Archiv der Kategorie: Ungleichheit und Verteilung

Effizienz und Fairness

Ein zentrales normatives Kriterium ökonomischen Denkens ist die Effizienz, meist verstanden als Pareto-Effizienz. Nach diesem Kriterium ist ein Zustand effizient, wenn durch Änderung des Zustandes niemand besser gestellt werden kann, ohne dass jemand anderes schlechter gestellt werden muss. Alle wechselseitig vorteihaften Tauschmöglichkeiten, die z.B. durch Spezialisierung und Handel möglich sind, sind dann bereits realisiert worden. Insofern ist das Kriterium eine direkte Implikation des ökonomischen Prinzips, wonach mit gegebenen knappen Mitteln der höchstmögliche Zielerreichungsgrad realisiert wird.

Das Pareto-Effizienzkriterium ist streng individualistisch, da es sich bei dem “besser gestellt” und “schlechter gestellt” auf die individuellen Präferenzen der beteiligten Akteure bezieht. Nur der Einzelne kann seine Präferenzen wirklich kennen, weshalb das Konzept auch ein Schutz vor paternalisierenden Eingriffen ist. Nun stellt man sich in der (neoklassischen) Volkswirtschaftslehre sehr häufig Individuen vor, deren Präferenzen äußerst schlicht sind, nämlich rein eigennutz-orientiert und materiell nicht gesättigt (d.h. mehr von einem Gut steigert stets den Nutzen). Es ist zu betonen, dass diese speziellen Annahmen bezüglich der Präferenzen vor allem “Bequemlichkeitsannahmen” sind, sie berühren nicht den Kern der Nutzentheoie bzw. der Vorstellungen von Rationalität. Unter dieser Bequemlichkeitsannahme kann man dann z.B. ableiten, dass jede Aufteilung eines Kuchens auf X Personen effizient ist, denn jemand kann genau dann ein größeres Kuchenstück bekommen, wenn jemand anderes ein kleineres bekommt – bei gegebener Kuchengröße. So wird z.B. argumentiert, weshalb sich Effizienz- und Gerechtigkeitskriterien logisch voneinander trennen lassen. Letztere müssen irgendwie begründet werden (folgen aber nicht aus dem ökonomischen Prinzip), während Effizienz unabhängig davon stets gewährleistet sein sollte.

Hier kommt nun der springende Punkt: spätestens aus der Verhaltnsökonomik wissen wir, dass Menschen durchaus soziale, gruppen-bezogene Präferenzen haben. Sie haben eine Aversion gegen zu viel Ungleichheit, eine Vorliebe für Fairness, haben verinnerlichte Muster von Reziprozität, die sie teilweise zu freiwilliger Kooperation veranlassen, aber auch zu Sanktionen aus Neid oder bei Regelverletzungen anderer. Menschen sind zutiefst gruppen-bezogen und keine isolierten Akteure. Das mag z.B. evolutionäre Gründe haben, weil sich durch solche Präferenzen sehr viel leichter Kooperationsvorteile realisieren lassen, sich soziale Normen etablieren und stabilisieren können, welche Verhaltens-Kohärenz und Reduktion von Unsicherheit gewährleisten. Sofern sich solche Präferenzen konsistent darstellen lassen, spricht nichts dagegen, die Erwartungsnutzentheorie und damit das ökonomische Verständnis rationaler Entscheidungen nach wie vor zu verwenden, denn diese abstrakten Konzepte setzen nichts über den konkreten Inhalt der individuellen Präferenzen voraus.

