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Die Kritik an der Zertifikatslösung

Dullien, S. (2020), Warum der Glaube in die Überlegenheit des Emissionshandels übertrieben ist. Makronom, 7. Januar 2020 (makronom.de)

In diesem Aufsatz stellt Sebastian Dullien die starke Präferenz vieler vor allem deutscher Ökonom*innen für die Zertifikatslösung in Frage, indem er auf einige Nachteile dieses Konzeptes hinweist. Er tut dies auf eine sehr angenehme sachlich-argumentative Weise. Dies ermöglicht (und ermutigt) eine ebenso sachlich-freundliche Replik.

Die meisten Ökonomen, welche die Zertifikatslösung präferieren, sprechen sich nicht gegen die CO2-Steuerlösung aus. Die Steuerlösung ist immer weitaus besser als der Status Quo, wenn vielleicht auch, nach Meinung vieler Ökonom*innen, nicht ganz so vorteilhaft wie die Zertifikatslösung. Aber niemand würde sich aktiv gegen eine Steuerlösung einsetzen. Sie ist auch kommunikativ deutlich einfacher zu vermitteln, was ein politökonomisch wichtiger Aspekt für ein schnelles klimapolitisches Handeln ist. Dies ist vermutlich auch der Hintergrund des Aufrufs zahlreicher amerikanischer Ökonomen und Zentralbanker, auf den Dullien zu Beginn verweist.

Eines seiner wichtigsten Argumente ist die Preisvolatilität, die sich beim Zertifikatehandel ergibt, im Gegensatz zur Steuerlösung. Dullien weist darauf hin, dass bei einer Einhegung der Preisvolatilität im Zertifikatsmodell durch Mindest- und Höchstpreise der zentrale Vorteil der planbaren Mengenentwicklung wegfallen würde. Das ist korrekt, zumindest wenn sich die Zertifikatsmenge an den Rändern des Preisintervalls elastisch an die Nachfrage anpasst. Bleibt die Zertifikatsmenge hingegen fix, so führt der Preiskorridor zu Rationierungseffekten, die ebenfalls unerwünscht sind. Bei einem reinen Zertifikatsmodell ohne Preiskorridor würden die Preise jedoch kurzfristig schwanken, was die Planungssicherheit für Investitionen in klimaneutrale Technologien einschränken würde. Hier kann man einwenden, dass (a) Investoren eher langfristige Preisentwicklungen im Blick haben, die bei systematischer Verknappung der Zertifikate ziemlich eindeutig sein sollte. (b) In einer Marktwirtschaft schwanken Preise ohnehin, Rohstoffpreise allzumal, was nicht per se ein Investitionshindernis ist. Unsicherheit der Preisentwicklung ist Teil der DNA einer Marktwirtschaft. Sie hat auch nicht verhindert, dass in den vergangenen 150 Jahren massiv in fossile Energien investiert wurde. (c) Schließlich gibt es Hedging-Instrumente für das Management von Unsicherheit, etwa options und futures auf Zertifikate. (d) Im Steuermodell unterliegt der zukünftige CO2-Preis politischen Risiken. Die Preissicherheit ist hier eher kurz- bis mittelfristig.

Wenn einem das Volatilitätsargument, aber auch das Argument der Sicherheit der Mengenentwicklung wichtig ist, könnte man auch daran denken, ein umfassendes ETS mit einer (relativ hohen) Steuer zu kombinieren, wobei der an der Börse gezahlte Preis auf die Steuerschuld angerechnet wird, sofern dieser unterhalb des Steuersatzes liegt. Auf diese Weise kennen Investoren den Pfad des Mindestpreises, der in die Amortisationsrechnung einfließt.

