruch auf x% der erwirtschafteten Erträge. Allerdings hat der Erbe das Recht, durch sukzessives Begleichen der Steuerschuld in frei gewählten Raten das Eigentum zurückzuerwerben. Das erlaubt maximale Gestaltungsspielräume und beeinträchtigt den Betrieb nicht. Die Details einer solchen Regelungen sind noch zu klären.
Perspektivisch kann man bei der etwaigen (Wieder-) Einführung einer Vermögenssteuer genauso verfahren: Es ist das Vermögen der Bürger und es bleibt das Vermögen der (aller) Bürger. Bei Betriebsvermögen, Immobilien und anderen schwer liquidierbaren Vermögensgegenständen kann analog verfahren werden wie bei der Erbschaftssteuer: ein bestimmter Prozentsatz (z.B. 1%) der Vermögenswerte (nach Abzug von Freibeträgen) geht in den Fonds über anstelle der Zahlung der Steuer.
Der Bürgerfonds geht das Problem der Vermögensungleichheit nicht nur von einer Seite an – der mit Ausnahmen durchlöcherten – Besteuerung der Vermögenden und Erben, sondern vor allem auch von der anderen Seite, dem Vermögensaufbau vor allem der unteren Hälfte der Gesellschaft, und zwar automatisch ohne Blick auf die Kassenlage des Staates und dessen momentaner politischer Agenda.
Auf welche Weise auch immer das Bürgerfondsvermögen oder dessen Erträge ausbezahlt werden, es verändert die primäre Einkommensverteilung. Das könnte sich langfristig als mindestens ebenso wichtiger Hebel herausstellen wie das (ebenfalls stark reformbedürftige) Steuer-Transfer-System, welches eine egalitärere sekundäre Einkommensverteilung um Ziel hat. Der spezielle Charme des Bürger-Fonds ist, dass er als Automatismus ohne diskretionären Eingriff des an der Tagespolitik ausgerichteten Staates fungiert. Er ist somit ein ordnungsökonomisch perfekt zur Sozialen Marktwirtschaft passendes Instrument. Man könnte aber auch formulieren: eine milde und liberale Form der „Vergesellschaftung“ von Vermögen.
Ein gängiger, jedoch schwacher Einwand ist, dass hier letztlich der Staat, genauer: ein vom Staat unabhängiges Management des Bürgerfonds über das Portfolio entscheidet, und nicht der mündige Bürger selbst. In den allermeisten Fällen ist es wohl kaum der Wunsch der Bürger, sich um einzelne Aktien, Schuldverschreibungen oder ETFs kümmern zu wollen. Jedoch kann der Fonds auch so organisiert werden, dass Bürger ab 18 Jahren über eine Auswahl von Anlagetypen für „ihren“ Fondsanteil entscheiden können. Man sollte sich aber auch vor Augen halten, dass z.B. bei der gesetzlichen Krankenversicherung ebenfalls der Staat über das Paket der gesetzlichen Leistungen bestimmt und nicht der mündige Bürger einen individuellen Krankenversicherungs-Kontrakt abschließt.
Zur institutionellen Ausgestaltung: Es ist das Vermögen der Bürger, das den Fonds speist, und das Vermögen der Bürger, welches dort angelegt wird. Das Management sollte an generelle Regen gebunden sein, etwa keine hochriskanten spekulativen Investments zu tätigen; moderate Risiken sollten aber möglich sein, also vor allem Aktienanlagen oder ETFs. Auch kann man ethische Standards definieren oder das Verbot von Investitionen in fossile Energien (dazu später mehr). Der Bürgerfonds sollte dann aber im Rahmen der gegebenen allgemeinen Spielregeln in der Gestaltung seiner Strategie frei sein, d.h. unabhängig vom Staat, ähnlich wie bei der Zentralbank. Der Gedanke dabei ist, dass es sonst sein könnte, dass der Staat den Fonds dazu drängt, möglichst in staatliche Anleihen zu investieren, also indirekt das Staatsbudget zu finanzieren. Oder der Staat weist den Fonds an, in die momentanen Lieblingsprojekte der Regierung zu investieren, also eine politische Agenda zu verfolgen. Das ist in der Regel nicht das, was die Bürger wollen, die an ihre Altersvorsorge denken. Solche Einmischungen sollten selbstbewusst zurückgewiesen werden können mit dem Hinweis darauf, dass der Prinzipal der Bürger ist, nicht die Regierung, und das Fondsmanagement der Agent, der dem Prinzipalen verpflichtet ist, nicht dem Fiskus.
In der langen Frist ist es denkbar, dass der Fonds ähnliche Größenordnungen annehmen kann wie z.B. der norwegische Staatsfond. Damit ist eine Macht verbunden, über deren Ausübung die oben erwähnten allgemeinen Spielregeln einen Rahmen setzen. Es ist vorstellbar, die Spielregeln so zu gestalten, dass der Fonds auch im Sinne genereller Politikziele, etwa der Dekarbonisierung der Produktion, der Einhaltung von Menschenrecht-Standards in der Zulieferkette und dergleichen, Einfluss auf die Unternehmen ausüben kann und soll, deren Miteigentümer er ist. Dies kann sowohl bei Aktionärsversammlungen geschehen, aber auch schon durch die Drohung, Investments abzuziehen, wenn z.B. weiterhin auf Kohleabbau gesetzt wird. Das setzt allerdings voraus, dass die allgemeinen Spielregeln es erlauben, auch in solche „unliebsamen Geschäftsfelder“ zu investieren. Man kann einen Ölkonzern schwer dazu drängen, sich massiv in den Bereich regenerativer Energien zu diversifizieren, wenn die Investitionsrichtlinien die Beteiligung an einem solchen Konzern untersagt. Man mag das als Politisierung der Kapitalmärkte kritisieren. Zahlreiche Großunternehmen, Verbände und private Fonds tun aber bereits genau das oder mahnen die Notwendigkeit eines sehr viel stärkeren committments gegenüber sozialen und ökologischen Zielen und veränderter Governance-Strukturen an. Und schließlich ist der Begriff der „Politisierung“ im Kern auch nicht korrekt, geht es doch letztlich um die Durchsetzung der Präferenzen von Eigentümern am Markt. Der Eigentümer, also der Fonds, ist via demokratische Abstimmung über die institutionelle Ausgestaltung, also auch der Investitions-Spielregeln, dazu legitimiert. Er soll letztlich die gemeinschaftlichen Interessen der Bürger durchsetzen helfen.
Zusammengefasst: In dem Beitrag wird vorgeschlagen, das Instrument des Bürgerfonds mit dem Instrument der Erbschaftssteuer (perspektivisch: ggf. auch Vermögenssteuer) zu verknüpfen und ihn von der Regierung unabhängig zu machen. Somit erhielte der Fonds die zentrale Aufgabe einer automatischen, nicht vom politischen Tagesgeschäft oder Kassenlage abhängigen Vermögensumverteilung und der Beteiligung aller Bevölkerungsschichten an Vermögen und Kapitalansprüchen. Auch wenn die Ausgestaltung im Detail knifflig sein kann, so ist die Kernidee simpel und effektiv.