Nun kommen wir zurück auf Pareto-Effizienz: Was geschieht, wenn Menschen eben solche soziale Präferenzen haben? Wann kann dann ein Zustand als effizient gelten? Zunächst ist klar, wenn man das Konzept formal-analytisch ernst nimmt, dass sich Effizienz- und z.B. Gerechtigkeits- oder Verteilungsvorstellungen nicht mehr analytisch voneinander trennen lassen, denn die Individuen bewerten ja den Gesamtzustand, nicht nur isoliert das “Kuchenstück”, welches für sie dabei abfällt. Wenn es also Ziel des Wirtschaftens, der Allokation knapper Güter, ist einen effizienten Zustand zu erreichen, was können dann Märkte dabei leisten? In der Neoklassik geht man davon aus, dass unter idealen Bedingungen, die wir hier für einen Moment mal akzeptieren wollen, die beteiligten Akteure selbst herausfinden können, wo es wechselseitig vorteilhafte Tauschmöglichkeiten gibt, und sie diese dann realisieren können, angetrieben durch ihre eigenen, wie gesagt sehr schlichten Präferenzen. Was aber passiert, wenn letztere nun nicht mehr rein selbst-bezogen sind, sondern sich auf das Allokationsergebnis insgesamt beziehen? Welche Regulierungen bzw. ergänzenden Allokationsmechanismen sind ggf. notwendig, um Effizienz herbeizuführen? Ich spreche ich hier nach wie vor von dem althergebrachten Begriff der Pareto-Effizienz, der etablierten Nutzentheorie, dem üblichen Rationalitätsverständnis der VWL. Es geht hier gerade eben nicht um radikale Alternativen zur Neoklassik, sondern um das radikale Ernstnehmen deren Kernkonzepten (aber jenseits der Bequemlichkeitsannahmen). Die Konsequenzen sind einigermaßen dramatisch: Begründungen von Marktregulierungen, alternativer Governance-Mechanismen, Gemeinwohl- und Gerechtigkeitsaspekte etc. rücken in den Fokus. Und zwar durch kluges, nein: klügeres Verwenden der Bordmittel der VWL statt durch tumbes Einprügeln auf den angeblich ignoranten “Mainstream”.

Bürgerfonds – ein Instrument zur Vermögensumverteilung und Alterssicherung

Das Vermögen in Deutschland ist extrem ungleich verteilt, auch im internationalen Vergleich. Vernachlässigt man die Ansprüche an die Rentenversicherung, so verfügen die unteren 40% der Haushalte über Null (!) Vermögen, während die oberen 10% der Haushalte über 60% des Vermögens verfügen (Bundesbank 2019). Selbst innerhalb dieser oberen 10% gibt es wiederum eine starke Ungleichverteilung. Die Ungleichheit der Einkommensverteilung in Deutschland ist zwar ebenfalls Gegenstand einer Gerechtigkeitsdiskussion, aber erstens ist sie weitaus weniger stark ausgeprägt als die Vermögensungleichheit, zweitens liegt Deutschland hier eher im Mittelfeld, und drittens kann hier das Steuer-Transfer-System zu einem stärkeren Ausgleich beitragen (sekundäre Einkommensverteilung). Allerdings muss man konstatieren, dass trotz eines im Ländervergleich sehr stark ausgebauten Umverteilungsapparates der Effekt auf die Einkommensungleichheit vergleichsweise moderat ist. Das kann u.a. daran liegen, dass bereits die Primärverteilung der Einkommen ungleicher wird.

Bei den Vermögen hingegen gibt es keinen wirksamen Umverteilungsmechanismus. Im Gegenteil: Es gibt eine Tendenz zur stärkeren Konzentration, beispielsweise durch Vererbung (DIW 2019). Das Erbschaftssteuersystem ist löchrig und von vielen Ausnahmen geprägt; eine Vermögenssteuer gibt es derzeit nicht. Ihre Wiedereinführung wird zwar diskutiert, von vielen Ökonomen aber skeptisch gesehen. Die Möglichkeit ihrer verfassungskonforme Umsetzung ist Gegenstand eines jahrzehntelangen Streits. Maßnahmen zur Förderung der Vermögensbildung wie etwa Baukindergeld oder Riester-Rente sind angesichts der Dimensionen der Ungleichheit minimalistisch und teils dysfunktional (z.B. Mitnahmeeffekte beim Baukindergeld; Unrentabilität bei der Riesterrente). Weitere Vorschläge wie das Fördern des Aktienbesitzes werden wohl kaum die unteren 40% erreichen und möglicherweise diejenigen besserstellen, die ohnehin Aktien haben und weiter erwerben. Kaum ein Geringverdiener-Haushalt wird sehnlich auf die Steuererleichterung warten, damit er sich endlich einen ETF von Blackrock kaufen kann.

