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Google, Facebook und die Medien

Mit neuen Mediengesetzen versucht Australien digitale Plattformen wie Google oder Facebook für die Nutzung von Medieninhalten zur Kasse zu bitten, indem diese verpflichtet werden, generierte Werbeeinnahmen mit den Verlagen zu teilen, deren Inhalte sie indirekt nutzen. Kanada folgt dem Beispiel, und auch die EU folgt mit dem Leistungsschutzrecht im Digitalbereich derselben Philosophie.

Eine Argumentationsfigur ist, dass digitale Plattformen an dem Medien-Content der Verlage bislang (indirekt) verdienen, ohne einen Teil dieser Einnahmen an diese abzugeben. Ohne Einnahmen auch aus der digitalen Verwertung des Contents hätten Journalisten und andere Medienschaffende wirtschaftliche Probleme, und die Medienvielfalt sei bedroht. Wahlweise wird die Forderung nach einem Transfer eines Teils der Werbeeinnahmen begründet mit Fairness-Argumenten (digitale Plattformen erzielen Gewinn aufgrund der unentgeltlich genutzten Leistungen Dritter), Argumenten gesellschaftlicher Verantwortung aufgrund der schieren Größe (digitale Plattformen tragen Mitverantwortung für Meinungs- und Pressefreiheit einschließlich deren wirtschaftlichen Grundlagen), oder auch dem ökonomischen Argument, dass es sich bei der Nutzung von Medieninhalten um die Nutzung eines öffentlichen Gutes handele, wo ja gerade das Problem darin besteht, dass keine Kompensation über das Preissystem erfolgt. Und dieses Problem kann man mit einer Verpflichtung zu einer Kompensation lösen. Einem Teil des Publikums dürfte eine sorgfältige Analyse der Stichhaltigkeit solcher Argumentationen egal sein, weil alles, was irgendwie gegen diese Großunternehmen gerichtet ist, automatisch auf der „moralisch guten“ Seite ist. Für alle anderen hier eine lose Sammlung von Fragen und Anmerkungen, ohne dazu eine abschließende Meinung zu haben:

Wie stellt man fest, welcher Teil der generierten Werbeeinnahmen zurückzuführen ist auf den Tatbestand, dass die Anbieter von Content im Google-Suchindex enthalten sind bzw. ungefragt diesen Content bei Facebook posten (lassen)? Interessant wäre hier die kontrafaktische Überlegung, um wieviel denn die Einnahmen zurückgehen würden, wenn solcher Content geblockt würde? In dem ersten australischen Gesetzentwurf war m.W. die Rede davon, dass im Fall einer Nicht-Einigung über Transferzahlungen eine unabhängige Jury darüber entscheiden solle (und „unabhängig“ meint wohl auch unabhängig von betriebswirtschaftlichen Kenntnissen von Googles internen Controllingdaten).

Werden nicht durch das Listen im Google-Suchindex und das Posten auf Facebook nicht auch Klicks auf den Webseiten der Medienschaffenden generiert? Oder zumindest die öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Medium gesteigert? Haben diese nicht ein ureigenes Interesse daran, auf den digitalen Plattformen vertreten zu sein? Falls ja, ist ihnen denn dieser Service, der ja ein rein privater Service (ohne Kontrahierungszwang!) ist, nicht etwas wert? Mit anderen Worten: kann es nicht sein, dass hier eine Win-Win-Situation vorliegt? Kann es sein, dass Gesetzgeber vielleicht kein ausreichendes Verständnis der Charakteristika digitaler Güter und digitaler Geschäftsmodelle haben?

Wenn diese Plattformen eine so essentielle Bedeutung für Meinungs- und Pressefreiheit erlangt haben, meint man damit, dass ohne diese wenigen amerikanischen privaten Unternehmen die freiheitlich-demokratische Grundordnung anderer Staaten keine eigene tragende Substanz mehr hat? Oder verkürzt gesagt: Gab es vor Google und Facebook keine ausreichende Meinungs- und Pressefreiheit? Gibt es Evidenz dafür, dass durch die Erlangung von Quasi-Monopolmacht weniger digitaler Plattformen Medienvielfalt und Pressefreiheit zurückgegangen sind? Und falls ja: Koinzidenz oder Kausalität? Man könnte auch die Frage stellen, welche Rolle lasch gehandhabtes Kartellrecht und kapitalmarkt-getriebene Medienkonzerne für die Medienvielfalt spielen – ganz unabhängig von digitalen Plattformen.

