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Handelsverträge und der “Club der Willigen“

Nordhaus’ Vorschlag des “Clubs der Willigen” sieht vor, dass handelsstarke Länder, die sich zu einem effektiven Klimaschutz verpflichtet haben und damit einen Beitrag zu einem globalen öffentlichen Gut leisten, die weniger willigen Länder, die lieber “free rider” beim Klimaschutz sein wollen, zu einem stärkeren Engagement bewegen, indem Handelserleichterungen nur gegen eine entsprechende wirksame Klimapolitik gewährt werden, also eine Konditionierung der Handelserleichterungen erfolgt. Da der “Club” eine gewichtige Rolle im Welthandel spielt, also ein bedeutender Handelspartner ist, dürften andere Länder ein entsprechendes Interesse an Handelserleichterungen haben und somit diesen Deal eingehen. Da die bisherigen Selbstverpflichtungen zum Klimaschutz, wie etwa das Paris-Abkommen, keine Sanktionsmechanismen haben, d.h. ein Gefangenendilemma bzw. Öffentliches-Gut-Spiel vorliegt, dienen hier bindende Verträge aus einem anderen Politikbereich (Handel) als ein Ersatz, um doch noch einen (indirekten) Sanktionsmechanismus zu etablieren. Auf diese Weise wird Klimaschutzpolitik über das Vehikel der Handelspolitik in ihrer Wirkung vervielfacht. Der Verweis darauf, dass Deutschland ja “nur” 2% zu den CO2-Emissionen beitrage, und selbst die gesamte EU weniger emittiert als China, kann dann nicht als Ausflucht gelten: Das Gewicht im Handel ist sehr groß, und dementsprechend kann es nur gelingen, große Handelspartner zu einem Klima-Committment zu bewegen, wenn auch die eigenen Klimaziele erreicht werden – denn Nordhaus’ Vorschlag bindet auch die Mitglieder des “Clubs der Willigen”, so dass diese nicht nur durch die brüchige kollektive Vernunft, sondern simpel durch Eigeninteresse weiterhin “willig” bleiben.

Globalisierung und die wechselseitige Abhängigkeit der Länder aufgrund komplexer Wertschöpfungsketten ist hier geradezu ein Vorteil um das Anreizproblem bei einem derart existentiellen Thema zu lösen. Je mehr ich auf das Funktionieren dieser Wertschöpfungsketten angewiesen bin, desto höher mein Interesse, bei einem derart konditionierten Handelsvertrag mitzumachen. Das erfordert eine neue Generation von Regional Trade Agreements (RTA), denn eine Implementation auf multilateralem Weg (WTO) würde angesichts der drängenden Zeit viel zu lange dauern.

Diese neue Generation von RTAs sollte also eine Konditionalität vorsehen: wohldefinierte Pakete von Handelserleichterungen müssen quasi “erworben” werden durch überprüfbare Erfolge bei der Reduktion von Treibhausgasen sowie dem Schutz der CO2-Absorptionskapazitäten (z.B. Regenwald). Es sollte auch möglich sein, im Vergleich zum Status Quo zusätzliche protektionistische Maßnahmen zu verhängen, wenn die Emissionsreduktion die gesetzten Ziele nicht erreicht oder sogar ansteigen (oder z.B. Regenwald abgeholzt wird). Da davon auszugehen ist, dass CO2-Emissionen in irgendeiner Form bepreist werden, sind border adjustments selbstverständlich Bestandteil der Abkommen. Nicht oder unzureichend CO2-bepreiste Importgüter werden an der Grenze nachbesteuert um ein level playing field zu schaffen, d.h. heimische Produzenten im “Club der Willigen” sollen keinen Preisnachteil haben dadurch, dass CO2 innerhalb des Clubs einen hohen Preis hat. Umgekehrt muss auch beim Export eine Rückerstattung zumindest eines Teils des entrichteten CO2-Preises möglich sein, um keinen Preisnachteil beim Export außerhalb des “Clubs” zu haben. Auf solche adjustments kann in dem Maß verzichtet werden, wie die Handelspartner ebenfalls solche Preise einführen.

Neben dem Klimaproblem können im Prinzip auch andere Problemfelder die Handelserleichterungen konditionieren, etwa die Einhaltung von Menschenrechten oder ILO-Normen. Spielregeln, die die Art und Weise, wie wir produzieren und konsumieren, arbeiten und leben, so gestalten sollen, wie es den Präferenzen der Menschen in allen am Handel beteiligten Ländern entspricht, sollen nicht durch den Hinweis unterminiert werden, dass sie ja die Wettbewerbsfähigkeit auf den globalisierten Märkten senken. Würde man diesem Argument folgen, so würde zwar (vielleicht) mehr Handel getrieben, aber man befände sich schnurstracks auf dem Weg in Richtung Pareto-Ineffizienz, denn dieses Mehr an Gütern wird unter Bedingungen erzeugt, die die Menschen letztlich nicht präferieren. Und das ist der Maßstab ökonomischer Vernunft: die knappen Ressourcen so einzusetzen, dass Lebensbedingungen erzeugt werden, die von möglichst vielen präferiert werden. Das schließt nicht bloß die schiere Menge an produzierten bzw. konsumierten Gütern ein, sondern auch die Art und Weise, wie sie produziert werden. Und es schließt nicht nur die aktuell lebende, sondern auch künftige Generationen ein. Letztere würden sonst in ihrer Freiheit, ihre eigenen Lebensumstände durch Marktentscheidungen und demokratischen Wahlen bestimmen zu können, eingeschränkt. Und das kann ja wohl nicht Sinn des “Frei”handels sein.

Langfristig führt ein solches Schleifen der Spielregeln zugunsten einer Erhöhung des Handelsvolumens zu ihrer Delegitimation, auch zu Ressentiments gegenüber vertiefter Globalisierung. Eine Konditionierung der Handelserleichterung durch länderübergreifende andere Ziele, wie etwa den Klimaschutz oder den Menschenrechten, kann Globalisierung als schlagkräftiges Vehikel der Durchsetzung dieser Ziele an Zustimmung gewinnen. Das Abkommen zwischen der Europäischen Union und den MERCOSUR-Staaten könnte, wenn es denn neu verhandelt würde (!), zu einer Blaupause für eine solche neue Generation von RTAs werden. In der derzeitigen Form ist von Nordhaus‘ Idee leider nichts zu sehen.