Ein Bürgerfonds, wie es ihn in anderen Ländern wie z.B. Norwegen schon lange gibt, ist ein derzeit auch im akademischen Bereich durchaus oft wohlwollend diskutierter Ansatz (etwa Fuest et al 2019). Aktuell wirbt Robert Habeck für ein solches Modell. Allgemein geht um einen Fonds, der systematisch in ein Vermögensportfolio investiert, an das alle Bürger einen Anspruch haben. Dieser Anspruch kann zum Beispiel darin bestehen, dass der im Laufe des Lebens akkumulierte Fondsanteil eines einzelnen Bürgers beim Eintritt in das Rentenalter als Rente ausbezahlt wird. Denkbar ist aber auch, dass das Vermögen im Fonds verbleibt und der Bürger ab dem 18. Lebensjahr die Rendite als Kapitaleinkommen ausbezahlt wird. Gerade angesichts der Perspektive, dass durch die Digitalisierung und Roboterisierung die Arbeit zwar nicht ausgehen, das Arbeitseinkommen aber möglicherweise an Bedeutung abnehmen wird, ist eine Partizipation am wachsenden Wohlstand, der zu einem erheblichen Teil von Maschinen erzeugt wird, dadurch möglich, dass ein Teil des Kapitalstocks diesem Fonds, also allen Bürgern gehört, die entsprechende Ansprüche daran haben. Auch andere Möglichkeiten sind denkbar, etwa, dass Bürger auf eine regelmäßige Auszahlung der Rendite verzichten, d.h. diese ansparen, und sich später in Form eines Zuschusses für ein Sabbatical oder längere Fortbildung auszahlen lassen (Corneo 2014).

Eine strittige Frage ist, wie ein solcher Fonds finanziert werden kann. Im Fall von Norwegen geschieht dies durch die hohen staatlichen Öleinnahmen, über die Deutschland jedoch nicht verfügt. Manche Ökonomen befürworten, dass eine Anschubfinanzierung durchaus durch Schuldtitel finanziert werden könne, da der deutsche Staat derzeit Null Zinsen zahlen muss (oder sehr geringe Zinsen bei sehr lang laufenden Anleihen). Bei Fälligkeit der Anleihen müssten diese dann aber entweder prolongiert werden zu einem dann aber möglicherweise höheren Zinssatz, oder ein größerer Teil des Fond-Vermögebrutto medianeinkommenns muss wieder veräußert werden. Deshalb ist eine dauerhafte Schuldenfinanzierung wohl nicht ratsam.

Eine weitere Quelle können freiwillige Zahlungen der Bürger sein, die ihr Erspartes dem Fonds anvertrauen möchten, um etwas für ihre Altersvorsorge zu tun. Dies könnte – wie bei der im Gegenzug abzuschaffenden Riesterrente – staatlich gefördert werden. Allerdings ist zu bedenken, dass dann hier ein staatliche geförderter und gemanagter Fonds als direkter Konkurrent zu privaten Vorsorgefonds auftritt, was wettbewerbsrechtlich problematisch ist.

In diesem Beitrag wird nun der Vorschlag gemacht, dass sich der Fonds aus den jährlichen Erbschaftssteuern speisen sollte. Dies setzt eine Erbschaftssteuerreform voraus, die keine Ausnahmen kennt, eine sehr breite Bemessungsgrundlage hat, aber auch deutliche Freibeträge vorsieht, damit kleinere Vermögen („Omas Häuschen“) nicht belastet werden. Bei 200 – 400 Mrd. Euro Erbschaften pro Jahr könnten so ein zweistelliger Milliardenbetrag jährlicher Steuereinnahmen zusammenkommen, die dem Bürgerfonds zugeführt werden. Man sollte dies nicht als sozialpolitische Wohltat des Staates auffassen, der den Bürgern einen Teil „seiner“ Steuereinnahmen „schenkt“. Es sollte vielmehr als Automatismus angesehen werden, bei dem bei jedem Erbfall das Vermögen der Bürger ohne Umwege in Bürgerhand bleibt, jedoch breiter verteilt wird.