Dullien weist außerdem darauf hin, dass mit der Preisvolatilität auch die Rückzahlungen an die Bürger unsicher würden. Diese Rückerstattungen seien aber für die Akzeptanz einer CO2-Bepreisung sehr wichtig. Letzterem ist unbedingt zuzustimmen. Allerdings gibt es zwei Einwände: (a) das Aufkommen ist prinzipiell unsicher bei planbarer Menge und volatilen Preisen (Zertifikatsmodell), aber auch bei festen Preisen und unklarem Mengeneffekt (Steuermodell). (b) Im Zertifikatsmodell erzielt der Staat Einnahmen aus der anfänglichen Versteigerung (oder Verkauf) der Zertifikate auf dem Primärmarkt. Diese Einnahmen werden an die Bürger zurückgegeben. Die anschließenden Preisschwankungen auf dem Sekundärmarkt sind weniger relevant, denn die z.B. beim Preisanstieg steigenden Kosten des Zertifikatserwerbers (was dessen Angebot verteuert) sind gleichzeitig Einnahmen des Zertifikatsverkäufers, dessen Produktion sich verbilligt. Die Kosten verteilen sich im Privatsektor lediglich anders, was zu Relativpreisänderungen führt, die Nettozahlungen des Privatsektors an den Staat und damit die an die Haushalte rückzuerstattende Summe bleibt davon aber unberührt. Ob Schwankungen der Zertifikatspreise an der Börse sich unmittelbar und 1:1 in z.B. Benzinpreisschwankungen übersetzen, wird man sehen. In der Regel werden Mineralölkonzerne vorab Kontingente von Zertifikaten erwerben und nicht erst fallweise dann, wenn eine einzelne Tankstelle beliefert wird. Da der CO2-Preis lediglich einen überschaubaren Teil des Benzinpreises ausmacht, wird die Volatilität des ersteren vermutlich in der ohnehin vorhandenen Volatilität des letzteren untergehen. Zudem bedeutet eine Preisänderung an der Börse eine Kostenänderung für die Anbieter, die jetzt gerade trades durchführen. Für diejenigen, die bereits ausreichend Zertifikate besitzen und diese einsetzen, ändern die täglichen Schwankungen nichts an der Kostensituation. Nur Grenz-Unternehmen sind betroffen. Deshalb denke ich, dass das Volatilitätsargument überbewertet wird.

Allerdings geht Dullien von einer Vorab-“Rück”erstattung aus, d.h. der Staat müsste die “Klimaprämie” quasi vorfinanzieren. Wenn das so gewünscht ist, ist es weniger problematisch, wenn hier der Staat die Aufkommensunsicherheit etwas abfedert. Allerdings zeigt sich hier auch ein Vorteil der Zertifikatslösung, weil Emittenten die Rechte vorab erwerben müssen, während bei einer CO2-Steuer das exakte Steueraufkommen erst ex post feststeht, nachdem die Emissionsmengen gemessen wurden.

Desweiteren argumentiert Dullien, dass komplementäre klimapolitische Maßnahmen wie etwa Förderung von ÖPNV oder Infrastrukturmaßnahmen nötig seien, um überhaupt genügende Substitutionsmöglichkeiten zu schaffen. Denn die stetige Substitution CO2-emittierender Produkte und Verfahren, gesteuert durch Preise, ist ja das Ziel. Diese komplementären CO2-sparenden Maßnahmen seien jedoch schwierig mit dem Zertifikatsmodell zu kombinieren, weil diese Maßnahmen die Nachfrage nach Zertifikaten und damit deren Preis senken würden, so dass diese Zertifikate eben an anderer Stelle nachgefragt würden, und sich trotz der Maßnahmen am Ende des Tages die Emissionsmenge nicht verändern würde. Bei einer CO2-Steuer hingegeben würde der Einsparanreiz bestehen bleiben. Das Argument ist völlig richtig, jedoch meines Erachtens dennoch irreführend. Bei einer CO2-Steuer wird es mangels Substitutionsmöglichkeiten oft keine ausreichende Verhaltensänderung geben. Deshalb wird es nötig, solche Substitutionsmöglichkeiten durch Zusatzmaßnahmen zu fördern, damit überhaupt eine nennenswerte Mengenwirkung erzielt wird. Beim Zertifikatsmodell hingegen ist die Mengenwirkung sicher. Allerdings würde bei unzureichenden Substitutionsmöglichkeiten der Zertrifikatspreis und damit die Kosten des klimaschädlichen Verhaltens durch die Decke gehen. Die begleitenden Maßnahmen (ÖPNV-Ausbau etc.) haben hier also den Sinn, bezahlbare Alternativen zu schaffen bei sicherem Mengeneffekt. Dieselbe Maßnahme im Kontext der CO2-Steuer hat den Sinn – obgleich klimaschädliches Verhalten einen lediglich moderaten Preis hat – eine halbwegs attraktive Alternative zu schaffen, damit es überhaupt einen Mengeneffekt gibt. Ich denke nicht, dass man diese zweifellos notwendigen komplementären klimapolitischen Maßnahmen in dem einen Kontext als Vorteil, im anderen als “schwierig vereinbar” sehen kann. Der Verweis darauf, dass es “attraktiv” sein muss CO2 zu sparen, klingt gut, ist hier aber nicht hilfreich, wenn das Instrument diese Einsparung bereits erzwingt.

