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Werbung auf SPIEGEL online: Leser, zieh blank!

Keine Frage: Journalismus kostet und muss sich finanzieren. Das geschieht im Online-Bereich größtenteils über Werbung. Kein Wunder, dass Adblocker im Browser den Verlagen ein Dorn im Auge sind, und sie Technologien entwickeln, solche Adblocker zu entdecken und Content gegebenenfalls zu sperren. Wie beim Hase-Igel-Wettlauf werden die Browser-Plugins immer raffinierter im Filtern unerwünschten Contents, die Betreiber der Webseiten rüsten aber ebenfalls technisch auf. Weil der Wettlauf technisch schwierig zu gewinnen ist, ist der Axel-Springer-Verlag vor einiger Zeit auf die Idee gekommen, juristisch gegen das Blocken vorzugehen. In der allgegenwärtigen Abmahnindustrie fanden sich natürlich sofort geschäftstüchtige Advokaten, deren abenteuerliche Argumentation bei IT-Experten und auch Ökonomen teils ungläubiges Gelächter, teils Gänsehaut hervorrufen. Jedenfalls ist die Melange aus Tumbheit und Perfidie faszinierend.

Dabei geht es längst nicht nur um ein paar Werbeanzeigen, die man als Leser vielleicht noch zu ertragen bereit wäre. Werbung wird nicht nur massiver und nervtötender (bewegte Bilder, Flackern, Popup-Fenster), sondern sie beruht zunehmend auf umfassenden Tracking-Technologien, die die Privatsphäre untergraben um möglichst personalisierte Werbung schalten zu können. Das setzt entsprechende Schnittstellen zu Analyseplattformen voraus, die stets im Hintergrund laufen, wenn man z.B. bei SPIEGEL online, aber im Prinzip auch auf allen anderen Medienportalen die Tagesnachrichten liest.

Nachdem lange Zeit das Plugin uMatrix von SPIEGEL online entweder nicht erkannt oder aber toleriert wurde, so erscheint nunmehr ein alles verdeckendes Popup-Fenster, welches nicht nur einfach fordert den Adblocker auszuschalten, sondern darüber hinaus informiert: “Sie haben gar keinen Adblocker oder bereits eine Ausnahme hinzugefügt? Bitte prüfen Sie, ob Sie ähnliche Erweiterungen, Do-not-Track-Funktionen oder den Inkognito-Modus aktiviert haben, die ebenfalls Werbung unterdrücken. Nutzen Sie einen Script-Blocker wie uBlock Origin oder Ghostery? Dieser könnte fälschlicherweise als Adblocker erkannt werden, wenn er entsprechend eingerichtet ist. Bitte prüfen Sie in den Einstellungen des Script-Blockers, ob auch Werbung unterdrückt wird, und erstellen Sie dort eine Ausnahmeregel für SPIEGEL ONLINE.“ (Fettdruck von mir)

Im Klartext: Sie müssen sich tracken lassen! Sie dürfen nicht inkognito lesen! Sie müssen im Prinzip alle Skripte zulassen, mit denen wir Informationen, die wir über Ihr Verhalten tracken, mit zahlreichen Datenanalyse-Firmen austauschen. Ziehen Sie blank und pfeifen Sie auf Privatsphäre! Wir können mit Werbung nur dann etwas verdienen, wenn wir genau das machen, was die Werbeindustrie technisch kann und deshalb von uns verlangt: Sie bis aufs Knochenmark zu durchleuchten und die Informationen für immer effektivere Werbung nutzbar machen.

Eine gezielte Konfiguration der Plugins dergestalt, dass nur bestimmte Skripte oder Cookies zugelassen werden, welche die Funktionalität der Webseite gewährleisten, andere aber nicht, ist praktisch aussichtslos. Die entsprechende Aufforderung von SPIEGEL, die “Einstellungen des Blockers zu prüfen”, kann jemand, der nicht Informatik studiert hat, nur als völlig naiv (oder perfide) belächeln: Es sind Dutzende Cookies und Skripte und APIs, die aktiv sind und die sich zudem permanent ändern, so dass man faktisch alles zulassen muss. Siehe dazu die kleine uMatrix-Tabelle am Ende des Textes, welche nur eine kleine Momentaufnahme darstellt, die sich beim weiteren Surfen ständig ändert. Wer keine unfreiwillige Interaktion mit Datenfirmen wie Doubleclick, Emetriq, Meetrics, Emsmobile, Parse.ly, Optimizely, GoogleAnalytics usw. möchte (siehe unten), muss sich offenbar den kompletten SPIEGEL physisch am Kiosk kaufen, selbst wenn einen nur ein oder zwei Artikel interessieren.