Grüne Klimapolitik: Preise, Mengen, Quoten

Nach dem vielerorts zu Recht als unambitioniert kritisierten Klimapaket der Großen Koalition legen die Grünen ihre Vorschläge vor, die auf dem Parteitag im November 2019 beschlossen werden sollen. Bezüglich der Ziele, des konkreten CO2-Preises und vieler begleitender Maßnahmen wird es mit Sicherheit ein deutlich ambitionierteres Maßnahmenpaket als das der Regierung sein. Gleichzeitig soll es auch das wirtschaftspolitische Image der Grünen schärfen, da auch sie auf das marktkonforme Instrument der CO2-Bepreisung, auf Innovationen sowie unterstützende industriepolitische Maßnahmen setzen. Die umfangreichen Maßnahmen sind eingebettet in die ordnungspolitische Vorstellung einer “ökologisch-sozialen Marktwirtschaft”. So weit, so gut. Bei näherem Hinsehen zeigen sich aber Brüche, die Thema dieses Beitrags sind. Ich beziehe mich dabei auf Positionen, die man in unterschiedlichen Medien und öffentlich zugänglichen Positionspapieren und Leitanträgen nachlesen kann.

Dreh- und Angelpunkt einer marktwirtschaftlichen Klimastrategie ist die Internalisierung externer Effekte durch Einführung von CO2-Preisen. Dies kann einerseits durch eine Mengensteuerung geschehen, wie das beim Emissionszertifikate-Handel (ETS) der Fall ist, bei dem sich der Preis endogen am Markt ergibt. Ein solches ETS gibt es derzeit schon bei der Energieerzeugung und in ausgewählten Industriebranchen sowie dem innereuropäischen Flugverkehr. Oder man gibt wie bei der CO2-Steuer einen Preis vor und erhält durch Substitutions- und technologische Anpassungsprozesse die angestrebte CO2-Mengenreduktion. In beiden Fällen sind begleitende Maßnahmen erforderlich, um zum einen Substitutionsmöglichkeiten im Bereich der Infrastruktur zu schaffen (z.B. ÖPNV-Kapazitätsausbau), und zum anderen um Innovationen und Wechsel hin zu klimafreundlichen Technologien anzuregen, z.B. durch Förderprogramme, aber auch z.B. durch das Verbot von Ölheizungen bei Neubauten ab 20XX. Gegnern solcher “Verbotspolitik” ist oft nicht klar, dass manchmal erst solche command-and-control Maßnahmen Ingenieure vor neue Probleme stellen, die sie dann durch Innovationen lösen. Diese ergänzenden Maßnahmen sind im Fall einer CO2-Steuer sogar notwendig, um eine deutliche Verhaltens- und somit Emissionsmengenänderung zu induzieren. Bei der Zertifikatslösung würde die Mengenänderung hingegen erzwungen werden. Hier haben die begleitenden Maßnahmen den Zweck eines möglichst sanften Übergangs, ohne dass es zu extremen Preiseffekten und brachialen Anpassungsproblemen kommt.

Nun entwickeln die Grünen aber ein außerordentlich komplexes Maßnahmenbündel, welches sowohl auf einer CO2-Steuer basiert (genau genommen ist nur von einem staatlich gesetzten Preis die Rede), als auch einer teilweisen Ausdehnung des ETS sowie zusätzlich sektorspezifischer Ziel- und Quotenvorgaben, zahlreicher ordnungsrechtlicher Regulierungen, und noch zahlreicherer Förder- und Investitionsmaßnahmen, z.T. mit Quersubventionierungseffekten. Sie bezeichnen dies als “klugen Mix” aus Maßnahmen, doch es steht zu befürchten, dass das Wirrwar von sich z.T. überlappenden Maßnahmen und die nicht gewährleistete Einheitlichkeit eines sektorübergreifenden CO2-Preises das Ziel nur zu unnötig hohen volkswirtschaftlichen Kosten erreicht, und ein Controlling, ob die Maßnahmen effektiv sind und das ganze Programm kosteneffizient ist, praktisch unmöglich ist – ein Fehler, den der Bundesrechnungshof schon bei der Energiewende heftig gerügt hat.

Allein ein deutlicher CO2-Preis würde erhebliche Anpassungseffekte auslösen, nicht nur im Verhalten von Haushalten und Firmen, sondern auch bezüglich der Investitionen in klimaschonende Technologien und der entsprechenden Ausrichtung von Forschung und Entwicklung. Das Vertrauen in diese marktwirtschaftlichen Anpassungsprozesse scheint aber eher gering zu sein, wenn man meint, sie durch ein äußerst kleinteiliges sektor- und technologiespezifisches Maßnahmenbündel und staatliche Vorgaben ergänzen zu müssen. Zudem erscheint mir das Gesamtpaket teilweise inkohärent zu sein, u.a. weil es auf Missverständnissen bezüglich der Funktionsweise marktwirtschaftlicher Instrumente beruht.

Es wird zum einen vorgeschlagen, das ETS auf weitere Bereiche auszudehnen wie z.B. weitere Industriesektoren, den außereuropäischen Flugverkehr sowie den Schiffsverkehr. Von einer Ausdehnung des Systems auf grundsätzliche alle Sektoren (Energie, Wohnen, Industrie, Verkehr, Landwirtschaft) ist dagegen nicht die Rede. Hier setzt man lieber auf eine CO2-Steuer. Nun ergibt sich dadurch aber das grundsätzliche Problem unterschiedlicher CO2-Preise in ETS- und non-ETS-Sektoren, welches nur unzureichend angegangen wird. Dies wirkt verzerrend und führt zu Ineffizienzen, da CO2 nicht automatisch dort eingespart wird, wo es die geringsten Kosten verursacht. Dem Klima ist es völlig egal, wo das CO2 eingespart wird, der Volkswirtschaft aber nicht. Anders als im Vorschlag des SVR wird die CO2-Steuer nicht als Instrument in einer Übergangsphase hin zu einem umfassenden ETS betrachtet, sondern als dauerhaft paralleles Instrument. Wenn man dann aber tatsächlich einen einheitlichen CO2-Preis erreichen würde (etwa indem in ETS-Sektoren nur die Differenz zwischen Steuersatz und Zertifikatspreis als Steuer erhoben wird), dann entfällt der Sinn des ETS, einen adäquaten Marktpreis bei vorgegebener Emissionsreduktion zu finden.

