Archiv der Kategorie: Digitales

Google, Facebook und die Medien

Mit neuen Mediengesetzen versucht Australien digitale Plattformen wie Google oder Facebook für die Nutzung von Medieninhalten zur Kasse zu bitten, indem diese verpflichtet werden, generierte Werbeeinnahmen mit den Verlagen zu teilen, deren Inhalte sie indirekt nutzen. Kanada folgt dem Beispiel, und auch die EU folgt mit dem Leistungsschutzrecht im Digitalbereich derselben Philosophie.

Eine Argumentationsfigur ist, dass digitale Plattformen an dem Medien-Content der Verlage bislang (indirekt) verdienen, ohne einen Teil dieser Einnahmen an diese abzugeben. Ohne Einnahmen auch aus der digitalen Verwertung des Contents hätten Journalisten und andere Medienschaffende wirtschaftliche Probleme, und die Medienvielfalt sei bedroht. Wahlweise wird die Forderung nach einem Transfer eines Teils der Werbeeinnahmen begründet mit Fairness-Argumenten (digitale Plattformen erzielen Gewinn aufgrund der unentgeltlich genutzten Leistungen Dritter), Argumenten gesellschaftlicher Verantwortung aufgrund der schieren Größe (digitale Plattformen tragen Mitverantwortung für Meinungs- und Pressefreiheit einschließlich deren wirtschaftlichen Grundlagen), oder auch dem ökonomischen Argument, dass es sich bei der Nutzung von Medieninhalten um die Nutzung eines öffentlichen Gutes handele, wo ja gerade das Problem darin besteht, dass keine Kompensation über das Preissystem erfolgt. Und dieses Problem kann man mit einer Verpflichtung zu einer Kompensation lösen. Einem Teil des Publikums dürfte eine sorgfältige Analyse der Stichhaltigkeit solcher Argumentationen egal sein, weil alles, was irgendwie gegen diese Großunternehmen gerichtet ist, automatisch auf der „moralisch guten“ Seite ist. Für alle anderen hier eine lose Sammlung von Fragen und Anmerkungen, ohne dazu eine abschließende Meinung zu haben:

Wie stellt man fest, welcher Teil der generierten Werbeeinnahmen zurückzuführen ist auf den Tatbestand, dass die Anbieter von Content im Google-Suchindex enthalten sind bzw. ungefragt diesen Content bei Facebook posten (lassen)? Interessant wäre hier die kontrafaktische Überlegung, um wieviel denn die Einnahmen zurückgehen würden, wenn solcher Content geblockt würde? In dem ersten australischen Gesetzentwurf war m.W. die Rede davon, dass im Fall einer Nicht-Einigung über Transferzahlungen eine unabhängige Jury darüber entscheiden solle (und „unabhängig“ meint wohl auch unabhängig von betriebswirtschaftlichen Kenntnissen von Googles internen Controllingdaten).

Werden nicht durch das Listen im Google-Suchindex und das Posten auf Facebook nicht auch Klicks auf den Webseiten der Medienschaffenden generiert? Oder zumindest die öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Medium gesteigert? Haben diese nicht ein ureigenes Interesse daran, auf den digitalen Plattformen vertreten zu sein? Falls ja, ist ihnen denn dieser Service, der ja ein rein privater Service (ohne Kontrahierungszwang!) ist, nicht etwas wert? Mit anderen Worten: kann es nicht sein, dass hier eine Win-Win-Situation vorliegt? Kann es sein, dass Gesetzgeber vielleicht kein ausreichendes Verständnis der Charakteristika digitaler Güter und digitaler Geschäftsmodelle haben?

Wenn diese Plattformen eine so essentielle Bedeutung für Meinungs- und Pressefreiheit erlangt haben, meint man damit, dass ohne diese wenigen amerikanischen privaten Unternehmen die freiheitlich-demokratische Grundordnung anderer Staaten keine eigene tragende Substanz mehr hat? Oder verkürzt gesagt: Gab es vor Google und Facebook keine ausreichende Meinungs- und Pressefreiheit? Gibt es Evidenz dafür, dass durch die Erlangung von Quasi-Monopolmacht weniger digitaler Plattformen Medienvielfalt und Pressefreiheit zurückgegangen sind? Und falls ja: Koinzidenz oder Kausalität? Man könnte auch die Frage stellen, welche Rolle lasch gehandhabtes Kartellrecht und kapitalmarkt-getriebene Medienkonzerne für die Medienvielfalt spielen – ganz unabhängig von digitalen Plattformen.

Und was die „gesellschaftliche Verantwortung“ angeht: Auch professionelle Medieninhalte verbreiten sich dank digitaler Plattformen viel schneller und weitreichender, wovon offene Gesellschaften profitieren. Wie sähe es mit dem „Arabischen Frühling“ oder „Fridays for Future“ aus, wenn es solche riesigen digitalen Plattformen nicht gäbe? Wenn der öffentliche Diskurs bisher an Dynamik gewonnen hat (nicht immer an Qualität, siehe Desinformation und Hasskommentare), und viele politisch Interessierte und Engagierte die heute bestehende Praxis der Verbreitung von Medieninhalten schätzen, kann man dann nicht davon ausgehen, dass es insgesamt eine Zahlungsbereitschaft für diesen Zustand gibt und mithin die bestehende Praxis nicht schon Ausdruck von gesellschaftlicher Verantwortung ist?

