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Urheberrecht im digitalen Zeitalter

In ihrem Kommentar „Es geht um Fairness – nicht um Zensur“ in der FAZ vom 4.7.2018 plädiert die Stellvertretende Vorsitzende des Kulturausschusses des Europäischen Parlaments, Helga Trüpel, wie schon bereits in früheren Kommentaren, für eine starke ordnungsökonomische Antwort der Gesellschaft auf die Macht der Digitalkonzerne. Die Spielregeln im Umgang mit Daten und in diesem Fall auch mit den Urheberrechten sollten nicht von den großen Plattformen diktiert werden, sondern müssten gesellschaftliche gestaltet und für diese Konzerne verbindlich durchsetzbar gemacht werden. Wer den „digitalen Kapitalismus“ mit den Spielregeln der Sozialen Marktwirtschaft zähmen will, muss auf neue technologische Entwicklungen neue ordnungsökonomische Antworten entwickeln. Soweit die sehr überzeugende Grundhaltung von Frau Trüpel, die ich teile.

Sie kündigt an, im Europaparlament deshalb für die Vorschläge des Rechtsausschusses zur Reform des EU-Urheberrechts zu stimmen. Sie begründet dies mit der Fairness gegenüber den Kreativen, deren Schöpfungen von Digitalplattformen indirekt enorm erfolgreich vermarktet werden, an diesem Erfolg jedoch nicht fair partizipieren. Auch dieser Gedanke ist im Großen und Ganzen richtig. Der Teufel steckt jedoch im Detail, und hier macht es sich Frau Trüpel leider sehr einfach, auch wenn sie mit dem Rekurs auf den philosophischen Freiheitsbegriff und dem Berufen auf ordnungsökonomische Grundsätze versucht, die eher schlichten Argumente intellektuell zu veredeln.

Sie diagnostiziert, dass viele aus der „Netzgemeinde“, die sich gegen ein strengeres, auf die Digitalwirtschaft ausgelegtes Urheberrecht aussprechen, einem anarchistischen und letztlich „neoliberalen“ Freiheitsbegriff „auf den Leim gehen“. Diesen radikalen Freiheitsbegriff findet Frau Trüpel erstaunlich, weil doch ansonsten dieselbe Klientel etwa bei Fragen der Globalisierung sich für strikte Regulierungen des freien Marktes bzw. des Freihandels einsetzen, damit soziale und ökologische Standards gewährleistet werden. Dieser Interpretation widerspreche ich. Das Einsetzen für soziale und ökologische Regulierungen entspringt demselben Freiheitsbegriff: Freiheit erfordert, dass der Einzelne die Konsequenzen seiner Entscheidungen überschauen, bewerten, und verantworten kann. Bei Vorliegen von Externalitäten und Informationsasymmetrien gewährleistet aber der Markt und dessen Preissystem dies aber gerade nicht. Mit zunehmender Globalisierung wird es sogar immer schwieriger, die globalen Handlungsfolgen z.B. von Konsumentscheidungen zu verantworten, da sie sich nur sehr unzureichend im Preissystem widerspiegeln und somit die souveräne freie Entscheidung letztlich unterminieren. Die Begriffe „freier Markt“ und „Freihandel“, verstanden als ein möglichst unreguliertes System, sind ein völliges Missverständnis. Wer regulatorische Umweltstandards als „Hemmnis für den Freihandel“ bezeichnet, versteht von Allokationstheorie und dem Funktionieren von Märkten nichts. Hier kann man der angesprochenen Klientel also ein ein aufgeklärtes modernes Verständnis von Freiheit und Liberalismus zusprechen, was Frau Trüpel auch tut.