Nun gut, wenn man auf den eigentlich aus ökologischer Sicht ungeheuren Vorzug des ETS verzichten möchte, den CO2-Mengenreduktionspfad so definieren zu können, dass das CO2-Budget nicht überschritten wird und Klimaneutralität im Zieljahr 2050 erreicht wird, kann man ja auf eine reine Preissteuerung per CO2-Steuer setzen. Da hier die Mengenwirkung aber ungewiss ist, wird dann jedoch per Quotenregelung und sektorspezifischen Reduktionszielen nachgeholfen. Das klingt eher nach sowjetischem 5-Jahres-Plan. Wenn man der Preiswirkung nicht traut und relativ detailliert in einzelwirtschaftliche Mengenentscheidungen eingreift, dann könnte man eigentlich gleich auf das ETS setzen, welches viel einfacher und zuverlässiger die Mengenreduktion erreicht. Gleichzeitig Preise und Mengen staatlich zu regulieren, ist eine Chimäre. Nochmal: dem Klima ist es egal, wann wieviel in welchen Sektoren eingespart wird, solange die akkumulierten Emissionen nicht das verbliebene CO2-Budget überschreiten, was eigentlich das übergeordnete Leitprinzip sein sollte. Quoten, zum Beispiel für Elektroautos, setzen zum einen voraus, dass der Staat weiß, welche Technologien langfristig sinnvoll sind, und dass eine Einsparung z.B. im Bereich des Individualverkehrs sinnvoller ist als z.B. eine noch ambitioniertere Einsparung per Gebäudesanierung. Oder in der Landwirtschaft. Oder in der Stahlindustrie. Jedoch: das wissen wir nicht. Unter keinen Umständen darf der Markt aber selbst herausfinden, wo man am schnellsten und am preiswertesten einspart, dafür scheint das in der Grünen-DNA verankerte Misstrauen gegenüber Märkten noch zu groß zu sein, auch wenn die Rhetorik deutlich marktwirtschafts-freundlicher geworden ist.

Es finden sich Vorschläge, die auf Quersubventionierung hinauslaufen: Wer Technologie A verwendet, muss eine Abgabe zahlen, mit der die Nutzung der klimafreundlichen alternativen Technologie B gefördert wird. So etwas kann sinnvoll sein, wenn Technologie B noch in den Kinderschuhen steckt, und man durch Stimulierung der Nachfrage starke Skaleneffekte und so Kostendegressionseffekte hervorrufen kann wie das z.B. im Bereich der Photovoltaik geschehen ist. Die Schattenseite ist jedoch, dass die Extrakosten, die der Technologie A neben dem CO2-Preis auferlegt werden, faktisch die Emissionen stärker verteuern als in anderen Sektoren, der CO2-Preis also nicht mehr einheitlich ist. Zudem bilden solche und ähnliche Vorschläge ein kaum überschaubares Geflecht von Abgaben einerseits und Fördertöpfen andererseits, was das Controlling enorm erschwert (siehe oben). Es wäre ja möglich, dass allein der steigende CO2-Preis die Substitution von A durch B bewirkt, ohne das an allen Ecken und Enden mit Extramaßnahmen nachgeholfen werden muss. Falls nicht, so könnte das ganz schlicht daran liegen, dass der CO2-Preis noch zu gering ist.

Eine CO2-Steuer wird vom Staat festgelegt. Hier sind die Vorschläge der Grünen deutlich progressiver als beim Klimapaket der GroKo, bleiben aber dennoch hinter anderen Ländern (Schweiz, Schweden), Vorstellungen von Wissenschaftlern (UBA oder als “neoliberal” geltenden Ökonomen), Aktivisten (FFF) und sogar der Industrie (VDMA) zurück. Interessant ist, dass man auch bei den ETS-Sektoren, da die Einheitlichkeit des Preises nun mal nicht gewährleistet ist, zumindest regulatorische Preiseingriffe vorsieht, konkret: Mindestpreise für Zertifikate, “um die Anreizwirkung aufrecht zu erhalten”. Ob es sich um den Preis beim initialen Verkauf bzw. Versteigerung der Zertifikate auf dem Primärmarkt, oder einen regulatorischen Eingriff auf dem Sekundärmarkt handelt, bleibt etwas unklar; ich gehe von Letzterem aus. Diese Mixtur aus Preis- und Mengenvorgaben führt nicht nur zu adversen Anreizeffekten. Die Begründung zeugt auch von einem Missverstehen dieses Instrumentes: Es bedarf beim ETS keines speziellen “Anreizes” zur Reduktion von CO2, denn diese wird durch den jährliche Cap staatlich vorgegeben! Wenn der Marktpreis nun nicht weiter sinken kann als der verordnete Mindestpreis, so kommt es an dieser Grenze zu einem künstlich erzeugten Angebotsüberschuss nach Zertifikaten und dementsprechend zu Rationierungseffekten. Firmen, die CO2 eingespart haben und nun ihr Zertifikat nicht mehr benötigen, finden ggf. keinen Käufer zum Minimalpreis, der oberhalb des Gleichgewichtsniveaus liegt. In der Nähe des Minimalpreises könnte daher der Anreiz CO2 einzusparen sogar zurückgehen um nicht eventuell auf der rationierten Marktseite zu stehen. Es ist damit zu rechnen, dass das Überschussangebot von Spekulanten zum Minimalpreis aufgekauft wird in der Erwartung auf Preissteigerungen während der Laufzeit der Zertifikate. Wird diese Erwartung erfüllt, ziehen diese Spekulanten Renten aus dem Markt, die ihnen der Gesetzgeber ermöglicht hat. Man kann allenfalls argumentieren, dass der Anreiz auf klimafreundliche Technologien umzustellen, dadurch ausgelöst wird, dass man sich den künstlich erzeugten Dysfunktionalitäten des ETS-Marktes entziehen möchte. Das wäre allerdings eine recht perverse Argumentation. Wenn der Börsenpreis politisch als zu niedrig empfunden wird, könnte der Staat ja auch ganz einfach ETS kaufen und stilllegen, um den Preis zu stabilisieren.