Im Fall von vererbtem Betriebsvermögen besteht bislang das Problem, dass die Erben ein illiquides Vermögen, etwa den Familienbetrieb, erben, aber nicht genügend Mittel haben um die Erbschaftssteuer zu begleichen. Eine Veräußerung des Betriebs nur zu dem Zweck, die Steuerschulden zu bezahlen, ist ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Eigentumsrecht. Daher gibt es hier zahlreiche Ausnahmen. Bei einem Bürgerfonds ergäbe sich eine einfache elegante Lösung: Das Betriebsvermögen geht zu x% (Erbschaftssteuersatz) an den Fonds als Eigentümer (aber mit den Rechten eines Gläubigers) über. Dieser hat dann Anspruch auf x% der erwirtschafteten Erträge. Allerdings hat der Erbe das Recht, durch sukzessives Begleichen der Steuerschuld in frei gewählten Raten das Eigentum zurückzuerwerben. Das erlaubt maximale Gestaltungsspielräume und beeinträchtigt den Betrieb nicht. Die Details einer solchen Regelungen sind noch zu klären.

Perspektivisch kann man bei der etwaigen (Wieder-) Einführung einer Vermögenssteuer genauso verfahren: Es ist das Vermögen der Bürger und es bleibt das Vermögen der (aller) Bürger. Bei Betriebsvermögen, Immobilien und anderen schwer liquidierbaren Vermögensgegenständen kann analog verfahren werden wie bei der Erbschaftssteuer: ein bestimmter Prozentsatz (z.B. 1%) der Vermögenswerte (nach Abzug von Freibeträgen) geht in den Fonds über anstelle der Zahlung der Steuer.

Der Bürgerfonds geht das Problem der Vermögensungleichheit nicht nur von einer Seite an – der mit Ausnahmen durchlöcherten – Besteuerung der Vermögenden und Erben, sondern vor allem auch von der anderen Seite, dem Vermögensaufbau vor allem der unteren Hälfte der Gesellschaft, und zwar automatisch ohne Blick auf die Kassenlage des Staates und dessen momentaner politischer Agenda.

Auf welche Weise auch immer das Bürgerfondsvermögen oder dessen Erträge ausbezahlt werden, es verändert die primäre Einkommensverteilung. Das könnte sich langfristig als mindestens ebenso wichtiger Hebel herausstellen wie das (ebenfalls stark reformbedürftige) Steuer-Transfer-System, welches eine egalitärere sekundäre Einkommensverteilung um Ziel hat. Der spezielle Charme des Bürger-Fonds ist, dass er als Automatismus ohne diskretionären Eingriff des an der Tagespolitik ausgerichteten Staates fungiert. Er ist somit ein ordnungsökonomisch perfekt zur Sozialen Marktwirtschaft passendes Instrument. Man könnte aber auch formulieren: eine milde und liberale Form der „Vergesellschaftung“ von Vermögen.

Ein gängiger, jedoch schwacher Einwand ist, dass hier letztlich der Staat, genauer: ein vom Staat unabhängiges Management des Bürgerfonds über das Portfolio entscheidet, und nicht der mündige Bürger selbst. In den allermeisten Fällen ist es wohl kaum der Wunsch der Bürger, sich um einzelne Aktien, Schuldverschreibungen oder ETFs kümmern zu wollen. Jedoch kann der Fonds auch so organisiert werden, dass Bürger ab 18 Jahren über eine Auswahl von Anlagetypen für „ihren“ Fondsanteil entscheiden können. Man sollte sich aber auch vor Augen halten, dass z.B. bei der gesetzlichen Krankenversicherung ebenfalls der Staat über das Paket der gesetzlichen Leistungen bestimmt und nicht der mündige Bürger einen individuellen Krankenversicherungs-Kontrakt abschließt.

Zur institutionellen Ausgestaltung: Es ist das Vermögen der Bürger, das den Fonds speist, und das Vermögen der Bürger, welches dort angelegt wird. Das Management sollte an generelle Regen gebunden sein, etwa keine hochriskanten spekulativen Investments zu tätigen; moderate Risiken sollten aber möglich sein, also vor allem Aktienanlagen oder ETFs. Auch kann man ethische Standards definieren oder das Verbot von Investitionen in fossile Energien (dazu später mehr). Der Bürgerfonds sollte dann aber im Rahmen der gegebenen allgemeinen Spielregeln in der Gestaltung seiner Strategie frei sein, d.h. unabhängig vom Staat, ähnlich wie bei der Zentralbank. Der Gedanke dabei ist, dass es sonst sein könnte, dass der Staat den Fonds dazu drängt, möglichst in staatliche Anleihen zu investieren, also indirekt das Staatsbudget zu finanzieren. Oder der Staat weist den Fonds an, in die momentanen Lieblingsprojekte der Regierung zu investieren, also eine politische Agenda zu verfolgen. Das ist in der Regel nicht das, was die Bürger wollen, die an ihre Altersvorsorge denken. Solche Einmischungen sollten selbstbewusst zurückgewiesen werden können mit dem Hinweis darauf, dass der Prinzipal der Bürger ist, nicht die Regierung, und das Fondsmanagement der Agent, der dem Prinzipalen verpflichtet ist, nicht dem Fiskus.