Dasselbe Argument wird geltend gemacht bezüglich individueller Anstrengungen CO2 einzusparen. In einem Zertifikatssystem werden all diese Anstrengungen “zunichte” gemacht, weil die frei werdenden Zertifikate dann einfach anderswo eingesetzt werden und sich an der Gesamtmenge nichts ändert. Beispiel: Verzicht auf innereuropäische Flüge, was keinerlei CO2 einspart. Das ist richtig und für das intuitive Verständnis der breiten Bevölkerung sicherlich schwieriger nachvollziehbar als der kontinuierliche Vermeidungsanreiz einer CO2-Steuer. Als Misanthrop teile ich die Auffassung, dass die Logik des Zertifikatsmodells einer breiten Bevölkerung schwierig zu vermitteln ist. Aber der Sinn einer Internalisierung ist es ja, dass Konsumenten sich nun auf das Relativpreissystem verlassen können statt ihre Dispositionen zusätzlich von moralischen Überlegungen leiten zu lassen, wie man etwas Gutes für das Klima tun könne. Für die Konsumenten reicht das “normale” Substitutionsverhalten völlig aus um das Konsummuster klimafreundlicher werden zu lassen. Für Anbieter entsteht bei beiden Systemen (Zertifikate, CO2-Steuer) ein Anreiz, klimaschonende Alternativen zu entwickeln und sich so einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Für den moralisch motivierten Bürger, der zusätzlich etwas für das Klima tun möchte, würde ich raten: Kaufe CO2-Zertifikate und entziehe sie so dem Markt. Im Unterschied zu anderen individuellen klimaschonenden Maßnahmen kann man hier sogar exakt bestimmen, wieviel CO2 damit vermieden wird, nämlich eine Tonne pro Zertifikat. Der Nachteil ist allerdings, dass diese Rechnung zwar völlig korrekt ist, der virtuelle Kaufakt eines Wertpapiers per Mausklick aber psychologisch viel unbefriedigender ist als eine Verzichtsübung im täglichen Konsum. Hier kann man dann die Frage stellen, ob man die erzieherische Wirkung auf Menschen oder den tatsächlichen Effekt auf die Emissionen priorisiert.

Ein weiteres Argument Dulliens ist der Hinweis darauf, dass die im Zertifikatsmodell vorgegebene Menge und deren Reduzierung im Allgemeinen nicht sozial optimal ist. Dies wäre nur der Fall, wenn die Grenzvermeidungskosten dem Grenzschaden entspräche. Das Zertifikatsmodell lege jedoch nur eine Menge fest, deren Preis dann zwar den Grenzvermeidungskosten entspricht, der Grenzschaden jedoch systematisch keine Rolle spielt. Nun ist allerdings die Ermittlung des “Grenzschadens” einer Tonne CO2 außerordentlich methodenabhängig, man könnte auch sagen: spekulativ. Wenn man die UBA-Berechnung von “mindestens 180 Euro/Tonne” zugrundelegt, dann sind auch alle bekannten CO2-Steuerkonzepte sozial ineffizient. Befindet man sich in absehbarer Zeit an den Kipp-Punkten im Klima-System, dann dürfte es wohl keine seriösen “Berechnungen” von “Grenzschäden” mehr geben. Zielführender scheint mir daher das Kriterium zu sein, ob mit der Maßnahme das verbleibende CO2-Budget eingehalten werden kann, das zur Erreichung des 1.5- oder 2-Grad-Ziels erforderlich ist. Zwar ist es ein Problem zu bestimmen, welchen Anteil Deutschland am globalen CO2-Budget hat, was ja auch eine normative Frage ist. Aber sobald diese Frage politisch geklärt ist, ist der Spielraum für plausible Reduktionspfade, die sich innerhalb des Budgets bewegen, nicht allzu groß und sollten die Vorlage für die jährlichen Caps im Emissionshandel sein. Global gesehen wären dies im Schnitt konstante Reduktionsraten von 8-9 Prozent jährlich (Annahme: verbleibendes CO2-Budget = 420 Gt, jährliche Emissionen = 36 Gt), aus Gründen der Klimagerechtigkeit dürfte das bei Industriestaaten wohl etwas höher liegen, sagen wir z.B. 10 Prozent, um Spielraum für sich entwickelnde Volkswirtschaften zu schaffen. Ob dabei irgendwelche theoretischen Marginalbedingungen erfüllt sind oder nicht – ich glaube nicht, dass Dullien auf ein derartig neoklassisches Argument so viel Wert legt.