Auch gesonderte Maßnahmen, welche europäische Inlandsflüge teurer machen sollen, um den Verkehr z.B. auf die Schiene zu bringen, sind gut gemeint, zeigen aber, dass das ETS nicht richtig verstanden wird: Sind die Maßnahmen erfolgreich, d.h. reduziert sich der innereuropäische Flugverkehr (bzw. bei der geplanten Ausdehnung des ETS: der Flugverkehr insgesamt), so sinkt die Nachfrage der Fluglinien nach Zertifikaten, deren Preis dann fällt und von anderen Emittenten (z.B. Kohlekraftwerken?) gekauft und verwendet wird. An den Emissionen ändert sich konstruktionsbedingt nichts. Ähnlich ist auch der Irrglaube, durch Verbot von Inlandsflügen würde CO2 eingespart: Die erlaubten Emissionen fallen dann woanders an. Man könnte hier jedoch wieder regulatorisch eingreifen und diejenigen Zertifikate, die durch die Flugpreis-erhöhenden Maßnahmen induzierte Verhaltensänderung nicht mehr nachgefragt werden, staatlicherseits vom Markt nehmen/kaufen. Angesichts dieser irrsinnig komplizierten Konstruktion, welche die Logik des ETS ohnehin völlig außer Kraft setzt, hätte man dann lieber für dessen Abschaffung und Ersatz durch komplexe Bepreisungsregeln plädieren sollen.

Was die Investitionen in klimafreundliche Technologien betrifft, so scheinen die Grünen trotz des deutlich höheren CO2-Preises als im GroKo-Klimapaket kaum Hoffnung zu haben, dass dies private Investitionen in erheblichem Umfang auslöst. Der Fokus liegt nämlich klar auf staatlicher Förderung privater Investitionen sowie auf Investitionen durch den Staat selbst. Schon jetzt scheinen viele Unternehmen erheblich progressiver zu sein als die derzeitige Regierung. Mit ambitionierten Zielen für die klimaneutrale Produktion von Autos oder Stahl, mit einem vorgeschlagenen CO2-Preis von 110 Euro/Tonne (VDMA) und vor allem mit entsprechenden Investitionen gehen einige Firmen voran, obwohl es derzeit noch gar keine wirklich wirksame Klimapolitik gibt. Ob man tatsächlich einen so komplexen und voluminösen fiskalischen Instrumentenkasten braucht, wie es die Vorstellungen der Grünen nahelegen, werden wir sehen. Selbstverständlich sind staatliche Investitionen und Förderungen wichtig. Aber es werden mit keinem Wort positive Erwartungen bezüglich des privaten Engagements ausgesprochen oder gar Abschätzungen von Größenordnungen. Das ist aber nicht unwichtig um diesbezügliche Staatstätigkeit ökonomisch begründen zu können.

Auch die gut gemeinte Einführung von “Preiskorridoren” um stabile Erwartungen bezüglich der CO2-Preisentwicklung im ETS zu generieren, ist kritikwürdig. Wie oben beim Minimalpreis angesprochen, so gibt es auch bei einem Maximnalpreis adverse Anreizeffekte (künstliche Rationierung der Nachfrageseite; Firmen, die sich nicht rechtzeitig mit Zertifikaten eingedeckt haben und nun durch staatliche Verordnung rationiert werden, können nicht produzieren. Es kommt quasi einem Produktionsverbot gleich). Nur wenn man damit rechnet, dauerhaft rationiert zu werden, lohnt sich zu überlegen in klimaneutrale Technologien zu investieren, weil man dann keine Zertifikate nachfragen muss. Auch hier liegt der “Anreiz” darin, sich den künstlich erzeugten Dysfunktionalitäten des Marktes zu entziehen. Fraglich ist jedoch, ob das dann diejenigen Firmen sind, bei denen der Technologiewechsel auch am wirtschaftlichsten ist. Das zu gewährleisten war aber der Sinn des ETS. Warum sollte die Stabilisierung der Preiserwartungen so wichtig sein, dass sie regulatorische Eingriffe rechtfertigt, die den Preismechanismus außer Kraft setzen? Unternehmen sind in einer Marktwirtschaft durchaus gewohnt, langfristige Investitionsentscheidungen zu treffen, obwohl Rohstoff- und Güterpreise schwanken. Zudem gibt es Terminmärkte für Zertifikate sowie andere Hedginginstrumente, so dass Risikomanagement auch ohne staatliche Assistenz möglich ist. Würde man im ETS die jährlichen Caps so festlegen, dass planbar im Jahr 2050 so gut wie keine Emissionsrechte mehr vorhanden sein werden, kann sich jeder Investor an fünf Fingern abzählen, dass demnächst fossile Investitionen mit einem Zeithorizont von ein paar Jahrzehnten (z.B. die neue Ölheizung) sich wohl schwerlich amortisieren werden.