In der langen Frist ist es denkbar, dass der Fonds ähnliche Größenordnungen annehmen kann wie z.B. der norwegische Staatsfond. Damit ist eine Macht verbunden, über deren Ausübung die oben erwähnten allgemeinen Spielregeln einen Rahmen setzen. Es ist vorstellbar, die Spielregeln so zu gestalten, dass der Fonds auch im Sinne genereller Politikziele, etwa der Dekarbonisierung der Produktion, der Einhaltung von Menschenrecht-Standards in der Zulieferkette und dergleichen, Einfluss auf die Unternehmen ausüben kann und soll, deren Miteigentümer er ist. Dies kann sowohl bei Aktionärsversammlungen geschehen, aber auch schon durch die Drohung, Investments abzuziehen, wenn z.B. weiterhin auf Kohleabbau gesetzt wird. Das setzt allerdings voraus, dass die allgemeinen Spielregeln es erlauben, auch in solche „unliebsamen Geschäftsfelder“ zu investieren. Man kann einen Ölkonzern schwer dazu drängen, sich massiv in den Bereich regenerativer Energien zu diversifizieren, wenn die Investitionsrichtlinien die Beteiligung an einem solchen Konzern untersagt. Man mag das als Politisierung der Kapitalmärkte kritisieren. Zahlreiche Großunternehmen, Verbände und private Fonds tun aber bereits genau das oder mahnen die Notwendigkeit eines sehr viel stärkeren committments gegenüber sozialen und ökologischen Zielen und veränderter Governance-Strukturen an. Und schließlich ist der Begriff der „Politisierung“ im Kern auch nicht korrekt, geht es doch letztlich um die Durchsetzung der Präferenzen von Eigentümern am Markt. Der Eigentümer, also der Fonds, ist via demokratische Abstimmung über die institutionelle Ausgestaltung, also auch der Investitions-Spielregeln, dazu legitimiert. Er soll letztlich die gemeinschaftlichen Interessen der Bürger durchsetzen helfen.

Zusammengefasst: In dem Beitrag wird vorgeschlagen, das Instrument des Bürgerfonds mit dem Instrument der Erbschaftssteuer (perspektivisch: ggf. auch Vermögenssteuer) zu verknüpfen und ihn von der Regierung unabhängig zu machen. Somit erhielte der Fonds die zentrale Aufgabe einer automatischen, nicht vom politischen Tagesgeschäft oder Kassenlage abhängigen Vermögensumverteilung und der Beteiligung aller Bevölkerungsschichten an Vermögen und Kapitalansprüchen. Auch wenn die Ausgestaltung im Detail knifflig sein kann, so ist die Kernidee simpel und effektiv.

Wohlstand steigt, Arbeitslosigkeit sinkt, und Armut wächst – wie passt das zusammen?

Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf wächst stetig, die Konjunktur ist gut, die Arbeitslosigkeit sinkt, trotzdem behaupten viele, dass das Armutsrisiko zunehme. Viele Verbände und Institutionen sehen hier stets die gleichen Ursachen: eine wachsende Kluft zwischen Arm und Reich (Polarisierung), zunehmende prekäre Arbeitsverhältnisse usw. An dieser Stelle möchte ich gar nicht bewerten, ob das Armutsrisiko tatsächlich zunimmt, und ob die dafür ins Feld geführten Gründe empirisch stichhaltig sind (zur Erinnerung sei darauf verwiesen, dass z.B. die Einführung des Mindestlohnes die Zahl der Minijobs deutlich reduziert hat). Im Folgenden gehe ich mal davon aus, dass tatsächlich das Armutsrisiko zunimmt. Ich möchte der Debatte einen weiteren Aspekt hinzufügen: das steigende Armutsrisiko kann auch lediglich ein statistisches Artefakt sein, welches durch die Definition von Armut zustande kommt!