Schließlich argumentiert Dullien gegen das Argument, dass nur Zertifikatshandel einen einheitlichen CO2-Preis garantiert, der für effiziente Einsparung bzw. Allokation der Emissionen nötig sei. Zunächst ist es ein Strohmann-Argument, denn meines Wissens anerkennt jede*r Ökonom*in, dass auch eine CO2-Steuer ein einheitlicher Preis wäre. In dieser Hinsicht unterscheiden sich beide Konzepte nicht. Wenn es aber Argumente wie sektorspezifische Netzwerkeffekte und positive Externalitäten gibt, die an der Effizienz einheitlicher Preise zweifeln lassen, so trifft auch dies zunächst beide Instrumente. Sektorspezifische Extra-Steuern oder Subventionen, welche diese speziellen Marktunvollkommenheiten adressieren, sind in beiden Modellen möglich. Ich sehe darin kein systematisches Argument gegen das Zertifikatsmodell.

Im Gesamturteil ist Dullien sehr vorsichtig trotz der erkennbaren Präferenz für die Steuerlösung. Es ist durchaus verdienstvoll, kritische Punkte am Zertifikatsmodell herauszuarbeiten. Dennoch halte ich die Kritikpunkte für nicht allzu tragfähig und gravierend, um den m.E. entscheidenden Vorteil des Zertifikatsmodells überzukompensieren: Eine verlässliche quantitative Reduktion innerhalb des verbleibenden CO2-Budgets ist unabdingbar und mit einem umfassenden Zertifikatsmodell mehr oder weniger zu “erzwingen”. Dieser Vorteil ist keineswegs “übertrieben” obschon jedes Instrument, jedes klimapolitische Konzept selbstverständlich Vor- und Nachteile hat. Die Flankierung durch weitere klimapolitische Maßnahmen (Infrastruktur, FuE, Ordnungsrecht) sowie der soziale Ausgleich durch Rückgabe der staatlichen Einnahmen an die Haushalte sind in beiden Modellen wichtig.

Grüne Klimapolitik: Preise, Mengen, Quoten

Nach dem vielerorts zu Recht als unambitioniert kritisierten Klimapaket der Großen Koalition legen die Grünen ihre Vorschläge vor, die auf dem Parteitag im November 2019 beschlossen werden sollen. Bezüglich der Ziele, des konkreten CO2-Preises und vieler begleitender Maßnahmen wird es mit Sicherheit ein deutlich ambitionierteres Maßnahmenpaket als das der Regierung sein. Gleichzeitig soll es auch das wirtschaftspolitische Image der Grünen schärfen, da auch sie auf das marktkonforme Instrument der CO2-Bepreisung, auf Innovationen sowie unterstützende industriepolitische Maßnahmen setzen. Die umfangreichen Maßnahmen sind eingebettet in die ordnungspolitische Vorstellung einer “ökologisch-sozialen Marktwirtschaft”. So weit, so gut. Bei näherem Hinsehen zeigen sich aber Brüche, die Thema dieses Beitrags sind. Ich beziehe mich dabei auf Positionen, die man in unterschiedlichen Medien und öffentlich zugänglichen Positionspapieren und Leitanträgen nachlesen kann.

Dreh- und Angelpunkt einer marktwirtschaftlichen Klimastrategie ist die Internalisierung externer Effekte durch Einführung von CO2-Preisen. Dies kann einerseits durch eine Mengensteuerung geschehen, wie das beim Emissionszertifikate-Handel (ETS) der Fall ist, bei dem sich der Preis endogen am Markt ergibt. Ein solches ETS gibt es derzeit schon bei der Energieerzeugung und in ausgewählten Industriebranchen sowie dem innereuropäischen Flugverkehr. Oder man gibt wie bei der CO2-Steuer einen Preis vor und erhält durch Substitutions- und technologische Anpassungsprozesse die angestrebte CO2-Mengenreduktion. In beiden Fällen sind begleitende Maßnahmen erforderlich, um zum einen Substitutionsmöglichkeiten im Bereich der Infrastruktur zu schaffen (z.B. ÖPNV-Kapazitätsausbau), und zum anderen um Innovationen und Wechsel hin zu klimafreundlichen Technologien anzuregen, z.B. durch Förderprogramme, aber auch z.B. durch das Verbot von Ölheizungen bei Neubauten ab 20XX. Gegnern solcher “Verbotspolitik” ist oft nicht klar, dass manchmal erst solche command-and-control Maßnahmen Ingenieure vor neue Probleme stellen, die sie dann durch Innovationen lösen. Diese ergänzenden Maßnahmen sind im Fall einer CO2-Steuer sogar notwendig, um eine deutliche Verhaltens- und somit Emissionsmengenänderung zu induzieren. Bei der Zertifikatslösung würde die Mengenänderung hingegen erzwungen werden. Hier haben die begleitenden Maßnahmen den Zweck eines möglichst sanften Übergangs, ohne dass es zu extremen Preiseffekten und brachialen Anpassungsproblemen kommt.

