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Reaktionen zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Diesel-Fahrverboten

Einige Industrieverbände sowie der Deutsche Städte- und Gemeindebund meinen, dass Diesel-Fahrverbote keine Lösung seien, es sei ein „Irrglaube“ das Schadstoffproblem mit mehr Regulierung und Verboten zu lösen, Fahrverbote seien ein „Herumdoktern an Symptomen“, und überhaupt gäbe es viel bessere Konzepte. Es sei daran erinnert, dass es nicht die Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichtes war, umweltfreundliche und effiziente Verkehrslösungen zu entwickeln, sondern lediglich festzustellen, ob Fahrverbote rechtmäßig sind oder nicht. Kein Mensch behauptet, dass Dieselfahrverbote eine „Lösung“ seien, auch diejenigen nicht, die das Urteil begrüßen. Was also will man wohl mit einer Rhetorik erreichen, die genau dies dem politischen Gegner unterstellt? Ferner sei daran erinnert, dass das Gericht Fahrverbote als eine Art „ultima ratio“ sieht, wenn andere, weniger in die Freiheitsrechte eingreifende Maßnahmen ausgeschöpft wurden.

Alle Verbände haben Vorschläge parat, die allesamt Bausteine einer umfassenden Verkehrswende sind, die langfristig den motorisierten Individualverkehr zugunsten des ÖPNV deutlich verringern, verstetigen, von fossilen Brennstoffen unabhängig machen soll usw. Das sind allesamt gute Vorschläge, aber Industrie und Politik haben es bislang nicht geschafft, signifikante Schritte in diese Richtung zu gehen. Natürlich sind Regulierungen und Verbote nicht die Lösung, aber vielleicht erzeugen sie endlich den nötigen Druck, über eine Verkehrswende nicht nur wohlfeil zu reden, sondern aktiv zu werden. Da das Urteil Fahrverbote lediglich als letztes Mittel erlaubt, ermuntert es geradezu dazu, zunächst die anderen erfolgversprechenden Wege zu beschreiten.

Christian Lindners Reaktion auf das Urteil: „Ein Schlag gegen Freiheit und Eigentum“ knüpft leider nahtlos an das frühere FDP-Paradigma „Freie Fahrt für freie Bürger“ an, einem intellektuellen Tiefpunkt des Liberalismus. Ich weiß nicht, ob Herr Linder mit dieser Rückkehr zum verbalen Krawall-Liberalismus so gut beraten ist. Die „Freiheit“ ist offenbar die des Autofahrers, massiv in die Freiheitsrechte anderer Bürger einzugreifen, die ein Bedürfnis und – via Grenzwertregulierungen – ein Recht auf einigermaßen akzeptable Luftqualität und Gesundheit haben. Für das knappe Gut „saubere Luft“ gibt es konkurrierende Nutzungsansprüche. Dass Millionen Menschen ungefragt im Mief leben und arbeiten müssen, Gesundheitsbeeinträchtigungen erleiden, usw. ist kein Eingriff in deren Freiheitsrechte? Sind Emissionen quasi ein Naturrecht? Herr Lindner bezweifelt die wissenschaftliche Begründbarkeit der Grenzwerte. Das ist OK. Aber unabhängig davon, wie gesundheitsschädlich welche Mengen von Stickoxid und Feinstaub tatsächlich sind: die ökonomische Begründung von Begrenzungen bestimmter Handlungen (Autofahren), welche bestimmte Externalitäten (Abgase, Feinstaub) hervorrufen, beruht auf einer kollektiven Entscheidung über die Allokation des knappen Gutes „saubere Luft“. Die Legitimation erfährt eine solche Regulierung nicht zwingend erst durch medizinische Argumente, sondern darüber, dass sich eine freiheitliche Gesellschaft selbst solche Allokations-Regeln verordnet, weil diese ausdrücken, mit welcher Güterabwägung sie zu leben wünscht. Und hier haben wir uns nun mal auf europäische Spielregeln geeinigt, an welche sich unsere europäischen Nachbarn (soweit ich weiß) halten. Wenn Herr Lindner diese Spielregeln ändern will, muss er dafür Mehrheiten finden, z.B. die Grenzwerte wieder anzuhben, statt auf Gerichte zu schimpfen. Aber vielleicht ist er besser beraten, seinen Begriff von Freiheit kritisch zu reflektieren.

Der Wert von Dieselfahrzeugen könnte nun deutlich sinken. Dies wirkt tatsächlich ähnlich wie eine Enteignung, das ist richtig. Nicht übersehen sollte man dabei aber die Quasi-Enteignung derjenigen, die jahrelang unter gesetzeswidrigen Emissionen gelitten haben. Ihnen wurden ebenfalls Nutzungsrechte (an Luft mit bestimmter Mindestqualität) entzogen, die sich aber schwer in monetären Verlusten oder Arbeitsplatzverlusten ausdrücken lassen wie es umgekehrt die Industrie und Autobesitzer tun können. Zudem kann man schwerlich behaupten, dass ein Gericht, welches lediglich über die Rechtmäßigkeit von Fahrverboten urteilt, für die Wertminderung bestimmter Fahrzeuge ursächlich verantwortlich ist. Die systematische Täuschung und Tricksereien der Automobilindustrie tragen mindestens ebenso zu dieser Wertminderung, also „Enteignung“ bei wie die Untätigkeit der Politik, frühzeitig langfristige ökologische Verkehrskonzepte zu entwickeln und zu implementieren.

Nachtrag: Das Urteil führt nicht zwingend zum Untergang des Dieselmotors. Das Problem ist der Dieselkraftstoff. Der Dieselmotor könnte auch mit CNG (synthetisch, also nicht-fossil) betrieben werden, wenn man im Blick hat, dass Mobilität sich langfristig von der Nutzung fossiler Energien lösen muss.