Armut wird für entwickelte Volkswirtschaften als relative Armut definiert: als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60% des Medianeinkommens verdient. Genauer gesagt handelt es sich um 60% des Median-Äquivalenzeinkommens, bei welchem die unterschiedlichen Haushaltsgrößen berücksichtigt werden, aber das soll hier weiter keine Rolle spielen. Das Medianeinkommen ist dasjenige Einkommen, bei dem 50% der Haushalte darüber und 50% der Haushalte darunter liegen, also nicht das Durchschnittseinkommen. Letzteres ist bei empirischen Einkommensverteilungen stets größer als der Median.

Dies sei an folgende Mini-Volkswirtschaft mit 9 Haushalten demonstriert, die der Einkommenshöhe nach geordnet sind. d.h. Haushalt Nr. 5 ist der Medianhaushalt, denn je 4 haben ein höheres bzw. niedrigeres Einkommen. Es sei n die jeweilige Anzahl der Haushalte mit dem jeweils angegebenen Einkommen:

n 2 1 1 1 (Median) 2 2
Einkommen 100 200 300 400 700 1000

Die zwei ärmsten Haushalte seien arbeitslos und bekommen staatliche Unterstützung in Höhe von 100. Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen beträgt 500. Die ärmsten 3 Haushalte haben ein Einkommen von weniger als 60% des Medianeinkommens von 400, so dass die Armutsquote 33% beträgt. Die Ungleichheit der Verteilung kann man anhand des Gini-Koeffizienten messen. Dieser beträgt in diesem Beispiel G=0,38. Da der Gini-Koeffizient nicht die „Schere zwischen Arm und Reich“ misst, wie oft fälschlich dargestellt wird (siehe dazu diesen Blogbeitrag), sei hier noch ein Polarisations-Indikator hinzugefügt: der Einkommensabstand der reichsten und ärmsten 5% der Bevölkerung beträgt 900.

Nun lassen wir diese Mini-Volkswirtschaft wachsen und gedeihen. Die Einkommen steigen auf breiter Front, die Arbeitslosigkeit sinkt, so dass nur noch ein Haushalt staatliche Unterstützung (nun sogar um 20% aufgestockt auf 120!) erhält:

n 1 2 1 1 (Median) 2 2
Einkommen 120 220 320 550 800 1000

Das Pro-Kopf-Einkommen ist auf 559 gestiegen, vor allem im mittleren Bereich, und die Arbeitslosigkeit ist gesunken. Sogar die Ungleichverteilung ist zurückgegangen, da der Gini-Koeffizient nun nur noch G=0,33 beträgt. Und zur allgemeinen Freude ist sogar die Schere zwischen Arm und Reich rückläufig: der Einkommensunterschied der reichsten und ärmsten 5% beträgt nur noch 880.

Doch was ist das? Der Haushalt, dessen Einkommen von 300 auf 320 gestiegen ist, liegt nun unterhalb der 60% des (ebenfalls gestiegenen) Medianeinkommens. Somit beträgt die Armutsquote nun 44% statt 33%! Ein höchst alarmierendes Zeichen? Wir sehen: die so definierte Armut kann auch ohne wachsende Ungleichheit und ohne prekäre Arbeitsverhältnisse statistisch zunehmen, und dies bei zunehmendem Wohlstand. Alle diese Zahlen kann man sich als reale Werte vorstellen, also inflationsbereinigt, um auch dieses Argument aus dem Weg zu räumen (zudem hatten wir seit Jahren keine nennenswerte Inflationsraten). In dem Beispiel sind die oberen Einkommen prozentual weniger gestiegen als in der Gesamtbevölkerung, d.h. untere und vor allem mittlere Einkommen wuchsen relativ stärker. Aber das ist paradoxer Weise genau das Problem: das Medianeinkommen wuchs überdurchschnittlich, folglich nimmt die Armut zu! Anders gesagt: erfolgreiche Umverteilung zugunsten unterdurchschnittlicher Einkommen kann statistisch unter Umständen das Armutsrisiko erhöhen. Das spricht nicht gegen diese Maßnahmen, jedoch gegen eine voreilige Interpretation der Zahlen.