Ein Kernpunkt, auf den die Grünen besonders stolz sind, ist die Entlastung der Haushalte dergestalt, dass ärmere Haushalte durch die CO2-Bepreisung nicht nur nicht belastet, sondern unter dem Strich sogar entlastet werden. Zum einen soll die Stromsteuer auf ein Minimum gesenkt werden, und vor allem sollen die Bürger pro Kopf ein “Energiegeld” erhalten, welches den Kaufkraftverlust ihres Einkommens durch die CO2-Preisüberwälzung kompensiert. Wer unterdurchschnittlich viel CO2 emittiert – und dies sind vor allem die ärmeren Haushalte aufgrund des geringeren Konsums – profitiert sogar. Das ist im Kern ein sehr guter Ansatz. Nun ist von einem anfänglichen CO2-Preis von 40 Euro/Tonne die Rede und einem Energiegeld von 100 Euro pro Person und Jahr. Zu bedenken ist, dass offenbar nur die Einnahmen der Steuer an die Bürger teilweise zurückgegeben werden soll, während das bei den Einnahmen aus dem Zertifikatsverkauf nicht der Fall zu sein scheint. Bei derzeit etwa 9 Tonnen CO2 pro Person und Jahr ist ein Energiegeld von 100 Euro allerdings nur eine sehr mäßige Rückerstattung, falls man von einer weitgehenden Überwälzung der Kosten ausgeht. Bei der Nachbesteuerung von CO2 bei importierten Gütern (“border carbon adjustment”) wird denn auch gleich gesagt, dass dies zur Teilfinanzierung der zahlreichen vorgeschlagenen “Fonds” dient, die alles mögliche bezüglich der “ökologischen Transformation” fördern sollen. Deutlich radikaler, aber auch schlüssiger und für die Bürgern glaubwürdiger wäre es, wenn alle Einnahmen aus der Internalisierung externer Kosten (CO2-Steuer, Einnahmen aus dem Verkauf der Zertifikaten, nachgelagerte Besteuerung an der Grenze) ohne weitere fiskalische Budgetwirkungen unmittelbar an die Bürger zurückgegeben werden (sowie Ausgleich für die Exporteure, denn dort tragen nicht die inländischen Haushalte, sondern ausländische Kunden die Steuerlast mit, und die heimische Firma würde sonst Wettbewerbsverluste erleiden). Den fiskalischen Begehrlichkeiten des Staates sollte dies entzogen sein. Sein Budget einschließlich der ganzen Klima-Förderprogramme sollte sich vorwiegend über Steuern finanzieren, die nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip erhoben werden. Die Höhe der Kompensation, also das “Energiegeld”, ist dann eine Steuerrückerstattung, deren Höhe nicht feststeht, sondern die sich aus der Preis- und Mengenentwicklung ergibt. Die Bürger müssen nicht bloß hoffen, dass die 100 Euro Energiegeld ausreichen um ihre Mehrausgaben zu kompensieren, sie wissen, dass sie (fast) alles zurückbekommen und zwar automatisch. Eine solche fiskalische Regelbindung wäre innovativ gewesen, besonders für die Grünen, die bislang eher für weitere fiskalische Ermächtigungen des Staates stehen, wie sich auch am vorliegenden Konzept zeigt. Immerhin ist das Energiegeld wesentlich überzeugender als die Erhöhung der Pendlerpauschale.

Zwar werden auf dem Parteitag im November auch Positionen bezüglich Globalisierung und internationaler Handelspolitik beschlossen. Es wäre sinnvoll gewesen deutlich zu machen, dass dieses Politikfeld ein integraler Bestandteil der Klimapolitik ist. Man hätte klar konzedieren können, dass Deutschland lediglich etwa 2% zur Emission von Treibhausgasen beiträgt und selbst der Anteil Europas moderat und zudem rückläufig ist. Umso entscheidender ist es, wenn man hier Instrumente, Wissen und Fähigkeiten entwickelt, wie man hohen Wohlstand mit weniger und schließlich ohne fossile Inputs erzeugen kann. Dann kann man die starke Position im Welthandel nutzen, um auch andere Länder (Handelspartner) dazu zu bringen sich auf eine Dekarbonisierungstategie zu verpflichten, und um das entsprechende technologische Know-How zügig zu verbreiten. Dies kann dem Klima sehr viel mehr bringen als nationale Erfolge. Gelänge durch kluges Design von Handelsverträgen und Wissenstransfer die Emissionen allein in China lediglich um 5% zu reduzieren, wäre das mehr als eine 60%-ige Reduktion in Deutschland. Handelsverflechtungen können via Handelsverträge ein mächtiges Vehikel für eine Globalisierung von Klimapolitik sein, und sollten deshalb im Klimaprogramm prominent herausgestellt werden. Hier ist noch viel Luft nach oben.

Alles in allem ist das Klimaprogramm der Grünen deutlich ambitionierter und detaillierter als das GroKo-Paket, von einem Grundverständnis marktwirtschaftlicher Prozesse ist es trotz ständiger anderslauternder Rhetorik nur sehr bedingt getragen. Der Fokus liegt nicht nur auf dem “regulatorischen Rahmen”, den eine sozial-ökologische Marktwirtschaft braucht, wie immer wieder betont wird, sondern auf z.T. sehr detaillierten Eingriffen in Preis-, Mengen- und Technologieentscheidungen, welche die Marktmechanismen nicht bloß “in richtige Bahnen lenken”, sondern partiell außer Kraft setzen. Die Konsequenz wird sein, falls es denn mit der Einhaltung der Klimaziele überhaupt klappt, es unnötig teuer werden wird. Insbesondere wird der Charme der ökologischen Treffsicherheit eines gut ausgestalteten ETS eher achtlos an der Seite liegen gelassen. Dieses Instrument wirkt auf viele Grüne vermutlich doch zu “neoliberal”. Auch deswegen ist der Weg zu einer wirklich wirtschaftskompetenten Partei, die ihren eigenen Anspruch des ordnungsökonomischen Konzeptes einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft gerecht wird, doch noch ein Stückchen weiter als viele in der Partei glauben.

Die Rede von der “guten Balance zwischen Ökonomie und Ökologie”

Diese Sentenz findet sich häufig in der politischen Debatte. Sie soll Ausgewogenheit, Realismus und Kompromissbereitschaft signalisieren. Man nimmt ökologische Ziele durchaus sehr ernst, sieht aber auch ökonomische Realitäten und versucht eine vernünftige Abwägung, da man ja auch an Dinge wie Wettbewerbsfähigkeit, Jobs, soziale Ausgewogenheit und dergleichen denken müsse. Schließlich müsse ja alles, was man “für die Umwelt” tue, ja auch “finanziert” werden.