Wenn es lediglich darum geht, große und margenstarke Unternehmen irgendwie an gesellschaftlichen Aufgaben stärker zu beteiligen (habe nichts dagegen!), dann wäre eine Reform der Besteuerung multinationaler und digitaler Unternehmen wohl der plausibelste Weg statt speziellen Unternehmen, die leicht an den Pranger zu stellen sind, für spezielle gesellschaftliche Aufgaben in die Pflicht zu nehmen. Die Gründe, für die solche Plattformen durchaus an einen Pranger stellen kann – nämlich aggressive Steuervermeidung und Ausnutzung ihrer marktbeherrschenden Stellung in manchen Bereichen – sollten mit den Mitteln des Steuerrechts und des (durchaus reformbedürftigen) Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen angegangen werden.

Warum bieten die Verlage ihre Medieninhalte in einer Form an, die eine Nutzung durch digitale Plattformen überhaupt erst möglich macht? Sie könnten theoretisch sämtlichen Content hinter eine Paywall stellen. Google würde dann z.B. vielleicht nur die Zeitungsüberschriften finden, aber nicht mehr die Teaser. Wer diesen (bzw. den Artikel) lesen will, muss zur Webseite des Zeitung-Anbieters und etwas bezahlen. Erst der Umstand, dass als bewusste Entscheidung der Verlage Teaser und zum Teil Artikel frei zugänglich sind, macht diese erst zu einem öffentlichen Gut. Das wäre aber nicht zwingend. Daher kann man das Öffentliche-Gut-Argument schwerlich nutzen. In der „Natur“ des Gutes liegt nur die Nichtrivalität, nicht die Nicht-Ausschließbarkeit. Zudem besagt die ökonomische Literatur auch nur, dass im Fall eines öffentliches Gutes ein Mechanismus geschaffen werden sollte, der zu einem „sozial optimalen Angebot“ führt. Das muss nicht zwingend bedeuten, dass Nutzer einen administrierten Preis zahlen, der im Zweifel auch nichts mit der Zahlungsbereitschaften der Nutzer zu tun hat und somit nicht zum sozialen Optimum führt.

Es schließt sich die nächste Frage an, ob es neben den digitalen Plattformen nicht auch unzählige andere Verwerter dieses frei zugänglichen Contents gibt, die ebenfalls einen ökonomischen Vorteil daraus ziehen. Beispielsweise nutze ich Zeitungsartikel nicht nur als Konsumgut, sondern entnehme ihnen auch beruflich relevante Informationen, die einen (wenn auch nicht-pekuniären) Nutzen generieren, ohne dass ich dafür etwas zahlen muss. Sowohl mit dem Fairness-, als auch dem Öffentlichen-Gut-Argument könnte man argumentieren, dass alle, welche Medieninhalte vor der Paywall nutzen, zahlungspflichtig sind. Also auch ich.

Google hat Australien gedroht, die Suchfunktion für dieses Land zu sperren. Cleverer wäre es vielleicht gewesen, lediglich die australischen Verlagsangebote aus dem Suchindex oder zumindest aus „Google News“ zu nehmen, ähnlich wie Facebook gezielt solche Inhalte geblockt hat. Dies wurde als unbotmäßiger Erpressungsversuch eines Digital-Monopolisten gegen ein freies demokratisches Land aufgefasst. Wie oben bereits gesagt, besteht kein Kontrahierungszwang, auch nicht für einen Monopolisten. Ist es nicht interessant, dass man sich eben dadurch erpresst fühlt, dass Google diese Inhalte nicht ungefragt nutzt? War die ungefragte Nutzung denn nicht gerade Stein des Anstoßes? Wenn der australische Premierminister selbstbewusst sagt, dass auch globale Konzerne sich an die Spielregeln halten müssen, die demokratisch im Parlament beschlossen werden, so hätte Google eigentlich nur sagen brauchen: Aber klar doch, selbstverständlich. Eben deshalb stellen wir die Suchfunktion ja aus betriebswirtschaftlichen Gründen ab.

Nun hat Microsoft mit schmeichelnden Worten in bigotter Weise der australischen Regierung angedient, doch sehr gerne die Einnahmen mit den Verlagen teilen zu wollen, da ihnen die freie Gesellschaft doch so am Herzen liege. Daher könne man doch statt Google künftig Microsofts Suchmaschine Bing nehmen, die derzeit einen verschwindend kleinen Marktanteil hat. Rührend. Aber ein cleverer Schachzug im Sinne von „raising rival’s cost“.

Google hat sich – vielleicht teils wegen möglichen langfristigen Imageverlustes, teils wegen Microsofts Drohung – bemüßigt gefühlt, nun doch Lizenzverträge mit einigen Verlagshäusern abzuschließen, um diese wie gewünscht an den Einnahmen zu beteiligen. Mit wem war das gleich nochmal? Ach ja, Rupert Murdoch (News Corp), dessen Zeitungsimperium geradezu ein überaus sympathisches Symbol für fairen Wettbewerb, Meinungs- und Medienvielfalt ist…. Es liegt auf der Hand, dass Google aus betriebswirtschaftlichen Gründen Verträge mit den ganz wenigen Großen abschließen wird, die 80-90% des Marktes ausmachen, alle anderen fallen hinten runter, entweder indem sie ausgelistet werden oder ihren Content per Gratislizenz anbieten müssen, denn sie haben keine Verhandlungsposition. Und stützt das nun die Medienvielfalt? Wohl kaum, man kann sogar im Gegenteil erwarten, dass die großen Medien-Player dank der Kooperation mit den Digitalplattformen ihren Wettbewerbsvorteil weiter ausbauen. Das hätte man sich schon vorher durch Blick auf die ökonomischen Anreizstrukturen denken können.