Ich stelle hier weder das Konzept der relativen Armut in Frage, noch möchte ich Armut verharmlosen. Aber die Kenntnisse von Messkonzepten und Fähigkeiten zum Interpretieren statistischer Ergebnisse sind bei vielen Menschen gering – anscheinend auch bei solchen, die im Fernsehen als „Experten“ befragt werden. Und das Interesse an Aufklärung ist eher gering, wenn man die Unkenntnis durch wohlfeile, intuitiv erscheinende Argumente instrumentalisieren kann. Den Armen hilft es am Ende nicht, wenn man auf der Grundlage statistischer und ökonomischer Informationsdefizite mehrheitsfähige Lösungen sucht.

Die Ungleichverteilung und die „Schere zwishen Arm und Reich“

Die FAZ widmet eine ganze Themenseite zu diesem Thema. Außer dem Armutsbericht der Bundesregierung und UN-Berichten zur globalen Armut gibt es immer wieder Publikationen, welche die Ungleichheit der Einkommen oder Vermögen zum Gegenstand haben, zuletzt etwa eine Studie der Deutschen Bundesbank oder die Überschlagsrechnung von Oxfam, nach welcher die reichsten 64 Personen der Welt mehr als die Hälfte des Vermögens besitzen. Regelmäßig betonen die einen – so auch überwiegend die FAZ-Redakteure -, dass es weder innerhalb Deutschland noch global eine Zunahme der Ungleichheit gebe, und global die Ungleichheit sogar sinke. Die anderen wiederum akzeptieren dies nicht und behaupten im Gegenteil, dass die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergehe. Ich behaupte hier, dass beide von verschiedenen Dingen sprechen.

Von welcher (Ungleich-) Verteilung wird gesprochen?

Manche beziehen sich auf Einkommen, andere auf das (Netto-) Vermögen. Das ist nicht dasselbe. Ist nun der „Arme“ derjenige mit dem sehr geringen Einkommen, oder derjenige mit dem sehr geringen Vermögen? Die übliche Armutsdefinition bezieht sich auf das Einkommen. Aber auch hier kommt es auf die normative Perspektive an: absolute Armut (z.B. Einkommen unter 1,30 Dollar/Tag) versus relative Armut (Einkommen unter 60% des Median-Einkommens). Der globale Erfolg bei der Armutsbekämpfung bezieht sich auf die absolute Armut. Dabei wird die unterschiedliche Kaufkraft in den Ländern sowie die Inflation durchaus berücksichtigt. Dem Armutsbericht der Bundesregierung und dem deutschen Mediendiskurs liegt dagegen der relative Armutsbegriff zugrunde. Konstruktionsbedingt kann es natürlich sein, dass es in einem bettelarmen Land viel weniger relative Armut gibt als im reichen Deutschland. Da ist es müßig, wenn sich in den Medien die Anhänger unterschiedlicher Sichtweisen gegenseitig vorwerfen, sie würden einen „irreführenden“ Indikator verwenden. Die beiden Armutsindikatoren beantworten unterschiedliche Fragen und haben beide ihre Vor- und Nachteile.

Auf der anderen Seite wird die Verteilung des Vermögens gemessen. Was das genau ist und wie hoch dieses ist, ist weitaus weniger klar als im Fall des Einkommens. Besonders umstritten sind die Punkte, (i) ob Ansprüche an die Rentenversicherung einbezogen werden sollen (was in der Statistik eher selten der Fall ist), und ob (ii) die Betrachtung des Nettovermögens (Vermögen minus Schulden) sinnvoll ist. Befürworter argumentieren, dass man ja wohl keinen Besitzer einer Villa plus Rolls-Royce jemandem gleichstellen kann, der ebenfalls eine Villa und Rolls-Royce hat, sich dies aber nur auf Pump geleistet hat. Dies spricht für die Nettobetrachtung. Dann allerdings ist jemand, der 1 Mio Euro Vermögen sowie 1.1 Mio Euro (nachhaltig finanzierte) Schulden hat rechnerisch „ärmer“ als der Tagelöhner aus Bangladesch, der keine Schulden machen kann, weil er überhaupt kein Vermögen hat. Was ist nun sinnvoll? Ich lasse das mal offen.