Mich wundert, dass solche Sichtweisen als Ausweis wirtschaftlicher Vernunft gelten, denn sie beruht auf einer Konfusion von Ziel und Mittel (Restriktionen) und infolgedessen einem Fehlverständnis von Güterabwägung und Effizienz. Die Umwelt ist nicht Ziel, sondern Mittel. Wirtschaftliche Prozesse welcher Art auch immer können auf Dauer nur stattfinden, wenn sie ökologische Restriktionen respektieren. Eine zeitlang kann man diese Restriktionen überschreiten, also mehr Ressourcen extrahieren oder die Umwelt als Senke für Emissionen aller Art verwenden als nachhaltig ist, aber eben nicht auf Dauer. Hinsichtlich des Klimas wird überdeutlich, dass das Ende der tolerierbaren Überschreitung ökologischer Restriktionen gekommen ist. Klima- und Umweltschutz sollten deshalb gerade nicht als Ziel unter mehreren anderen Zielen angesehen werden, sondern als Bestrebung, wirtschaftliche (und andere) Ziele innerhalb und nicht außerhalb der ökologischen Restriktionen zu erreichen. Letztere können wir uns nicht aussuchen. Wenn beim Einkaufen im Supermarkt an der Kasse das Geld nicht ganz reicht, wird man sich auch nicht damit rausreden können, der/die Kassierer/in müsse doch einsehen, dass man eine “ausgewogene Balance” zwischen seinen Konsumwünschen und dem (nicht) vorhandenen Geld im Portemonnaie anstrebe.

Es ist deshalb logisch-konzeptionell schwer nachvollziehbar, was denn ein “Kompromiss” zwischen ökonomischen und ökologischen Zielen, oder ein “Ausgleich von Ökonomie und Ökologie” sein soll. Es ist eine wohlklingende Phrase, von der ich mir wünsche, dass sie ihr Ziel, ökonomische Kompetenz zu signalisieren, verfehlt.

Solange die Menschen wirtschaftliche Ziele schon seit vielen Jahrzehnten auf eine Art und Weise erreichen, die ökologisch nicht nachhaltig ist, sie also quasi ökologisch “auf Kredit” wirtschaften, ist das Jammern über die hohen “Kosten des Umwelt- und Klimaschutzes” unverständlich. Die enormen akkumulierten externen Kosten der Vergangenheit plus die abdiskontierten zukünftigen externen Kosten – also die Kosten des unterlassenen Umwelt- und Klimaschutzes – stellen alles in den Schatten, was auch die ambitioniertesten Klimaschutzprogramme an Ausgaben erfordern. Da sich diese gewaltigen externen Kosten aber bislang fast nicht in den Preisen widergespiegelt haben, hat sich eine Illusion von Wohlstand aufgebaut. Jetzt geht es bildlich gesprochen an die Rückzahlung des ökologischen Kredites und das Geschrei ist groß. Natürlich ist es völlig richtig, dass man zur Einhaltung der Klimaschutzziele ökonomisch “effizient” vorgehen sollte, aber das fällt der Menschheit nun reichlich spät ein. Für eine intertemporal effiziente Strategie hätte man spätestens vor 50 Jahren anfangen sollen.

Entkopplung wirtschaftlicher Aktivität vom Umweltverbrauch, massiver technologischer und struktureller Wandel, Veränderung von Konsummustern usw., möglicherweise auch der eine oder andere Verzicht, falls das mit dem technischen Fortschritt und der Entkopplung nicht so schnell klappt wie es nötig wäre, all das kann man ja auch als “sportliche Herausforderung” sehen denn als ökonomische Bedrohung, um den ökologischen Überziehungskredit (ökolog. Fußabdruck größer als biologische Kapazität) abzubezahlen – kurz bevor der Insolvenzverwalter klopft.

CO2-Bepreisung: Steuer oder Zertifikatslösung?

Praktisch alle Ökonomen sind sich einig, dass sich das Klimaproblem in einer Marktwirtschaft nur lösen lässt, wenn CO2 einen Preis hat, externe Kosten also internalisiert werden. Das zeigt u.a. die Erklärung von über 3500 ÖkonomInnen, darunter 27 Nobelpreisträger und (ehemalige) Zentralbankchefs. Auch der Sachverständigenrat und führende Industrieverbände sprechen sich dafür aus. Die ökonomischen Grundlagen sind so simpel, dass sie an dieser Stelle nicht ausgeführt werden brauchen, und sie sind seit Jahrzehnten bekannt und ihre Anwendung wird ebenso lange schon gefordert. Weniger Einigkeit besteht darüber, in welcher Form CO2 bepreist werden solle: CO2-Steuer oder handelbare Emissionszertifikate. Unter idealen ökonomischen Bedingungen sollten beide Lösungen zum selben Resultat führen. Jedoch sind die Bedingungen nie ideal, und eine äquivalente Ausgestaltung setzt Wissen voraus, das der Staat nicht haben kann. Der Streit darüber, welcher Lösung der Vorzug zu geben ist, verzögert die Lösung des Problems, für dessen Bewältigung wir nur ein recht knapp bemessenes Zeitfenster haben. Da nach der politökonomischen Logik derzeit alle Parteien ein Interesse daran haben, ihre klimapolitische Kompetenz herauszustellen, bietet es sich an, sich vom politischen Gegner zu unterscheiden, also genau die Lösung zu präferieren, die der Gegener gerade nicht präferiert. Möglichst schnell einen Kompromiss zu finden, wird als Schwächung des eigenen Profils angesehen. Daher folgender unverkrampfter Blick auf beide Lösungsansätze.