Wäre es nicht an der Zeit darüber nachzudenken, dass der vielleicht viel bedenklichere Punkt der ist, dass nicht nur die Erzeugung und Bereitstellung frei zugänglichen digitalen Contents, sondern auch der enorm umfangreichen und enorm nützlichen digitalen Services von Google (bei „sozialen“ Plattformen wie Facebook pflege ich lieber meine grundsätzlichen Aversionen) letztlich von einer Manipulationsindustrie finanziert werden, welche für Nutzerdaten Geld bezahlen zwecks manipulativer Zwecke – von simpler personalisierter Werbung bis zum politischen Micro-Targeting? Soll das ernsthaft die wirtschaftliche Grundlage digitaler Geschäftsmodelle sein, insbesondere im seriösen Journalismus? Vor längerer Zeit habe ich mich über einen SPIEGEL-Artikel lustig gemacht, der eben dies scharf kritisiert, bei dessen Lesen man aber gleich Dutzenden von Trackern und Analysetools ausgeliefert ist. Blockiert man diese, gibt es keinen Zugang zum Artikel. Lustig.

Klar würden Zeitungsverlage es vermutlich lieber sehen, wenn alle Leute fleißig Digital-Abos kaufen, mit denen der Content finanziert wird. Das ist fair, transparent, und auch sonst in der Marktwirtschaft üblich, dass man für Produkte und Services zahlt. Ich persönlich zahle auch für solche Digital-Abos. Aber im digitalen Wettbewerb scheinen nun mal Zeitungen einen Vorteil zu haben, wenn sie kleine Teil vor die Paywall stellen, dann aber ziehen andere nach usw. Je mehr sie dies tun, desto abhängiger werden sie von indirekten Zahlungen durch Dritte (Werbeanbieter, Analysten, die Nutzerdaten abkaufen, oder eben die geplanten Zahlungen von Google) statt von der Zahlungsbereitschaft der Kunden. Ob das nicht ebenfalls zu Dysfunktionalitäten im Preissystem führt? Gewiss doch: das Angebot entkoppelt sich von Zahlungsbereitschaft, marktwirtschaftliche Ressourcenlenkung wird ineffizient. Aber Google oder Facebook sind nun nicht für die Schwächen dieses digitalen Wettbewerbsmodells der Verlage untereinander verantwortlich (wenngleich sie auch Werkzeuge dafür liefern, die den Effekt verstärken).

Ach ja, und noch etwas ist an den Einlassungen Microsofts bezüglich der Nutzung von Bing als Alternative zu Google interessant: Monopole scheinen „bestreitbar“ zu sein, wie Ökonom*innen sagen. Das könnte der disziplinierende Faktor für Googles Verhalten sein. Rupert Murdoch gefällt das.

Und noch einmal: Urheberrechtsreform in der FAZ – Kommentar zum Kommentar

Wie schon häufig zuvor trommelt die FAZ kurz vor der EU-Abstimmung über die Reform des Urheberrechts für diese Reform und kommentiert die Position der Gegner (insbesondere von Artikel 13 dieser Reform = inzwischen Art. 17) betont negativ. Da die FAZ ein Eigeninteresse an der Durchsetzung dieser Reform hat, ist das verständlich und legitim. Gleichwohl ließ in der Vergangenheit das Argumentationsniveau doch zu wünschen übrig. Nun hat Herr Kaube mit seinen Kommentaren in der FAZ vom 22.3.2019 und vom 25.3.2019 einen weiteren Akzent argumentativer Schlichtheit gesetzt.

Zunächst sollte Herr Kaube als Mitherausgeber der FAZ den Sprachgebrauch überdenken: “Hehler” “nützliche Idioten” – das ist Stammtisch, für regelmäßige FAZ-Leser*innen ein Grund zum Fremdschämen. Konkret richtet sich sein erster Kommentar gegen ein kritisches Statement eines der Direktoren des Kölner Instituts für Wirtschaftspolitik, Steffen J. Roth, welches einige der allseits bekannten Bedenken gegen Upload-Filter referiert. “Tja, möchte man sagen, der Rechtsstaat hat Vorfahrt vor dem Geschäftemachen, dann entfällt eben die Möglichkeit zum Verbreiten von unbesehen allem, wenn es nicht rechtmäßig erfolgen kann.”, so Kaube. Damit tut er so, als wäre der derzeitige Zustand bereits außerhalb des Rechtsstaates. Dann würde man aber nur über die bessere administrative Durchsetzung des Urheberrechts debattieren, nicht über dessen Reform. Tatsächlich verteidigt in der Debatte aber niemnand ernsthaft die illegale Verbreitung urheberrechtlich geschützten Materials, und alle, auch die Gegner von Art. 13, sprechen sich für eine stärkere Beteiligung der Kreativen an den Einnahmen aus. Vielleicht mag Herr Kaube dies einfach mal zur Kenntnis nehmen. Das Gegenteil dessen zu suggerieren, ist dieselbe Art von Desinformation, die Herr Kaube so gern der Gegenseite vorwirft. Es geht allein um die Frage, wer die Verantwortung für solche Rechtsverstöße tragen solll, genauer: ob und vor allem in welcher Form diese Verantwortung auf die Betreiber von Plattformen ausgedehnt werden soll. Kein Wort in dem Artikel z.B. von dem Vorschlag von Pauschallizenzen, die eine Uploadfilterung überflüssig machen. Das Ziel wäre erreicht, und mit erbittertem Widerstand ist nicht zu rechnen.