Und was die „gesellschaftliche Verantwortung“ angeht: Auch professionelle Medieninhalte verbreiten sich dank digitaler Plattformen viel schneller und weitreichender, wovon offene Gesellschaften profitieren. Wie sähe es mit dem „Arabischen Frühling“ oder „Fridays for Future“ aus, wenn es solche riesigen digitalen Plattformen nicht gäbe? Wenn der öffentliche Diskurs bisher an Dynamik gewonnen hat (nicht immer an Qualität, siehe Desinformation und Hasskommentare), und viele politisch Interessierte und Engagierte die heute bestehende Praxis der Verbreitung von Medieninhalten schätzen, kann man dann nicht davon ausgehen, dass es insgesamt eine Zahlungsbereitschaft für diesen Zustand gibt und mithin die bestehende Praxis nicht schon Ausdruck von gesellschaftlicher Verantwortung ist?

Wenn es lediglich darum geht, große und margenstarke Unternehmen irgendwie an gesellschaftlichen Aufgaben stärker zu beteiligen (habe nichts dagegen!), dann wäre eine Reform der Besteuerung multinationaler und digitaler Unternehmen wohl der plausibelste Weg statt speziellen Unternehmen, die leicht an den Pranger zu stellen sind, für spezielle gesellschaftliche Aufgaben in die Pflicht zu nehmen. Die Gründe, für die solche Plattformen durchaus an einen Pranger stellen kann – nämlich aggressive Steuervermeidung und Ausnutzung ihrer marktbeherrschenden Stellung in manchen Bereichen – sollten mit den Mitteln des Steuerrechts und des (durchaus reformbedürftigen) Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen angegangen werden.

Warum bieten die Verlage ihre Medieninhalte in einer Form an, die eine Nutzung durch digitale Plattformen überhaupt erst möglich macht? Sie könnten theoretisch sämtlichen Content hinter eine Paywall stellen. Google würde dann z.B. vielleicht nur die Zeitungsüberschriften finden, aber nicht mehr die Teaser. Wer diesen (bzw. den Artikel) lesen will, muss zur Webseite des Zeitung-Anbieters und etwas bezahlen. Erst der Umstand, dass als bewusste Entscheidung der Verlage Teaser und zum Teil Artikel frei zugänglich sind, macht diese erst zu einem öffentlichen Gut. Das wäre aber nicht zwingend. Daher kann man das Öffentliche-Gut-Argument schwerlich nutzen. In der „Natur“ des Gutes liegt nur die Nichtrivalität, nicht die Nicht-Ausschließbarkeit. Zudem besagt die ökonomische Literatur auch nur, dass im Fall eines öffentliches Gutes ein Mechanismus geschaffen werden sollte, der zu einem „sozial optimalen Angebot“ führt. Das muss nicht zwingend bedeuten, dass Nutzer einen administrierten Preis zahlen, der im Zweifel auch nichts mit der Zahlungsbereitschaften der Nutzer zu tun hat und somit nicht zum sozialen Optimum führt.

Es schließt sich die nächste Frage an, ob es neben den digitalen Plattformen nicht auch unzählige andere Verwerter dieses frei zugänglichen Contents gibt, die ebenfalls einen ökonomischen Vorteil daraus ziehen. Beispielsweise nutze ich Zeitungsartikel nicht nur als Konsumgut, sondern entnehme ihnen auch beruflich relevante Informationen, die einen (wenn auch nicht-pekuniären) Nutzen generieren, ohne dass ich dafür etwas zahlen muss. Sowohl mit dem Fairness-, als auch dem Öffentlichen-Gut-Argument könnte man argumentieren, dass alle, welche Medieninhalte vor der Paywall nutzen, zahlungspflichtig sind. Also auch ich.

Google hat Australien gedroht, die Suchfunktion für dieses Land zu sperren. Cleverer wäre es vielleicht gewesen, lediglich die australischen Verlagsangebote aus dem Suchindex oder zumindest aus „Google News“ zu nehmen, ähnlich wie Facebook gezielt solche Inhalte geblockt hat. Dies wurde als unbotmäßiger Erpressungsversuch eines Digital-Monopolisten gegen ein freies demokratisches Land aufgefasst. Wie oben bereits gesagt, besteht kein Kontrahierungszwang, auch nicht für einen Monopolisten. Ist es nicht interessant, dass man sich eben dadurch erpresst fühlt, dass Google diese Inhalte nicht ungefragt nutzt? War die ungefragte Nutzung denn nicht gerade Stein des Anstoßes? Wenn der australische Premierminister selbstbewusst sagt, dass auch globale Konzerne sich an die Spielregeln halten müssen, die demokratisch im Parlament beschlossen werden, so hätte Google eigentlich nur sagen brauchen: Aber klar doch, selbstverständlich. Eben deshalb stellen wir die Suchfunktion ja aus betriebswirtschaftlichen Gründen ab.