Nun entwickeln die Grünen aber ein außerordentlich komplexes Maßnahmenbündel, welches sowohl auf einer CO2-Steuer basiert (genau genommen ist nur von einem staatlich gesetzten Preis die Rede), als auch einer teilweisen Ausdehnung des ETS sowie zusätzlich sektorspezifischer Ziel- und Quotenvorgaben, zahlreicher ordnungsrechtlicher Regulierungen, und noch zahlreicherer Förder- und Investitionsmaßnahmen, z.T. mit Quersubventionierungseffekten. Sie bezeichnen dies als “klugen Mix” aus Maßnahmen, doch es steht zu befürchten, dass das Wirrwar von sich z.T. überlappenden Maßnahmen und die nicht gewährleistete Einheitlichkeit eines sektorübergreifenden CO2-Preises das Ziel nur zu unnötig hohen volkswirtschaftlichen Kosten erreicht, und ein Controlling, ob die Maßnahmen effektiv sind und das ganze Programm kosteneffizient ist, praktisch unmöglich ist – ein Fehler, den der Bundesrechnungshof schon bei der Energiewende heftig gerügt hat.

Allein ein deutlicher CO2-Preis würde erhebliche Anpassungseffekte auslösen, nicht nur im Verhalten von Haushalten und Firmen, sondern auch bezüglich der Investitionen in klimaschonende Technologien und der entsprechenden Ausrichtung von Forschung und Entwicklung. Das Vertrauen in diese marktwirtschaftlichen Anpassungsprozesse scheint aber eher gering zu sein, wenn man meint, sie durch ein äußerst kleinteiliges sektor- und technologiespezifisches Maßnahmenbündel und staatliche Vorgaben ergänzen zu müssen. Zudem erscheint mir das Gesamtpaket teilweise inkohärent zu sein, u.a. weil es auf Missverständnissen bezüglich der Funktionsweise marktwirtschaftlicher Instrumente beruht.

Es wird zum einen vorgeschlagen, das ETS auf weitere Bereiche auszudehnen wie z.B. weitere Industriesektoren, den außereuropäischen Flugverkehr sowie den Schiffsverkehr. Von einer Ausdehnung des Systems auf grundsätzliche alle Sektoren (Energie, Wohnen, Industrie, Verkehr, Landwirtschaft) ist dagegen nicht die Rede. Hier setzt man lieber auf eine CO2-Steuer. Nun ergibt sich dadurch aber das grundsätzliche Problem unterschiedlicher CO2-Preise in ETS- und non-ETS-Sektoren, welches nur unzureichend angegangen wird. Dies wirkt verzerrend und führt zu Ineffizienzen, da CO2 nicht automatisch dort eingespart wird, wo es die geringsten Kosten verursacht. Dem Klima ist es völlig egal, wo das CO2 eingespart wird, der Volkswirtschaft aber nicht. Anders als im Vorschlag des SVR wird die CO2-Steuer nicht als Instrument in einer Übergangsphase hin zu einem umfassenden ETS betrachtet, sondern als dauerhaft paralleles Instrument. Wenn man dann aber tatsächlich einen einheitlichen CO2-Preis erreichen würde (etwa indem in ETS-Sektoren nur die Differenz zwischen Steuersatz und Zertifikatspreis als Steuer erhoben wird), dann entfällt der Sinn des ETS, einen adäquaten Marktpreis bei vorgegebener Emissionsreduktion zu finden.

Nun gut, wenn man auf den eigentlich aus ökologischer Sicht ungeheuren Vorzug des ETS verzichten möchte, den CO2-Mengenreduktionspfad so definieren zu können, dass das CO2-Budget nicht überschritten wird und Klimaneutralität im Zieljahr 2050 erreicht wird, kann man ja auf eine reine Preissteuerung per CO2-Steuer setzen. Da hier die Mengenwirkung aber ungewiss ist, wird dann jedoch per Quotenregelung und sektorspezifischen Reduktionszielen nachgeholfen. Das klingt eher nach sowjetischem 5-Jahres-Plan. Wenn man der Preiswirkung nicht traut und relativ detailliert in einzelwirtschaftliche Mengenentscheidungen eingreift, dann könnte man eigentlich gleich auf das ETS setzen, welches viel einfacher und zuverlässiger die Mengenreduktion erreicht. Gleichzeitig Preise und Mengen staatlich zu regulieren, ist eine Chimäre. Nochmal: dem Klima ist es egal, wann wieviel in welchen Sektoren eingespart wird, solange die akkumulierten Emissionen nicht das verbliebene CO2-Budget überschreiten, was eigentlich das übergeordnete Leitprinzip sein sollte. Quoten, zum Beispiel für Elektroautos, setzen zum einen voraus, dass der Staat weiß, welche Technologien langfristig sinnvoll sind, und dass eine Einsparung z.B. im Bereich des Individualverkehrs sinnvoller ist als z.B. eine noch ambitioniertere Einsparung per Gebäudesanierung. Oder in der Landwirtschaft. Oder in der Stahlindustrie. Jedoch: das wissen wir nicht. Unter keinen Umständen darf der Markt aber selbst herausfinden, wo man am schnellsten und am preiswertesten einspart, dafür scheint das in der Grünen-DNA verankerte Misstrauen gegenüber Märkten noch zu groß zu sein, auch wenn die Rhetorik deutlich marktwirtschafts-freundlicher geworden ist.