Kernpunkt von Kaubes erstem Kommentar ist, dass er einen logischen Fehler in der Argumentation Steffen J. Roths identifiziert zu haben glaubt, den er nun in seinem Kommentar “entlarvt”, um zu zeigen, dass die Argumentation der Gegenseite nur ein Kartenhaus ist. Vom Zwang zu Uploadfiltern würde sich die Marktposition der ohnhin schon großen Player erhöhen, da nur sie über das entsprechende Know How und die finanziellen Mittel verfügen. Der Wettbewerb würde leiden, so Roth. Nun sprechen sich aber gerade auch diese großen Player gegen diese Art von Art. 13 aus. Das, so Kaube triumphierend, würde aber doch beweisen, dass Google & Co eben doch von der derzeitigen Regelung profitieren und durch die Urheberrechtsreform empfindlich getroffen würden. Denn wieso sollten sie gegen etwas sein, das in der Folge ihre Position im Wettbewerb noch stärken würde? Süffisant kommentiert er: “Finde den Fehler”. Herrjemine, ist das so schwierig zu verstehen? Google & Co verdienen derzeit Milliarden trotz der Existenz kleinerer Wettbewerber in gewissen Marktnischen. Die ohnehin große Marktmacht noch weiter ausdehnen zu können ist im Vergleich zu den hohen Kosten (nicht nur Filterkosten, sondern vor allem zu erwartender Schadensersatzansprüche etc.), die die geplante Reform ihnen bescheren würde, keine wirklich attraktive Aussicht. Herr Kaube würde vermutlich auch nicht dafür plädieren, dass er alle seine Artikel einer Genehmigungsbehörde vorlegen muss, wenn im Gegenzug konkurrierende Zeitungen gleich ganz verboten würden.

Auch der zweite Kommentar vom 25.3.2019 (“Bereit das Recht zu opfern”) ist ähnlich gestrickt. Es wird so getan, als würde das Urheberrecht derzeit im Internet nicht gelten und Plattformen wie Google seien nichts anderes als Hehler. Die Justizministerien müsse doch den Hehlerei-Paragrafen des Strafgesetzbuches kennen. Und Herr Lindner sei “zwar kein Jurist, aber auch ihm darf man unterstellen, dass er von der Strafbarkeit […] weiß”. Nun, auch Herr Kaube ist kein Jurist, deswegen mag man es ihm nachsehen, dass diese Form der indirekten Profitierung von Urheberrechtsverletzungen Dritter durch Google & Co sachlogisch nicht dasselbe ist wie klassische Hehlerei (alleine schon wegen fehlenden Vorsatzes, der fehlenden Körperlichkeit des Gegenstandes u.a.m.), und deswegen der zitierte Strafgesetzbuch-Paragraf auch nicht greift. Dass Google, Facebook usw. “keine gemeinnützigen Unternehmen” sind, sie an der Bewahrung des Status Quo ein Profitinteresse haben – all das sind Binsen, um die es nicht ernsthaft geht. Herr Kaube kann einfach nicht sehen oder gar akzeptieren, dass es gute nachvollziehbare Gründe gegen den Art. 13 geben kann, und dass das allgemein akzeptierte (!) Ziel, Plattformen stärker zur Finanzierung der Kreativen zur Kasse zu bitten, auf anderem Wege mit deutlich weniger Kollateralschäden erreicht werden könnte. Bei Herrn Kaube geht es nur um Schwarz oder Weiß, Recht gegen Illegalität, Pro Urheberrechtsreform in der derzeitgen Form versus grenzdebile Desinformationskampagnen. So viel Unterkomplexität kennt man sonst nur von der Springerpresse. Wie es anders und besser geht, zeigt der Beitrag des Komponisten Matthias Hornschuh (FAZ vom 26.3.19), der lösungs-orientiert ist und ganz ohne diese geifernde Feindseligkeit auskommt.

Gewiss, auf der Seite der Art.13-Gegner gibt es den einen oder anderen Youtube-Influencer, der oder die mit sagenhaft naiven Argumenten Desinformation betreibt. Die FAZ sollte aber nicht auf argumentativ gleichem (wenn auch sprachlich höherem) Niveau dagegenhalten. Das sollte nicht ihr Anspruch sein. Es geht um komplexe Abwägungen und Kompromisse. Vor allem geht es darum zu verstehen, dass im digitalen Zeitalter Urheberrecht nicht einfach dasjenige Mindset und diejenigen Instrumente des 19. Jahrhunderts fortschreiben kann. Das wäre so, als würde man in der Volkswirtschaftslehre digitale Plattform-Märkte mit einem simplen Angebots-Nachfrage-Diagramm verstehen wollen.

Urheberrecht im digitalen Zeitalter

In ihrem Kommentar „Es geht um Fairness – nicht um Zensur“ in der FAZ vom 4.7.2018 plädiert die Stellvertretende Vorsitzende des Kulturausschusses des Europäischen Parlaments, Helga Trüpel, wie schon bereits in früheren Kommentaren, für eine starke ordnungsökonomische Antwort der Gesellschaft auf die Macht der Digitalkonzerne. Die Spielregeln im Umgang mit Daten und in diesem Fall auch mit den Urheberrechten sollten nicht von den großen Plattformen diktiert werden, sondern müssten gesellschaftliche gestaltet und für diese Konzerne verbindlich durchsetzbar gemacht werden. Wer den „digitalen Kapitalismus“ mit den Spielregeln der Sozialen Marktwirtschaft zähmen will, muss auf neue technologische Entwicklungen neue ordnungsökonomische Antworten entwickeln. Soweit die sehr überzeugende Grundhaltung von Frau Trüpel, die ich teile.

Sie kündigt an, im Europaparlament deshalb für die Vorschläge des Rechtsausschusses zur Reform des EU-Urheberrechts zu stimmen. Sie begründet dies mit der Fairness gegenüber den Kreativen, deren Schöpfungen von Digitalplattformen indirekt enorm erfolgreich vermarktet werden, an diesem Erfolg jedoch nicht fair partizipieren. Auch dieser Gedanke ist im Großen und Ganzen richtig. Der Teufel steckt jedoch im Detail, und hier macht es sich Frau Trüpel leider sehr einfach, auch wenn sie mit dem Rekurs auf den philosophischen Freiheitsbegriff und dem Berufen auf ordnungsökonomische Grundsätze versucht, die eher schlichten Argumente intellektuell zu veredeln.