Neben dem furchtbaren Werbemüll, der für mich eine Geißel der Menschheit ist, und neben dem beklemmenden Gefühl nicht zu wissen, wenn man SPIEGEL online (oder andere Seiten) liest, wer jetzt gerade im Moment welche Informationen über mein Lese- bzw. Klickverhalten bekommt, um raffiniertere Manipulationsmöglichkeiten auszuschöpfen, gibt es ein weiteres Ärgernis: Wenn sich auf SPIEGEL online kritische Journalisten ach so kritisch mit den Gefahren von Google, Facebook und Amazon auseinandersetzen, die Gefahren der Durchleuchtung der Kunden und Nutzer, der Monopolisierung der Metadaten, deren Auswertung mit KI-Methoden durch die Datenindustrie usw. usw. diskutieren, dann sage ich dem Autor nur: Junge (oder Mädel), du weißt aber schon, dass du hier auf einem Medium schreibst, welches mit Haut und Haar Teil dessen ist, was du hier kritisierst, dass ich deinen technik- und industriekritischen Artikel nur lesen kann, weil ich zulasse, dass mich die von dir kritisierte Werbe- und Datenindustrie jetzt gerade ausforscht, und dass du dein Gehalt oder Tantieme von SPIEGEL online auch nur deshalb bekommst? Was soll ich da von deiner Glaubwürdigkeit halten?

Wenn Leitmedien gerne auf die wichtige gesellschaftliche Funktion von “gutem Journalismus” verweisen, dann nehme ich mal an, dass sie Werbung eher als notwendiges Übel betrachten, weil sie eben Geld verdienen müssen. Wer möchte schon freiwillig seinen gut recherchierten Text mit blinkendem bunten Ramsch verunstalten? Und wer möchte schon, während man im Text den Leser im Geiste der Aufklärung informiert und so zur Selbstbestimmung mündiger Bürger beiträgt, ihn durch die im Hintergrund werkelnden Algorithmen die Kontrolle über seine Handlungskonsequenzen entziehen und unfreiwillig zur Verfeinerung manipulativer Mechanismen beitragen lassen?

Aber leider reicht die unternehmerische Fantasie offenbar nicht aus, um andere Modelle zu entwickeln, um sich vom Klammergriff der Datenindustrie zu emanzipieren. Die digitalen Bezahlmodelle (wie der “Tagespass” oder der “Wochenpass”) sind ein guter Anfang. Damit bekommt man interessanten Content hinter der Paywall. Aber von Werbung und Tracking wird man selbst dann nicht verschont. Wieso nicht? Dass Leser, die im 21. Jahrhundert Wert auf Privatsphäre und Datensouveränität legen, für “guten Journalismus” quasi gezwungen sind auf Printmedien vom Kiosk zurückzugreifen, weil die Verlage im Onlinebereich bereits zu abhängig von der Datenindustrie sind und zu unfähig  sich aus dieser Abhängigkeit zu lösen, mutet geradezu dystopisch an.

PS: Der Text bezieht sich zwar auf SPIEGEL online, andere Nachrichtenportale sind aber auch nicht viel besser. Jedoch war die oben zitierte völlig unverhohlene dreiste Aufforderung, Do-not-track und Incognito-Modus abzuschalten, ausschlaggebend für die Wahl des Adressaten. An die SPIEGEL-Redaktion zu schreiben ist übrigens zwecklos; man erhält eine Textbaustein-Antwort mit dem zu erwartenden Blabla.

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Reaktionen zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Diesel-Fahrverboten

Einige Industrieverbände sowie der Deutsche Städte- und Gemeindebund meinen, dass Diesel-Fahrverbote keine Lösung seien, es sei ein „Irrglaube“ das Schadstoffproblem mit mehr Regulierung und Verboten zu lösen, Fahrverbote seien ein „Herumdoktern an Symptomen“, und überhaupt gäbe es viel bessere Konzepte. Es sei daran erinnert, dass es nicht die Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes war, umweltfreundliche und effiziente Verkehrslösungen zu entwickeln, sondern lediglich festzustellen, ob Fahrverbote rechtmäßig sind oder nicht. Kein Mensch behauptet, dass Dieselfahrverbote eine „Lösung“ seien, auch diejenigen nicht, die das Urteil begrüßen. Was also will man wohl mit einer Rhetorik erreichen, die genau dies dem politischen Gegner unterstellt? Ferner sei daran erinnert, dass das Gericht Fahrverbote als eine Art „ultima ratio“ sieht, wenn andere, weniger in die Freiheitsrechte eingreifende Maßnahmen ausgeschöpft wurden.