Es finden sich Vorschläge, die auf Quersubventionierung hinauslaufen: Wer Technologie A verwendet, muss eine Abgabe zahlen, mit der die Nutzung der klimafreundlichen alternativen Technologie B gefördert wird. So etwas kann sinnvoll sein, wenn Technologie B noch in den Kinderschuhen steckt, und man durch Stimulierung der Nachfrage starke Skaleneffekte und so Kostendegressionseffekte hervorrufen kann wie das z.B. im Bereich der Photovoltaik geschehen ist. Die Schattenseite ist jedoch, dass die Extrakosten, die der Technologie A neben dem CO2-Preis auferlegt werden, faktisch die Emissionen stärker verteuern als in anderen Sektoren, der CO2-Preis also nicht mehr einheitlich ist. Zudem bilden solche und ähnliche Vorschläge ein kaum überschaubares Geflecht von Abgaben einerseits und Fördertöpfen andererseits, was das Controlling enorm erschwert (siehe oben). Es wäre ja möglich, dass allein der steigende CO2-Preis die Substitution von A durch B bewirkt, ohne das an allen Ecken und Enden mit Extramaßnahmen nachgeholfen werden muss. Falls nicht, so könnte das ganz schlicht daran liegen, dass der CO2-Preis noch zu gering ist.

Eine CO2-Steuer wird vom Staat festgelegt. Hier sind die Vorschläge der Grünen deutlich progressiver als beim Klimapaket der GroKo, bleiben aber dennoch hinter anderen Ländern (Schweiz, Schweden), Vorstellungen von Wissenschaftlern (UBA oder als “neoliberal” geltenden Ökonomen), Aktivisten (FFF) und sogar der Industrie (VDMA) zurück. Interessant ist, dass man auch bei den ETS-Sektoren, da die Einheitlichkeit des Preises nun mal nicht gewährleistet ist, zumindest regulatorische Preiseingriffe vorsieht, konkret: Mindestpreise für Zertifikate, “um die Anreizwirkung aufrecht zu erhalten”. Ob es sich um den Preis beim initialen Verkauf bzw. Versteigerung der Zertifikate auf dem Primärmarkt, oder einen regulatorischen Eingriff auf dem Sekundärmarkt handelt, bleibt etwas unklar; ich gehe von Letzterem aus. Diese Mixtur aus Preis- und Mengenvorgaben führt nicht nur zu adversen Anreizeffekten. Die Begründung zeugt auch von einem Missverstehen dieses Instrumentes: Es bedarf beim ETS keines speziellen “Anreizes” zur Reduktion von CO2, denn diese wird durch den jährliche Cap staatlich vorgegeben! Wenn der Marktpreis nun nicht weiter sinken kann als der verordnete Mindestpreis, so kommt es an dieser Grenze zu einem künstlich erzeugten Angebotsüberschuss nach Zertifikaten und dementsprechend zu Rationierungseffekten. Firmen, die CO2 eingespart haben und nun ihr Zertifikat nicht mehr benötigen, finden ggf. keinen Käufer zum Minimalpreis, der oberhalb des Gleichgewichtsniveaus liegt. In der Nähe des Minimalpreises könnte daher der Anreiz CO2 einzusparen sogar zurückgehen um nicht eventuell auf der rationierten Marktseite zu stehen. Es ist damit zu rechnen, dass das Überschussangebot von Spekulanten zum Minimalpreis aufgekauft wird in der Erwartung auf Preissteigerungen während der Laufzeit der Zertifikate. Wird diese Erwartung erfüllt, ziehen diese Spekulanten Renten aus dem Markt, die ihnen der Gesetzgeber ermöglicht hat. Man kann allenfalls argumentieren, dass der Anreiz auf klimafreundliche Technologien umzustellen, dadurch ausgelöst wird, dass man sich den künstlich erzeugten Dysfunktionalitäten des ETS-Marktes entziehen möchte. Das wäre allerdings eine recht perverse Argumentation. Wenn der Börsenpreis politisch als zu niedrig empfunden wird, könnte der Staat ja auch ganz einfach ETS kaufen und stilllegen, um den Preis zu stabilisieren.