Wie wird (Ungleich-) Verteilung gemessen?

Es gibt eine ganze Reihe von Messkonzepten, von denen ein weithin bekanntes und viel genutztes der Gini-Koeffizient ist (siehe dazu den entsprechenden Wikipedia-Artikel). Dieser hat den Vorteil, dass er unabhängig vom absoluten Einkommens- oder Vermögensniveau – und damit auch inflations- und währungsunabhängig – ist und ein standardisiertes objektives Maß bietet. Aber bei jeder Betrachtung, die die Umstände auf eine einzige Zahl verdichtet, gehen natürlich Informationen verloren. Ein gleich bleibender Gini-Koeffizient sagt zum Beispiel nicht viel über den Abstand der Haushalte mit dem höchsten und dem niedrigsten Einkommen bzw. Vermögen aus (Polarität). Es ist somit statistisch kein Widerspruch – wie zum Beispiel im letzten Bundesbankbericht zur Vermögensverteilung nachzulesen ist -, dass die ärmsten 40% der Haushalte in 2014 über ein geringeres Nettovermögen verfügten als noch 2010, während die reichsten 10% der Haushalte über ein höheres Vermögen verfügen, aber der Gini-Koeffizient trotzdem gleich bleibt. Das kann zum Beispiel dadurch zustande kommen, dass mehr vermögensschwache Haushalte in die Mittelklasse aufgerückt sind. Wenn also die Botschaft der Studie, dass der Gini-Koeffizient sich zwischen 2010 und 2014 praktisch überhaupt nicht verändert hat, einen FAZ-Redakteur zu der Aussage verleitet, dass damit bewiesen sei, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergeht, so ist das eine Fehldeutung der Aussage des Koeffizienten.

Also obacht! mit den verwendeten Verteilungsmaßen. Ähnliches gilt auch für die globale Ungleichverteilung, die angeblich seit den 1990er Jahren eher abnimmt als zunimmt, weil vor allem in einigen Schwellenländern eine Mittelschicht heranwächst, die zu den Industrienationen aufzuholen beginnt. Das mag zwar stimmen und erscheint mir nicht unplausibel, aber ein abnehmender Gini-Koeffizient für die Verteilung der Durchschnittseinkommen reicher und armer Länder ist nur ein unzureichender Indikator. Wie wir oben gesehen haben, könnte man einen sinkenden globalen Gini-Koeffizienten auch dann haben, wenn lediglich eine reiche Elite in den armen Ländern deutlich zu den reichen Ländern aufholt, während die arme Hälfte im Elend versinkt, während gleichzeitig in den reichen Ländern das ärmste Drittel von der Gesamtentwicklung abgehängt wird. Ein solches Szenario würde einem wohl weniger Jubelschreie entlocken als nur die Aussage, dass die globale Ungleichheit gemäß Gini-Koeffizient abnimmt. Genaueres wüsste man, wenn man die Einkommensverteilungsfunktionen aller einzelnen Länder hätte, aber die liegen sehr oft nicht vor, oder werden durch mehr oder weniger fantasievolle Hilfskonstrukte approximiert.

Summa summarum: Das Verteilungsmaß des Gini-Koeffizienten ist außerordentlich nützlich, aber dieser misst nicht die „Schere zwischen Arm und Reich“. Dazu sind Informationen nötig, die bei der Konstruktion des Koeffizienten untergehen.

PS: In den Medien gibt es die verbreitete Attitüde, dass mit wegwerfender Handbewegung gesagt wird: „Ach, das ist bloß Statistik. Der ist eh nicht zu trauen, mit kann man eh zeigen, was man will…“ oder „Ach, das sind doch bloß Durchschnittswerte, die haben eh nichts mit der Realität zu tun…“  usw. Davor kann man nur warnen! Wer so denkt, liefert sich ideologischem Denken fernab jeder Empirie aus. Wer braucht schon empirisches Wissen, wenn man schon Überzeugungen hat? Die auch von Studierenden immer wieder gern bemühte „Realität“ erfassen wir nun mal mit Messmethoden. Diese sind nie theoriefrei und setzen meist normative Entscheidungen voraus. Wer dies nicht kritisch reflektieren möchte, sollte auch nicht über „die Realität“ schwadronieren.