Für den Strommarkt und spezielle Industriebereiche gibt es schon seit langem den CO2-Emissionszertifikatehandel. Wer in einem bestimmten Zeitraum CO2 emittieren will (bzw. muss), muss sich die Erlaubnis dazu erst kaufen. CO2 erhält dadurch einen Preis. Anfänglich hatte dieses System konzeptionelle Probleme, was zu einem viel zu geringen Preis führte, der kaum Anreizwirkung zur Emissionsvermeidung entfaltete. Durch Senkung der Zertifikatsmengen in den Folgezeiträumen und Übergang zur Versteigerung bei der Erstausgabe (statt “grandfathering”) ist der Preis zwar deutlich gesteiegen, jedoch immer noch gering im Vergleich zu dem, was Ökonomen für angemessen halten. Nun könnte sich dies aber ändern, wenn das Zertifikatsmodell auf alle Sektoren (Industrie, Verkehr, Wohnen, Landwirtschaft) ausgedehnt, und die ausgegebene Zertifikatsmenge konsequent und deutlich jede Periode reduziert wird. Die Vorteile dieses Konzeptes sind: (a) Die CO2-Menge ist – im Gegensatz zur Steuerlösung – gut prognostizierbar und steuerbar. Hinsichtlich der ökologischen Treffsicherheit ist das ein großer Vorteil. (b) Die Zertifikate können nach dem Ersterwerb gehandelt werden. Der Preis richtet sich (zumindest unter idealen Bedingungen) nach den marginalen CO2-Vermeidungskosten. Das bedeutet, dass die Zertifikate dorthin gehen, wo die Vermeidungskosten und somit die Zahlungsbereitschaft für Zertifikate hoch sind, die Emissionsvermeidung also dort stattfindet, wo sie am kostengünstigsten ist. Das ist volkswirtschaftlich sinnvoll. Gleichzeitig hat dies den Nachteil, dass die Preise fluktuieren und für längerfristige Investitionen keine verlässliche Basis darstellen. Allerdings sind sich ändernde Preise in einer Marktwirtschaft normal, dies stellt also keinen außergewöhnlichen Nachteil dar. Allerdings können Preise auch durch spekulative Aktivitäten getrieben werden, so dass Rentenextraktion möglich ist. Großinvestoren könnten sich z.B. mit Zertifikaten eindecken, die sie selbst nicht benötigen, und erst dann zu Spitzenpreisen verkaufen, wenn andere darauf dringend angewiesen sind.

Bei einer CO2-Steuer ist dagegen ein einheitlicher CO2-Preis fest vorgegeben, hingegen ist der Mengeneffekt unsicher. Dieser hängt von sich ggf. ändernden Preiselastizitäten der Nachfrage, also z.B. auch von den Ausweich- bzw. Substitutionsmöglichkeiten ab. Je geringer diese sind, desto kleiner ist der Mengeneffekt, und die ökologische Lenkungswirkung ist beeinträchtigt. Um dieselbe Mengenwirkung zu erzielen wie die Zertifikatslösung, müsste der Staat über ein enormes Wissen bezüglich all dieser Anpassungsprozesse verfügen. Der Vorteil einer Steuer ist allerdings, dass ihre Logik sehr einfach nachvollziehbar ist und eine Steuerharmonisierung oder entsprechende border taxes bei Importen von CO2 beinhaltenden Waren aus Ländern ohne CO2-Bepreisung leicht möglich ist. Bei einem Zertifikatsmodell wäre hingegen zu klären, an was sich solche border taxes denn orientieren sollten.

Daneben gibt es noch einen weiteren Aspekt, wenn man eine europäische Lösung anstrebt: Steuerrecht ist Ländersache, hier hat die EU wenig Handhabe. Das Zertifikatsmodell ist aber bereits ein europäisches Modell, welches „nur“ auf alle Sektoren ausgedehnt werden müsste. Das wiederum hat den Nachteil, dass solche Einigungsprozesse in Europa recht lange dauern, während sich eine nationale Steuerlösung ggf. zügiger implementieren ließe. Ein parallele Kombination aus Zertifikats- und Steuermodell ist jedoch eine Chimäre, die zu Diskriminierung führt: Je nach Sektor ist mal nur eine Steuer, mal ein Zertifikatskauf plus Steuer fällig, es sei denn, man erlaubt eine Anrechnung des Zertifikatspreises auf die Steuerzahlung, was das Modell ziemlich kompliziert macht.

Ein oft genannter verteilungspolitischer Nachteil der Steuer ist auf den ersten Blick, dass alle Waren entsprechend ihres CO2-Gehaltes bei Produktion oder Konsum teurer werden, was vor allem für ärmere Haushalte problematisch ist. Strom, Kraftsstoff, Wärme – alles wird teurer, ohne dass diese Haushalte dem ausweichen können. Deshalb schlagen alle seriösen CO2-Steuermodelle vor, die Steuereinnahmen an die Bürger so zurückzugeben, dass solche Verteilungsprobleme nicht auftreten. Im Fall eines Pauschaltransfers pro Kopf dürften ärmere Haushalte sogar finanziell besser dastehen als beim Status Quo. Reichere Haushalte, wo z.B. deutlich mehr Flugreisen anfallen, wären relativ schlechter gestellt. Der angebliche Nachteil, dass eine CO2-Steuer “die Falschen träfe”, ist also nicht haltbar. Der Sinn der Besteuerung ist allein die Relativpreisänderung zwekcs Internalisierung, nicht das fiskalische Ziel. Daher ist eine Rückgabe an die Bürger unabdingbar. Ein Pauschale pro Kopf oder pro Haushalt hat den Vorteil, dass dadurch die einzelwirtschaftlichen Dispositionen nicht verändert werden, der Rücktransfer der Steuereinnahmen die Allokation also nicht verzerrt. Ein entscheidendes Problem ist jedoch, wie der Staat sich glaubwürdig an eine Regel binden kann, nach der “automatisch” die Einnahmen aus der Steuer sofort zurückgegeben werden, also die Begehrlichkeiten des Fiskus keine Rolle mehr spielen können. Häufig sind Vorschläge zu lesen, welche sozialen und ökologischen Projekte mit etwaigen CO2-Steuereinnahmen alles finanziert werden könnten. Solche Vorschläge sind verständlich und gut gemeint, verdeutlichen aber, wie groß die Begehrlichkeiten sind und wie wichtig eine regelgebundene Rückgabe der Steuer an die Bürger ist. Bei dieser Debatte wird gern übersehen, dass dasselbe Problem auch beim Zertifikatsmodell besteht: Die Einnahmen aus der Versteigerung bzw. dem Verkauf der Zertifikate gehen an den Fiskus. Die Zertifikatspreise verteuern – wie die Steuer – die Produkte, und der Fiskus freut sich über Einnahmen, die rechtlich allerdings keine Steuereinnahmen sind. Die ökonomische Wirkung, auch hinsichtlich der Verteilung, hängt aber nicht davon ab, wie die Einnahmen des Staates benannt werden.