Auch gesonderte Maßnahmen, welche europäische Inlandsflüge teurer machen sollen, um den Verkehr z.B. auf die Schiene zu bringen, sind gut gemeint, zeigen aber, dass das ETS nicht richtig verstanden wird: Sind die Maßnahmen erfolgreich, d.h. reduziert sich der innereuropäische Flugverkehr (bzw. bei der geplanten Ausdehnung des ETS: der Flugverkehr insgesamt), so sinkt die Nachfrage der Fluglinien nach Zertifikaten, deren Preis dann fällt und von anderen Emittenten (z.B. Kohlekraftwerken?) gekauft und verwendet wird. An den Emissionen ändert sich konstruktionsbedingt nichts. Ähnlich ist auch der Irrglaube, durch Verbot von Inlandsflügen würde CO2 eingespart: Die erlaubten Emissionen fallen dann woanders an. Man könnte hier jedoch wieder regulatorisch eingreifen und diejenigen Zertifikate, die durch die Flugpreis-erhöhenden Maßnahmen induzierte Verhaltensänderung nicht mehr nachgefragt werden, staatlicherseits vom Markt nehmen/kaufen. Angesichts dieser irrsinnig komplizierten Konstruktion, welche die Logik des ETS ohnehin völlig außer Kraft setzt, hätte man dann lieber für dessen Abschaffung und Ersatz durch komplexe Bepreisungsregeln plädieren sollen.

Was die Investitionen in klimafreundliche Technologien betrifft, so scheinen die Grünen trotz des deutlich höheren CO2-Preises als im GroKo-Klimapaket kaum Hoffnung zu haben, dass dies private Investitionen in erheblichem Umfang auslöst. Der Fokus liegt nämlich klar auf staatlicher Förderung privater Investitionen sowie auf Investitionen durch den Staat selbst. Schon jetzt scheinen viele Unternehmen erheblich progressiver zu sein als die derzeitige Regierung. Mit ambitionierten Zielen für die klimaneutrale Produktion von Autos oder Stahl, mit einem vorgeschlagenen CO2-Preis von 110 Euro/Tonne (VDMA) und vor allem mit entsprechenden Investitionen gehen einige Firmen voran, obwohl es derzeit noch gar keine wirklich wirksame Klimapolitik gibt. Ob man tatsächlich einen so komplexen und voluminösen fiskalischen Instrumentenkasten braucht, wie es die Vorstellungen der Grünen nahelegen, werden wir sehen. Selbstverständlich sind staatliche Investitionen und Förderungen wichtig. Aber es werden mit keinem Wort positive Erwartungen bezüglich des privaten Engagements ausgesprochen oder gar Abschätzungen von Größenordnungen. Das ist aber nicht unwichtig um diesbezügliche Staatstätigkeit ökonomisch begründen zu können.

Auch die gut gemeinte Einführung von “Preiskorridoren” um stabile Erwartungen bezüglich der CO2-Preisentwicklung im ETS zu generieren, ist kritikwürdig. Wie oben beim Minimalpreis angesprochen, so gibt es auch bei einem Maximnalpreis adverse Anreizeffekte (künstliche Rationierung der Nachfrageseite; Firmen, die sich nicht rechtzeitig mit Zertifikaten eingedeckt haben und nun durch staatliche Verordnung rationiert werden, können nicht produzieren. Es kommt quasi einem Produktionsverbot gleich). Nur wenn man damit rechnet, dauerhaft rationiert zu werden, lohnt sich zu überlegen in klimaneutrale Technologien zu investieren, weil man dann keine Zertifikate nachfragen muss. Auch hier liegt der “Anreiz” darin, sich den künstlich erzeugten Dysfunktionalitäten des Marktes zu entziehen. Fraglich ist jedoch, ob das dann diejenigen Firmen sind, bei denen der Technologiewechsel auch am wirtschaftlichsten ist. Das zu gewährleisten war aber der Sinn des ETS. Warum sollte die Stabilisierung der Preiserwartungen so wichtig sein, dass sie regulatorische Eingriffe rechtfertigt, die den Preismechanismus außer Kraft setzen? Unternehmen sind in einer Marktwirtschaft durchaus gewohnt, langfristige Investitionsentscheidungen zu treffen, obwohl Rohstoff- und Güterpreise schwanken. Zudem gibt es Terminmärkte für Zertifikate sowie andere Hedginginstrumente, so dass Risikomanagement auch ohne staatliche Assistenz möglich ist. Würde man im ETS die jährlichen Caps so festlegen, dass planbar im Jahr 2050 so gut wie keine Emissionsrechte mehr vorhanden sein werden, kann sich jeder Investor an fünf Fingern abzählen, dass demnächst fossile Investitionen mit einem Zeithorizont von ein paar Jahrzehnten (z.B. die neue Ölheizung) sich wohl schwerlich amortisieren werden.