Nun hat Microsoft mit schmeichelnden Worten in bigotter Weise der australischen Regierung angedient, doch sehr gerne die Einnahmen mit den Verlagen teilen zu wollen, da ihnen die freie Gesellschaft doch so am Herzen liege. Daher könne man doch statt Google künftig Microsofts Suchmaschine Bing nehmen, die derzeit einen verschwindend kleinen Marktanteil hat. Rührend. Aber ein cleverer Schachzug im Sinne von „raising rival’s cost“.

Google hat sich – vielleicht teils wegen möglichen langfristigen Imageverlustes, teils wegen Microsofts Drohung – bemüßigt gefühlt, nun doch Lizenzverträge mit einigen Verlagshäusern abzuschließen, um diese wie gewünscht an den Einnahmen zu beteiligen. Mit wem war das gleich nochmal? Ach ja, Rupert Murdoch (News Corp), dessen Zeitungsimperium geradezu ein überaus sympathisches Symbol für fairen Wettbewerb, Meinungs- und Medienvielfalt ist…. Es liegt auf der Hand, dass Google aus betriebswirtschaftlichen Gründen Verträge mit den ganz wenigen Großen abschließen wird, die 80-90% des Marktes ausmachen, alle anderen fallen hinten runter, entweder indem sie ausgelistet werden oder ihren Content per Gratislizenz anbieten müssen, denn sie haben keine Verhandlungsposition. Und stützt das nun die Medienvielfalt? Wohl kaum, man kann sogar im Gegenteil erwarten, dass die großen Medien-Player dank der Kooperation mit den Digitalplattformen ihren Wettbewerbsvorteil weiter ausbauen. Das hätte man sich schon vorher durch Blick auf die ökonomischen Anreizstrukturen denken können.

Wäre es nicht an der Zeit darüber nachzudenken, dass der vielleicht viel bedenklichere Punkt der ist, dass nicht nur die Erzeugung und Bereitstellung frei zugänglichen digitalen Contents, sondern auch der enorm umfangreichen und enorm nützlichen digitalen Services von Google (bei „sozialen“ Plattformen wie Facebook pflege ich lieber meine grundsätzlichen Aversionen) letztlich von einer Manipulationsindustrie finanziert werden, welche für Nutzerdaten Geld bezahlen zwecks manipulativer Zwecke – von simpler personalisierter Werbung bis zum politischen Micro-Targeting? Soll das ernsthaft die wirtschaftliche Grundlage digitaler Geschäftsmodelle sein, insbesondere im seriösen Journalismus? Vor längerer Zeit habe ich mich über einen SPIEGEL-Artikel lustig gemacht, der eben dies scharf kritisiert, bei dessen Lesen man aber gleich Dutzenden von Trackern und Analysetools ausgeliefert ist. Blockiert man diese, gibt es keinen Zugang zum Artikel. Lustig.

Klar würden Zeitungsverlage es vermutlich lieber sehen, wenn alle Leute fleißig Digital-Abos kaufen, mit denen der Content finanziert wird. Das ist fair, transparent, und auch sonst in der Marktwirtschaft üblich, dass man für Produkte und Services zahlt. Ich persönlich zahle auch für solche Digital-Abos. Aber im digitalen Wettbewerb scheinen nun mal Zeitungen einen Vorteil zu haben, wenn sie kleine Teil vor die Paywall stellen, dann aber ziehen andere nach usw. Je mehr sie dies tun, desto abhängiger werden sie von indirekten Zahlungen durch Dritte (Werbeanbieter, Analysten, die Nutzerdaten abkaufen, oder eben die geplanten Zahlungen von Google) statt von der Zahlungsbereitschaft der Kunden. Ob das nicht ebenfalls zu Dysfunktionalitäten im Preissystem führt? Gewiss doch: das Angebot entkoppelt sich von Zahlungsbereitschaft, marktwirtschaftliche Ressourcenlenkung wird ineffizient. Aber Google oder Facebook sind nun nicht für die Schwächen dieses digitalen Wettbewerbsmodells der Verlage untereinander verantwortlich (wenngleich sie auch Werkzeuge dafür liefern, die den Effekt verstärken).

Ach ja, und noch etwas ist an den Einlassungen Microsofts bezüglich der Nutzung von Bing als Alternative zu Google interessant: Monopole scheinen „bestreitbar“ zu sein, wie Ökonom*innen sagen. Das könnte der disziplinierende Faktor für Googles Verhalten sein. Rupert Murdoch gefällt das.