Eine Idee ist nun, beide Modelle wie folgt zu kombinieren: Die Zertifikate mit einer Laufzeit von 1-2 Jahren werden auf dem Primärmarkt zu einem Festpreis pro Tonne und Jahr verkauft. Ausnahmslos alle Sektoren, die CO2 (-Äquivalente) emittieren, müssen Zertifikate nachfragen. Damit wäre CO2 völlig äquivalent zu einer Steuer einheitlich bepreist. Die Zahl der Zertifikate ist jedoch fix und wird jährlich bzw. zweijährlich reduziert. Während dieser Zeit können die Zertifikate zu Marktpreisen gehandelt werden mit der Folge, dass CO2 am ehesten dort eingespart wird, wo es am billigsten ist. Der Ausgabepreis ist dann maßgeblich für eine border tax für unbepreiste CO2-Importe in Gestalt von gehandelten Waren. Die Einnahmen aus dem Zertifikateverkauf an der Börse wird – z.B. über die Finanzämter – automatisch an die Bürger zurückgegeben, also gar nicht erst in einem Haushalt verplant. Dies könnte ein für die Bürger glaubwürdiger Mechanismus sein, so dass sie wissen, dass das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte durch diese Maßnahme nicht reduziert wird.

Nebenbei: Es ist selten eine gute Idee, eine Steuer, die zur Finanzierung von Aufgaben fiskalisch ergiebig und relativ stabil sein soll (z.B. Zahlung einer Grundrente), an eine Bemessungsgrundlage zu knüpfen, deren Schrumpfung gerade das erklärte Ziel eben dieser Steuer ist. Da bei Lenkungssteuern reine Relativpreiseffekte angestrebt werden, sollte man, allein schon um die Akzeptanz der Bürger zu sichern, die Einkommenseffekte neutralisieren, indem die Einnahmen automatisch an die Bürger zurückgegeben werden. Wie man dies institutionell glaubwürdig verankern kann, ist derzeit noch zu wenig diskutiert worden.

Ist die nachgefragte Menge beim initialen Verkauf der Zertifikate zu gering, so kann anschließend der Marktpreis an der Börse nicht oberhalb des Ausgabepreises liegen. Für den Staat wäre das ein Indikator, dass Vermeidung von CO2-Emissionen kostengünstiger ist als gedacht, und weniger Emission geplant sind als rechtlich zulässig gewsen wären. Die Nichtnutzung von Zertifikaten wäre ökologisch zu begrüßen, der Staat könnte dann in der nächsten Runde eine entsprechend drastischere Senkung der Zertifikatsmenge anstreben. Im Fall einer Überschussnachfrage hingegen stellt der Ausgabepreis eine Untergrenze dar, es sei denn, im Verlauf der Periode gelingt es der Wirtschaft, die Emissionen und somit den Bedarf an Zertifikaten zu senken. In dem Fall ist ein geringer Preis kein Grund zur Besorgnis, denn das quantitative Vermeidungsziel wurde ja eingehalten, und der niedrige Preis zeigt an, dass in der Folgeperiode ehrgeizigere Einsparziele (durch verminderte Zertifikatsausgabe) möglich sind. Bei einer initialen Überschussnachfrage kann man natürlich überlegen, den Ausgabepreis zu erhöhen oder doch wieder auf ein Auktionsverfahren überzugehen. Alternativ kann auch eine Zuteilung der nachgefragten Mengen mit einem Abschlag erfolgen.

Wie ist ein Mindestpreis für Zertifikate zu beurteilen, wie ihn einige vorschlagen? Ziel ist, Preise stabil und hoch zu halten und somit die Planungsgrundlage zu verbessern. Zunächst kann man erwidern, dass der Staat, wenn er denn das Ziel eines Mindespreises hat, jederzeit gerne Zertifikate vom Markt kaufen und stilllegen kann, wenn er das möchte. In der Regel zielt ein Mindestpreisvorschlag aber auf einen mehr oder weniger komplizierten staatlichen Eingriff in das Preissystem der Börse ab. Dies verbessert allerdings auch die Planungsgrundlage für den spekulativen Kauf von Zertifikaten, da hier das Verlustrisiko nach unten begrenzt ist. An der Mindestschwelle lohnt es sich, Zertifikate zu kaufen, auch wenn man kein CO2-Emittent ist. Durch die Verknappung treibt man so den Preis hoch und verkauft die Bestände dann mit Gewinn. Das allerdings hätte auch der Staat selbst tun können, so dass nun dieser Gewinn privaten Spekulanten zufließt. Kurzum: ein niedriger Zertifikatspreis ist ein Indikator dafür, dass man die Ausgabe der Zertifikate drosseln sollte, der Pfad in Richtung Null also schneller beschritten werden sollte. Er ist nicht per se ein Grund, mit einer Mindestpreisregelung einzugreifen.

Wie steht dieser Vorschlag im Verhältnis zu verbindlichen Ausstiegsszenarien, also etwa: Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 20XX; Verbot des Verbrennungsmotors für PKW bis 20YY usw. usf.? Wenn die Gesamtemissionen wegen der Ausdehnung des Zertifikatmodells auf alle Sektoren einem strikten Reduktionsplan folgen, so dass das emittierte Gesamtvolumen von CO2 eine bestimmte Grenze nicht überschreitet, wozu soll es dann gut sein, für einzelne Industrien oder Technologien Ausstiegsszenarien oder Grenzen festzulegen? Der Natur ist es völlig egal, wo und wie CO2 eingespart wird. Und volkswirtschaftlich sollte die Einsparung dort erfolgen, wo sie am billigsten ist. Ich erkenne keinen ökologischen Zweck in detaillierten planwirtschaftlichen Vorgaben.

Es sollte nicht allzu kompliziert sein, sich pragmatisch auf ein Modell zu einigen. Wähler sowie Fridays4Future werden es honorieren, wenn ein mutiger Schritt in diese Richtung getan wird. Das bedeutet aber, dass die Parteien aufeinander zugehen müsen.