Sie diagnostiziert, dass viele aus der „Netzgemeinde“, die sich gegen ein strengeres, auf die Digitalwirtschaft ausgelegtes Urheberrecht aussprechen, einem anarchistischen und letztlich „neoliberalen“ Freiheitsbegriff „auf den Leim gehen“. Diesen radikalen Freiheitsbegriff findet Frau Trüpel erstaunlich, weil doch ansonsten dieselbe Klientel etwa bei Fragen der Globalisierung sich für strikte Regulierungen des freien Marktes bzw. des Freihandels einsetzen, damit soziale und ökologische Standards gewährleistet werden. Dieser Interpretation widerspreche ich. Das Einsetzen für soziale und ökologische Regulierungen entspringt demselben Freiheitsbegriff: Freiheit erfordert, dass der Einzelne die Konsequenzen seiner Entscheidungen überschauen, bewerten, und verantworten kann. Bei Vorliegen von Externalitäten und Informationsasymmetrien gewährleistet aber der Markt und dessen Preissystem dies aber gerade nicht. Mit zunehmender Globalisierung wird es sogar immer schwieriger, die globalen Handlungsfolgen z.B. von Konsumentscheidungen zu verantworten, da sie sich nur sehr unzureichend im Preissystem widerspiegeln und somit die souveräne freie Entscheidung letztlich unterminieren. Die Begriffe „freier Markt“ und „Freihandel“, verstanden als ein möglichst unreguliertes System, sind ein völliges Missverständnis. Wer regulatorische Umweltstandards als „Hemmnis für den Freihandel“ bezeichnet, versteht von Allokationstheorie und dem Funktionieren von Märkten nichts. Hier kann man der angesprochenen Klientel also ein ein aufgeklärtes modernes Verständnis von Freiheit und Liberalismus zusprechen, was Frau Trüpel auch tut.

Mit demselben Freiheitsverständnis kann man nun fragen, wie es um die Macht der Digitalkonzerne und -plattformen bestellt ist und wie eine Gesellschaft regulatorisch bzw. ordnungsökonomisch darauf antworten soll. Die diesbezügliche Beschlussvorlage des Europaparlaments, dem Frau Trüpel zuzustimmen gedenkt, sieht vor, dass Digitalplattformen selbst, nicht nur die Nutzer, welche urheberrechtlich geschütztes Material hochladen, für die Urheberrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden. Daher sollen sie verpflichtet werden, Uploadfilter zu verwenden. In der Tat gibt es bereits Technologien, die von Google entwickelt und bei Youtube eingesetzt werden, welche Grundlage für solche Filter sein könnten (ContentID). Kritiker befürchten das Entstehen einer „Zensurmaschine“. Frau Trüpel wiederum weist dies zurück und argumentiert, dass es hier um Fairness gegenüber den Urhebern und nicht um Zensur ginge, und unterstellt den Kritikern unnötigerweise ein anarchistisches Freiheitsverständnis, also letztlich fehlenden Respekt vor den Kreativen. Das ist leider außerordentlich schlicht, zumal auch der sonstige Aufbau ihres FAZ-Beitrags logisch holpert. In zahlreichen Kommentaren, u.a. auch in der FAZ oder im Deutschlandfunk, wurde auf mehrere sehr gut begründbare Probleme dieser Filtertechnologie hingewiesen, die das eigentliche Ziel ggf. sogar unterminieren können. Auf all dies geht Frau Trüpel gar nicht ein. Sie wägt kein Für und Wider ab, sie stellt den Chancen der Zielerreichung nicht die Risiken von Kollateralschänden gegenüber. Als Politiker*in fühlt man sich vermutlich wirkmächtig, wenn man etwas beschließen kann, was die ökonomische und gesellschaftliche Realität gegen die Interessen der Großkonzerne verändert. Das übt einen großen Reiz aus, der einen leicht verdrängen lässt, wie wenig man als Politiker*in über die Details digitaler Technologien und deren ökonomischen Anreizwirkungen letztlich weiß. Nur zur Erinnerung seien ein paar Stichpunkte zu den Uploadfiltern genannt:

  • Diese Technologie ist sehr aufwändig, aber zwingend notwendig, wenn sich Konzerne vor Klagen gegen Urheberrechtsverletzungen schützen müssen. Um Millionen oder Milliarden von Content-Schnipseln auf etwaige Rechtsverletzungen zu überprüfen, müssen Algorithmen eingesetzt werden, die KI-basiert erlernen, wann es sich um eine Rechtsverletzung handelt. Wegen dieses sehr hohen Know-Hows und technologischen Aufwandes werden sich kleine Anbieter das nicht leisten können. Die Macht der ohnehin schon sehr großen Konzerne wirkt gestärkt, da nun kaum überwindbare Markteintrittsbarrieren bestehen.
  • Die Algorithmen werden nie perfekt in ihrem Urteil sein. Es wird Fehler erster und zweiter Ordnung geben (zulässiger Content wird falsch als unzulässig erkannt, unzulässiger Content wird falsch als zulässig erkannt). Da der zweite Fehler dem Konzern teuer zu stehen kommen kann, wird im Zweifel lieber viel zu viel als unzulässig aussortiert. Daher die Befürchtung der „Zensur“. Beispiele für Überfilterung finden sich täglich in den Medien. Da solche Digitalplattformen faktisch zu einer Infrastruktur gesellschaftlichen Austauschs geworden sind, muss mindestens ein Recht bestehen, zu Unrecht gefilterten Content doch wieder hochladen zu können.
  • Die Befürworter verwenden meist die sehr schlichten Beispiele um ihre Position zu begründen, etwa das unzulässige Hochladen eines Musikvideos von Beyoncé, wo auch der einfältigste Bürger einsehen kann, dass das nicht in Ordnung ist. Aber was ist, wenn diese Musik, vom Algorithmus gerade noch so identifizierbar, im Hintergrund eines privaten Partyvideos zu hören ist? Oder wenn jemand diesen Song nachspielt oder parodiert oder nur auf der Straße pfeift? Was ist mit verfremdeten, z.B. parodierenden Filmsequenzen? Das Urheberrecht gilt auch für Texte: Was ist mit dem Zitatrecht? Usw. usw. Es gibt sehr viele Beispiele, die nur auf den ersten Blick als konstruiert wirken, die aber einen sehr großen Teil gesellschaftlicher Debattenkultur und Kreativität ausmachen. Es reicht hier nicht darauf zu verweisen, dass es Beyoncé ganz sicher nicht darum geht, solche Dinge zu unterbinden. Es liegt gar nicht in der Hand von Beyoncé, sondern in der Hand ihrer Rechteverwerter sowie in der Hand der Abmahnindustrie. Also im Zweifel: lieber den Filter zu scharf stellen!
  • Der Schutz der Kreativen im Bereich Musik, Film, Text usw. ist außerordentlich wichtig und die Notwendigkeit einer fairen Vergütung sollte nicht bezweifelt werden. Da ist Frau Trüpel unbedingt zuzustimmen. Die Gesellschaft ist auf Kreative angewiesen. Was bei digitalen Gütern jedoch „fair“ bedeutet, ist nicht a priori klar und eindeutig. Das Reklamieren des Begriffes „fair“ für die eigene Position immunisiert diese und delegitimiert die Gegenposition. Das kann problematisch werden. Ich möchte daran erinnern, dass in aller Regel nicht die Kreativen unmittelbar, sondern deren Rechteverwerter von einer Vergütung profitieren. Diese verfügen ebenfalls über Marktmacht, und ihr Geschäftsmodell kann man zumindest teilweise als Extraktion von Renten verstehen. Die innere Anreizstruktur solcher Rechteverwerter führt häufig dazu, dass vor allem wenig erfolgreiche Kreative weit überproportional von Vergütungen profitieren („Superstar“-Phänomen), viele kleinere Kreative jedoch kaum oder gar nicht. Es sind daher Superstars wie Paul McCartney, die sich für die Verschärfung des Urheberrechts einsetzen, oder die Musikindustrie, die sich zum Anwalt des kleinen Künstlers aufschwingt. Man kann sich einmal umgekehrt die Frage stellen, ob ein Kreativer, der zwar jenseits der bekannten Plattformen gewisse Einnahmen mit seinen Leistungen generiert (oder auch nicht), auf den Plattformen sein Material sowie sämtlicher Content, den der Algorithmus irgendwie mit seinem geschützten Material in Verbindung bringt, aber geblockt wird, besser gestellt ist als jetzt. Würde er/sie das wollen? Technologien wie ContentID oder auch Experimente mit Blockchains könnten eine Möglichkeit bieten, jenseits kommerzieller Rechteverwerter einzelnen Kreativen die Möglichkeit zu geben, die Nutzung der Werke besser zu kontrollieren und ggf. Einnahmen zu generieren. Solche Ansätze entwickeln sich aber aus dem Know-How der Tech-Unternehmen heraus, nicht aus der staatlichen Regulierung derselben, die in ihrer ordnungsökonomischen Phantasielosigkeit erstarrt ist.

Das zweite große Gebiet der EU-Urheberrechtsreform ist das Leistungsschutzrecht, welches Digitalkonzerne dazu zwingen soll, für Text-Content (in erster Linie sind das Überschriften und Teaser von Nachrichten von Journalisten bzw. deren Zeitungsverlagen) etwas zu bezahlen. Ein solches Leistungsschutzrecht gibt es in Deutschland bereits, und es ist wirkungslos geblieben. Zwar muss z.B. Google („Google News“) Lizenzen erwerben, um das Recht zu erhalten, solche Überschriften und Teaser im eigenen Dienstleistungsangebot verwenden zu dürfen. Jedoch hat Google die Zeitungsverlage quasi gezwungen, solche Lizenzen kostenlos zu erteilen. Ansonsten würde man eben Nachrichten des betreffenden Zeitungsverlages bei „Google News“ einfach nicht mehr zeigen. Die Befürworter eines europäischen Leistungschutzrechtes argumentieren, dass die Gegenmacht der Verlage natürlich sehr viel größer werde, wenn dieses Recht nunmehr europaweit gelte. Man könne dann viel eher „auf Augenhöhe“ verhandeln. Auf den ersten Blick wirkt das überzeugend, und Politiker*innen genügt in aller Regel nur der erste Blick. Man stelle sich zwei Fragen:

  • Warum nur waren deutsche Zeitungsverleger bereit, Google solche Lizenzen kostenlos zu geben? Verleger erzielen Rückflüsse aus dem physischen Verkauf der Zeitungen und Zeitschriften, von Digital-Abos, vor allem aber durch Werbeeinnahmen und ggf. dem Verkauf von Nutzeer(meta)daten an Analysefirmen im Fall des Online-Angebotes. Google News hilft dabei, Nutzer auf die eigenen News-Seiten zu bekommen um dort Klicks und Werbeeinnahmen zu generieren. Davon profitieren die Verlage offenbar in dem Maße, das es ihnen profitabel erscheinen lässt, auf Lizenzeinnahmen zu verzichten statt nicht gelistet zu werden. Ökonomisch gesehen gibt es also bereits auch ohne Leistungsschutzrecht einen Preis für die Nutzung des digitalen Gutes, auch wenn hier keine monetären Zahlungen von Google erfolgen, aber doch eine digitale Leistung, die kein Verlag missen möchte. Es wäre sogar denkbar, dass Google eine Gebühr dafür verlangt, bei „Google News“ gelistet zu werden. In ähnlicher Weise zahlen Nutzer von Google Maps oder der anderen Diensten keinen monetären Preis, sie zahlen mit ihren Daten, welche die Konzerne außerordentlich erfolgreich verwerten. Das ökonomische Verständnis von Anreizstrukturen und Austauschbeziehungen ist eben ein wenig anders und komplexer als bei nicht-digitalen Gütern. Dennoch versuchen Politiker, das althergebrachte Instrumentarium des Urheber- und Leistungsschutzrechtes in derselben Weise auch im digitalen Bereich anzuwenden und verstehen dieses dann als „zeitgemäße Anpassung an die neuen digitalen Herausforderungen“. Im Grunde entstammen die Analyse- und Begründungsmuster aber noch aus der Zeit der Lehrbuch-Ökonomik nicht-digitaler Güter. Das trifft trotz ihrer lobenswerten Grundhaltung auch auf Frau Trüpel zu.
  • Wenn nun ein EU-Leistungsschutzrecht gilt, was würde sich substanziell an den ökonomischen Abwägungen der Verlage ändern? Das Argument, nunmehr „auf Augenhöhe“, also mit ähnlicher Marktmacht verhandeln zu können, setzt voraus, das sich alle Verlage zu einem Verhandlungskartell zusammenschließen – ordnungsökonomisch problematisch, wenn auch vielleicht tolerierbar im Sinn der „countervailing power“. Möglicherweise gelingt es tatsächlich, Google zu Lizenzzahlungen zu bewegen. Es ist aber mindestens ebenso wahrscheinlich, dass Google News in Europa ohnehin nicht gerade der große Profitbringer ist und dann kurzerhand eingestellt wird, weil man keine Lust hat mit einem europäischen Verlegerkartell zu verhandeln. Oder man listet nur noch nicht-europäische Konkurrenten. Das wäre dann ein toller Erfolg des Gesetzes. Um der Gefahr, dann eben weniger Klicks und weniger Werbeeinnahmen zu bekommen, besteht für einzelne Verlage dann der starke Anreiz, sich aus ökonomischem Eigeninteresse heraus aus dem Kartell zu verabschieden und Google wieder eine Gratislizenz anzubieten.

Ich wünsche mir, dass sich gewählte Politiker*innen nicht bloß mit dem Augenscheinlichen, dem ersten Blick, dem Vordergründigen, dem was sich technisch uninformierten Bürgern gut verkaufen lässt, begnügen. Kluge regulatorische Antworten auf neue digitale Herausforderungen erfordern leider eine Auseinandersetzung mit technischen und ökonomischen Detailfragen und dem mühseligen Abwägen von erwünschten Effekten und unerwünschten Kollateralschäden. Es ist nicht damit getan, mit großer Geste den Kritikern der eigenen Symbolpolitik einen „falschen Freiheitsbegriff“, Geringachtung der Kreativen und mangelnde Fairness zu unterstellen.

Werbung auf SPIEGEL online: Leser, zieh blank!

Keine Frage: Journalismus kostet und muss sich finanzieren. Das geschieht im Online-Bereich größtenteils über Werbung. Kein Wunder, dass Adblocker im Browser den Verlagen ein Dorn im Auge sind, und sie Technologien entwickeln, solche Adblocker zu entdecken und Content gegebenenfalls zu sperren. Wie beim Hase-Igel-Wettlauf werden die Browser-Plugins immer raffinierter im Filtern unerwünschten Contents, die Betreiber der Webseiten rüsten aber ebenfalls technisch auf. Weil der Wettlauf technisch schwierig zu gewinnen ist, ist der Axel-Springer-Verlag vor einiger Zeit auf die Idee gekommen, juristisch gegen das Blocken vorzugehen. In der allgegenwärtigen Abmahnindustrie fanden sich natürlich sofort geschäftstüchtige Advokaten, deren abenteuerliche Argumentation bei IT-Experten und auch Ökonomen teils ungläubiges Gelächter, teils Gänsehaut hervorrufen. Jedenfalls ist die Melange aus Tumbheit und Perfidie faszinierend.

Dabei geht es längst nicht nur um ein paar Werbeanzeigen, die man als Leser vielleicht noch zu ertragen bereit wäre. Werbung wird nicht nur massiver und nervtötender (bewegte Bilder, Flackern, Popup-Fenster), sondern sie beruht zunehmend auf umfassenden Tracking-Technologien, die die Privatsphäre untergraben um möglichst personalisierte Werbung schalten zu können. Das setzt entsprechende Schnittstellen zu Analyseplattformen voraus, die stets im Hintergrund laufen, wenn man z.B. bei SPIEGEL online, aber im Prinzip auch auf allen anderen Medienportalen die Tagesnachrichten liest.