Alle Verbände haben Vorschläge parat, die allesamt Bausteine einer umfassenden Verkehrswende sind, die langfristig den motorisierten Individualverkehr zugunsten des ÖPNV deutlich verringern, verstetigen, von fossilen Brennstoffen unabhängig machen soll usw. Das sind allesamt gute Vorschläge, aber Industrie und Politik haben es bislang nicht geschafft, signifikante Schritte in diese Richtung zu gehen. Natürlich sind Regulierungen und Verbote nicht die Lösung, aber vielleicht erzeugen sie endlich den nötigen Druck, über eine Verkehrswende nicht nur wohlfeil zu reden, sondern aktiv zu werden. Da das Urteil Fahrverbote lediglich als letztes Mittel erlaubt, ermuntert es geradezu dazu, zunächst die anderen erfolgversprechenden Wege zu beschreiten.

Christian Lindners Reaktion auf das Urteil: „Ein Schlag gegen Freiheit und Eigentum“ knüpft leider nahtlos an das frühere FDP-Paradigma „Freie Fahrt für freie Bürger“ an, einem intellektuellen Tiefpunkt des Liberalismus. Ich weiß nicht, ob Herr Linder mit dieser Rückkehr zum verbalen Krawall-Liberalismus so gut beraten ist. Die „Freiheit“ ist offenbar die des Autofahrers, massiv in die Freiheitsrechte anderer Bürger einzugreifen, die ein Bedürfnis und – via Grenzwertregulierungen – ein Recht auf einigermaßen akzeptable Luftqualität und Gesundheit haben. Für das knappe Gut „saubere Luft“ gibt es konkurrierende Nutzungsansprüche. Dass Millionen Menschen ungefragt im Mief leben und arbeiten müssen, Gesundheitsbeeinträchtigungen erleiden, usw. ist kein Eingriff in deren Freiheitsrechte? Sind Emissionen quasi ein Naturrecht? Herr Lindner bezweifelt die wissenschaftliche Begründbarkeit der Grenzwerte. Das ist OK. Aber unabhängig davon, wie gesundheitsschädlich welche Mengen von Stickoxid und Feinstaub tatsächlich sind: die ökonomische Begründung von Begrenzungen bestimmter Handlungen (Autofahren), welche bestimmte Externalitäten (Abgase, Feinstaub) hervorrufen, beruht auf einer kollektiven Entscheidung über die Allokation des knappen Gutes „saubere Luft“. Die Legitimation erfährt eine solche Regulierung nicht zwingend erst durch medizinische Argumente, sondern darüber, dass sich eine freiheitliche Gesellschaft selbst solche Allokations-Regeln verordnet, weil diese ausdrücken, mit welcher Güterabwägung sie zu leben wünscht. Und hier haben wir uns nun mal auf europäische Spielregeln geeinigt, an welche sich unsere europäischen Nachbarn (soweit ich weiß) halten. Wenn Herr Lindner diese Spielregeln ändern will, muss er dafür Mehrheiten finden, z.B. die Grenzwerte wieder anzuhben, statt auf Gerichte zu schimpfen. Aber vielleicht ist er besser beraten, seinen Begriff von Freiheit kritisch zu reflektieren.

Der Wert von Dieselfahrzeugen könnte nun deutlich sinken. Dies wirkt tatsächlich ähnlich wie eine Enteignung, das ist richtig. Nicht übersehen sollte man dabei aber die Quasi-Enteignung derjenigen, die jahrelang unter gesetzeswidrigen Emissionen gelitten haben. Ihnen wurden ebenfalls Nutzungsrechte (an Luft mit bestimmter Mindestqualität) entzogen, die sich aber schwer in monetären Verlusten oder Arbeitsplatzverlusten ausdrücken lassen wie es umgekehrt die Industrie und Autobesitzer tun können. Zudem kann man schwerlich behaupten, dass ein Gericht, welches lediglich über die Rechtmäßigkeit von Fahrverboten urteilt, für die Wertminderung bestimmter Fahrzeuge ursächlich verantwortlich ist. Die systematische Täuschung und Tricksereien der Automobilindustrie tragen mindestens ebenso zu dieser Wertminderung, also „Enteignung“ bei wie die Untätigkeit der Politik, frühzeitig langfristige ökologische Verkehrskonzepte zu entwickeln und zu implementieren.

Nachtrag: Das Urteil führt nicht zwingend zum Untergang des Dieselmotors. Das Problem ist der Dieselkraftstoff. Der Dieselmotor könnte auch mit CNG (synthetisch, also nicht-fossil) betrieben werden, wenn man im Blick hat, dass Mobilität sich langfristig von der Nutzung fossiler Energien lösen muss.