Mit demselben Freiheitsverständnis kann man nun fragen, wie es um die Macht der Digitalkonzerne und -plattformen bestellt ist und wie eine Gesellschaft regulatorisch bzw. ordnungsökonomisch darauf antworten soll. Die diesbezügliche Beschlussvorlage des Europaparlaments, dem Frau Trüpel zuzustimmen gedenkt, sieht vor, dass Digitalplattformen selbst, nicht nur die Nutzer, welche urheberrechtlich geschütztes Material hochladen, für die Urheberrechtsverletzungen verantwortlich gemacht werden. Daher sollen sie verpflichtet werden, Uploadfilter zu verwenden. In der Tat gibt es bereits Technologien, die von Google entwickelt und bei Youtube eingesetzt werden, welche Grundlage für solche Filter sein könnten (ContentID). Kritiker befürchten das Entstehen einer „Zensurmaschine“. Frau Trüpel wiederum weist dies zurück und argumentiert, dass es hier um Fairness gegenüber den Urhebern und nicht um Zensur ginge, und unterstellt den Kritikern unnötigerweise ein anarchistisches Freiheitsverständnis, also letztlich fehlenden Respekt vor den Kreativen. Das ist leider außerordentlich schlicht, zumal auch der sonstige Aufbau ihres FAZ-Beitrags logisch holpert. In zahlreichen Kommentaren, u.a. auch in der FAZ oder im Deutschlandfunk, wurde auf mehrere sehr gut begründbare Probleme dieser Filtertechnologie hingewiesen, die das eigentliche Ziel ggf. sogar unterminieren können. Auf all dies geht Frau Trüpel gar nicht ein. Sie wägt kein Für und Wider ab, sie stellt den Chancen der Zielerreichung nicht die Risiken von Kollateralschänden gegenüber. Als Politiker*in fühlt man sich vermutlich wirkmächtig, wenn man etwas beschließen kann, was die ökonomische und gesellschaftliche Realität gegen die Interessen der Großkonzerne verändert. Das übt einen großen Reiz aus, der einen leicht verdrängen lässt, wie wenig man als Politiker*in über die Details digitaler Technologien und deren ökonomischen Anreizwirkungen letztlich weiß. Nur zur Erinnerung seien ein paar Stichpunkte zu den Uploadfiltern genannt:

  • Diese Technologie ist sehr aufwändig, aber zwingend notwendig, wenn sich Konzerne vor Klagen gegen Urheberrechtsverletzungen schützen müssen. Um Millionen oder Milliarden von Content-Schnipseln auf etwaige Rechtsverletzungen zu überprüfen, müssen Algorithmen eingesetzt werden, die KI-basiert erlernen, wann es sich um eine Rechtsverletzung handelt. Wegen dieses sehr hohen Know-Hows und technologischen Aufwandes werden sich kleine Anbieter das nicht leisten können. Die Macht der ohnehin schon sehr großen Konzerne wirkt gestärkt, da nun kaum überwindbare Markteintrittsbarrieren bestehen.
  • Die Algorithmen werden nie perfekt in ihrem Urteil sein. Es wird Fehler erster und zweiter Ordnung geben (zulässiger Content wird falsch als unzulässig erkannt, unzulässiger Content wird falsch als zulässig erkannt). Da der zweite Fehler dem Konzern teuer zu stehen kommen kann, wird im Zweifel lieber viel zu viel als unzulässig aussortiert. Daher die Befürchtung der „Zensur“. Beispiele für Überfilterung finden sich täglich in den Medien. Da solche Digitalplattformen faktisch zu einer Infrastruktur gesellschaftlichen Austauschs geworden sind, muss mindestens ein Recht bestehen, zu Unrecht gefilterten Content doch wieder hochladen zu können.
  • Die Befürworter verwenden meist die sehr schlichten Beispiele um ihre Position zu begründen, etwa das unzulässige Hochladen eines Musikvideos von Beyoncé, wo auch der einfältigste Bürger einsehen kann, dass das nicht in Ordnung ist. Aber was ist, wenn diese Musik, vom Algorithmus gerade noch so identifizierbar, im Hintergrund eines privaten Partyvideos zu hören ist? Oder wenn jemand diesen Song nachspielt oder parodiert oder nur auf der Straße pfeift? Was ist mit verfremdeten, z.B. parodierenden Filmsequenzen? Das Urheberrecht gilt auch für Texte: Was ist mit dem Zitatrecht? Usw. usw. Es gibt sehr viele Beispiele, die nur auf den ersten Blick als konstruiert wirken, die aber einen sehr großen Teil gesellschaftlicher Debattenkultur und Kreativität ausmachen. Es reicht hier nicht darauf zu verweisen, dass es Beyoncé ganz sicher nicht darum geht, solche Dinge zu unterbinden. Es liegt gar nicht in der Hand von Beyoncé, sondern in der Hand ihrer Rechteverwerter sowie in der Hand der Abmahnindustrie. Also im Zweifel: lieber den Filter zu scharf stellen!
  • Der Schutz der Kreativen im Bereich Musik, Film, Text usw. ist außerordentlich wichtig und die Notwendigkeit einer fairen Vergütung sollte nicht bezweifelt werden. Da ist Frau Trüpel unbedingt zuzustimmen. Die Gesellschaft ist auf Kreative angewiesen. Was bei digitalen Gütern jedoch „fair“ bedeutet, ist nicht a priori klar und eindeutig. Das Reklamieren des Begriffes „fair“ für die eigene Position immunisiert diese und delegitimiert die Gegenposition. Das kann problematisch werden. Ich möchte daran erinnern, dass in aller Regel nicht die Kreativen unmittelbar, sondern deren Rechteverwerter von einer Vergütung profitieren. Diese verfügen ebenfalls über Marktmacht, und ihr Geschäftsmodell kann man zumindest teilweise als Extraktion von Renten verstehen. Die innere Anreizstruktur solcher Rechteverwerter führt häufig dazu, dass vor allem wenig erfolgreiche Kreative weit überproportional von Vergütungen profitieren („Superstar“-Phänomen), viele kleinere Kreative jedoch kaum oder gar nicht. Es sind daher Superstars wie Paul McCartney, die sich für die Verschärfung des Urheberrechts einsetzen, oder die Musikindustrie, die sich zum Anwalt des kleinen Künstlers aufschwingt. Man kann sich einmal umgekehrt die Frage stellen, ob ein Kreativer, der zwar jenseits der bekannten Plattformen gewisse Einnahmen mit seinen Leistungen generiert (oder auch nicht), auf den Plattformen sein Material sowie sämtlicher Content, den der Algorithmus irgendwie mit seinem geschützten Material in Verbindung bringt, aber geblockt wird, besser gestellt ist als jetzt. Würde er/sie das wollen? Technologien wie ContentID oder auch Experimente mit Blockchains könnten eine Möglichkeit bieten, jenseits kommerzieller Rechteverwerter einzelnen Kreativen die Möglichkeit zu geben, die Nutzung der Werke besser zu kontrollieren und ggf. Einnahmen zu generieren. Solche Ansätze entwickeln sich aber aus dem Know-How der Tech-Unternehmen heraus, nicht aus der staatlichen Regulierung derselben, die in ihrer ordnungsökonomischen Phantasielosigkeit erstarrt ist.

Das zweite große Gebiet der EU-Urheberrechtsreform ist das Leistungsschutzrecht, welches Digitalkonzerne dazu zwingen soll, für Text-Content (in erster Linie sind das Überschriften und Teaser von Nachrichten von Journalisten bzw. deren Zeitungsverlagen) etwas zu bezahlen. Ein solches Leistungsschutzrecht gibt es in Deutschland bereits, und es ist wirkungslos geblieben. Zwar muss z.B. Google („Google News“) Lizenzen erwerben, um das Recht zu erhalten, solche Überschriften und Teaser im eigenen Dienstleistungsangebot verwenden zu dürfen. Jedoch hat Google die Zeitungsverlage quasi gezwungen, solche Lizenzen kostenlos zu erteilen. Ansonsten würde man eben Nachrichten des betreffenden Zeitungsverlages bei „Google News“ einfach nicht mehr zeigen. Die Befürworter eines europäischen Leistungschutzrechtes argumentieren, dass die Gegenmacht der Verlage natürlich sehr viel größer werde, wenn dieses Recht nunmehr europaweit gelte. Man könne dann viel eher „auf Augenhöhe“ verhandeln. Auf den ersten Blick wirkt das überzeugend, und Politiker*innen genügt in aller Regel nur der erste Blick. Man stelle sich zwei Fragen:

  • Warum nur waren deutsche Zeitungsverleger bereit, Google solche Lizenzen kostenlos zu geben? Verleger erzielen Rückflüsse aus dem physischen Verkauf der Zeitungen und Zeitschriften, von Digital-Abos, vor allem aber durch Werbeeinnahmen und ggf. dem Verkauf von Nutzeer(meta)daten an Analysefirmen im Fall des Online-Angebotes. Google News hilft dabei, Nutzer auf die eigenen News-Seiten zu bekommen um dort Klicks und Werbeeinnahmen zu generieren. Davon profitieren die Verlage offenbar in dem Maße, das es ihnen profitabel erscheinen lässt, auf Lizenzeinnahmen zu verzichten statt nicht gelistet zu werden. Ökonomisch gesehen gibt es also bereits auch ohne Leistungsschutzrecht einen Preis für die Nutzung des digitalen Gutes, auch wenn hier keine monetären Zahlungen von Google erfolgen, aber doch eine digitale Leistung, die kein Verlag missen möchte. Es wäre sogar denkbar, dass Google eine Gebühr dafür verlangt, bei „Google News“ gelistet zu werden. In ähnlicher Weise zahlen Nutzer von Google Maps oder der anderen Diensten keinen monetären Preis, sie zahlen mit ihren Daten, welche die Konzerne außerordentlich erfolgreich verwerten. Das ökonomische Verständnis von Anreizstrukturen und Austauschbeziehungen ist eben ein wenig anders und komplexer als bei nicht-digitalen Gütern. Dennoch versuchen Politiker, das althergebrachte Instrumentarium des Urheber- und Leistungsschutzrechtes in derselben Weise auch im digitalen Bereich anzuwenden und verstehen dieses dann als „zeitgemäße Anpassung an die neuen digitalen Herausforderungen“. Im Grunde entstammen die Analyse- und Begründungsmuster aber noch aus der Zeit der Lehrbuch-Ökonomik nicht-digitaler Güter. Das trifft trotz ihrer lobenswerten Grundhaltung auch auf Frau Trüpel zu.
  • Wenn nun ein EU-Leistungsschutzrecht gilt, was würde sich substanziell an den ökonomischen Abwägungen der Verlage ändern? Das Argument, nunmehr „auf Augenhöhe“, also mit ähnlicher Marktmacht verhandeln zu können, setzt voraus, das sich alle Verlage zu einem Verhandlungskartell zusammenschließen – ordnungsökonomisch problematisch, wenn auch vielleicht tolerierbar im Sinn der „countervailing power“. Möglicherweise gelingt es tatsächlich, Google zu Lizenzzahlungen zu bewegen. Es ist aber mindestens ebenso wahrscheinlich, dass Google News in Europa ohnehin nicht gerade der große Profitbringer ist und dann kurzerhand eingestellt wird, weil man keine Lust hat mit einem europäischen Verlegerkartell zu verhandeln. Oder man listet nur noch nicht-europäische Konkurrenten. Das wäre dann ein toller Erfolg des Gesetzes. Um der Gefahr, dann eben weniger Klicks und weniger Werbeeinnahmen zu bekommen, besteht für einzelne Verlage dann der starke Anreiz, sich aus ökonomischem Eigeninteresse heraus aus dem Kartell zu verabschieden und Google wieder eine Gratislizenz anzubieten.

Ich wünsche mir, dass sich gewählte Politiker*innen nicht bloß mit dem Augenscheinlichen, dem ersten Blick, dem Vordergründigen, dem was sich technisch uninformierten Bürgern gut verkaufen lässt, begnügen. Kluge regulatorische Antworten auf neue digitale Herausforderungen erfordern leider eine Auseinandersetzung mit technischen und ökonomischen Detailfragen und dem mühseligen Abwägen von erwünschten Effekten und unerwünschten Kollateralschäden. Es ist nicht damit getan, mit großer Geste den Kritikern der eigenen Symbolpolitik einen „falschen Freiheitsbegriff“, Geringachtung der Kreativen und mangelnde Fairness zu unterstellen.