Nachdem lange Zeit das Plugin uMatrix von SPIEGEL online entweder nicht erkannt oder aber toleriert wurde, so erscheint nunmehr ein alles verdeckendes Popup-Fenster, welches nicht nur einfach fordert den Adblocker auszuschalten, sondern darüber hinaus informiert: “Sie haben gar keinen Adblocker oder bereits eine Ausnahme hinzugefügt? Bitte prüfen Sie, ob Sie ähnliche Erweiterungen, Do-not-Track-Funktionen oder den Inkognito-Modus aktiviert haben, die ebenfalls Werbung unterdrücken. Nutzen Sie einen Script-Blocker wie uBlock Origin oder Ghostery? Dieser könnte fälschlicherweise als Adblocker erkannt werden, wenn er entsprechend eingerichtet ist. Bitte prüfen Sie in den Einstellungen des Script-Blockers, ob auch Werbung unterdrückt wird, und erstellen Sie dort eine Ausnahmeregel für SPIEGEL ONLINE.“ (Fettdruck von mir)

Im Klartext: Sie müssen sich tracken lassen! Sie dürfen nicht inkognito lesen! Sie müssen im Prinzip alle Skripte zulassen, mit denen wir Informationen, die wir über Ihr Verhalten tracken, mit zahlreichen Datenanalyse-Firmen austauschen. Ziehen Sie blank und pfeifen Sie auf Privatsphäre! Wir können mit Werbung nur dann etwas verdienen, wenn wir genau das machen, was die Werbeindustrie technisch kann und deshalb von uns verlangt: Sie bis aufs Knochenmark zu durchleuchten und die Informationen für immer effektivere Werbung nutzbar machen.

Eine gezielte Konfiguration der Plugins dergestalt, dass nur bestimmte Skripte oder Cookies zugelassen werden, welche die Funktionalität der Webseite gewährleisten, andere aber nicht, ist praktisch aussichtslos. Die entsprechende Aufforderung von SPIEGEL, die “Einstellungen des Blockers zu prüfen”, kann jemand, der nicht Informatik studiert hat, nur als völlig naiv (oder perfide) belächeln: Es sind Dutzende Cookies und Skripte und APIs, die aktiv sind und die sich zudem permanent ändern, so dass man faktisch alles zulassen muss. Siehe dazu die kleine uMatrix-Tabelle am Ende des Textes, welche nur eine kleine Momentaufnahme darstellt, die sich beim weiteren Surfen ständig ändert. Wer keine unfreiwillige Interaktion mit Datenfirmen wie Doubleclick, Emetriq, Meetrics, Emsmobile, Parse.ly, Optimizely, GoogleAnalytics usw. möchte (siehe unten), muss sich offenbar den kompletten SPIEGEL physisch am Kiosk kaufen, selbst wenn einen nur ein oder zwei Artikel interessieren.

Neben dem furchtbaren Werbemüll, der für mich eine Geißel der Menschheit ist, und neben dem beklemmenden Gefühl nicht zu wissen, wenn man SPIEGEL online (oder andere Seiten) liest, wer jetzt gerade im Moment welche Informationen über mein Lese- bzw. Klickverhalten bekommt, um raffiniertere Manipulationsmöglichkeiten auszuschöpfen, gibt es ein weiteres Ärgernis: Wenn sich auf SPIEGEL online kritische Journalisten ach so kritisch mit den Gefahren von Google, Facebook und Amazon auseinandersetzen, die Gefahren der Durchleuchtung der Kunden und Nutzer, der Monopolisierung der Metadaten, deren Auswertung mit KI-Methoden durch die Datenindustrie usw. usw. diskutieren, dann sage ich dem Autor nur: Junge (oder Mädel), du weißt aber schon, dass du hier auf einem Medium schreibst, welches mit Haut und Haar Teil dessen ist, was du hier kritisierst, dass ich deinen technik- und industriekritischen Artikel nur lesen kann, weil ich zulasse, dass mich die von dir kritisierte Werbe- und Datenindustrie jetzt gerade ausforscht, und dass du dein Gehalt oder Tantieme von SPIEGEL online auch nur deshalb bekommst? Was soll ich da von deiner Glaubwürdigkeit halten?

Wenn Leitmedien gerne auf die wichtige gesellschaftliche Funktion von “gutem Journalismus” verweisen, dann nehme ich mal an, dass sie Werbung eher als notwendiges Übel betrachten, weil sie eben Geld verdienen müssen. Wer möchte schon freiwillig seinen gut recherchierten Text mit blinkendem bunten Ramsch verunstalten? Und wer möchte schon, während man im Text den Leser im Geiste der Aufklärung informiert und so zur Selbstbestimmung mündiger Bürger beiträgt, ihn durch die im Hintergrund werkelnden Algorithmen die Kontrolle über seine Handlungskonsequenzen entziehen und unfreiwillig zur Verfeinerung manipulativer Mechanismen beitragen lassen?

Aber leider reicht die unternehmerische Fantasie offenbar nicht aus, um andere Modelle zu entwickeln, um sich vom Klammergriff der Datenindustrie zu emanzipieren. Die digitalen Bezahlmodelle (wie der “Tagespass” oder der “Wochenpass”) sind ein guter Anfang. Damit bekommt man interessanten Content hinter der Paywall. Aber von Werbung und Tracking wird man selbst dann nicht verschont. Wieso nicht? Dass Leser, die im 21. Jahrhundert Wert auf Privatsphäre und Datensouveränität legen, für “guten Journalismus” quasi gezwungen sind auf Printmedien vom Kiosk zurückzugreifen, weil die Verlage im Onlinebereich bereits zu abhängig von der Datenindustrie sind und zu unfähig  sich aus dieser Abhängigkeit zu lösen, mutet geradezu dystopisch an.

PS: Der Text bezieht sich zwar auf SPIEGEL online, andere Nachrichtenportale sind aber auch nicht viel besser. Jedoch war die oben zitierte völlig unverhohlene dreiste Aufforderung, Do-not-track und Incognito-Modus abzuschalten, ausschlaggebend für die Wahl des Adressaten. An die SPIEGEL-Redaktion zu schreiben ist übrigens zwecklos; man erhält eine Textbaustein-Antwort mit dem zu erwartenden Blabla.

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