Ein Kernpunkt, auf den die Grünen besonders stolz sind, ist die Entlastung der Haushalte dergestalt, dass ärmere Haushalte durch die CO2-Bepreisung nicht nur nicht belastet, sondern unter dem Strich sogar entlastet werden. Zum einen soll die Stromsteuer auf ein Minimum gesenkt werden, und vor allem sollen die Bürger pro Kopf ein “Energiegeld” erhalten, welches den Kaufkraftverlust ihres Einkommens durch die CO2-Preisüberwälzung kompensiert. Wer unterdurchschnittlich viel CO2 emittiert – und dies sind vor allem die ärmeren Haushalte aufgrund des geringeren Konsums – profitiert sogar. Das ist im Kern ein sehr guter Ansatz. Nun ist von einem anfänglichen CO2-Preis von 40 Euro/Tonne die Rede und einem Energiegeld von 100 Euro pro Person und Jahr. Zu bedenken ist, dass offenbar nur die Einnahmen der Steuer an die Bürger teilweise zurückgegeben werden soll, während das bei den Einnahmen aus dem Zertifikatsverkauf nicht der Fall zu sein scheint. Bei derzeit etwa 9 Tonnen CO2 pro Person und Jahr ist ein Energiegeld von 100 Euro allerdings nur eine sehr mäßige Rückerstattung, falls man von einer weitgehenden Überwälzung der Kosten ausgeht. Bei der Nachbesteuerung von CO2 bei importierten Gütern (“border carbon adjustment”) wird denn auch gleich gesagt, dass dies zur Teilfinanzierung der zahlreichen vorgeschlagenen “Fonds” dient, die alles mögliche bezüglich der “ökologischen Transformation” fördern sollen. Deutlich radikaler, aber auch schlüssiger und für die Bürgern glaubwürdiger wäre es, wenn alle Einnahmen aus der Internalisierung externer Kosten (CO2-Steuer, Einnahmen aus dem Verkauf der Zertifikaten, nachgelagerte Besteuerung an der Grenze) ohne weitere fiskalische Budgetwirkungen unmittelbar an die Bürger zurückgegeben werden (sowie Ausgleich für die Exporteure, denn dort tragen nicht die inländischen Haushalte, sondern ausländische Kunden die Steuerlast mit, und die heimische Firma würde sonst Wettbewerbsverluste erleiden). Den fiskalischen Begehrlichkeiten des Staates sollte dies entzogen sein. Sein Budget einschließlich der ganzen Klima-Förderprogramme sollte sich vorwiegend über Steuern finanzieren, die nach dem Leistungsfähigkeitsprinzip erhoben werden. Die Höhe der Kompensation, also das “Energiegeld”, ist dann eine Steuerrückerstattung, deren Höhe nicht feststeht, sondern die sich aus der Preis- und Mengenentwicklung ergibt. Die Bürger müssen nicht bloß hoffen, dass die 100 Euro Energiegeld ausreichen um ihre Mehrausgaben zu kompensieren, sie wissen, dass sie (fast) alles zurückbekommen und zwar automatisch. Eine solche fiskalische Regelbindung wäre innovativ gewesen, besonders für die Grünen, die bislang eher für weitere fiskalische Ermächtigungen des Staates stehen, wie sich auch am vorliegenden Konzept zeigt. Immerhin ist das Energiegeld wesentlich überzeugender als die Erhöhung der Pendlerpauschale.

Zwar werden auf dem Parteitag im November auch Positionen bezüglich Globalisierung und internationaler Handelspolitik beschlossen. Es wäre sinnvoll gewesen deutlich zu machen, dass dieses Politikfeld ein integraler Bestandteil der Klimapolitik ist. Man hätte klar konzedieren können, dass Deutschland lediglich etwa 2% zur Emission von Treibhausgasen beiträgt und selbst der Anteil Europas moderat und zudem rückläufig ist. Umso entscheidender ist es, wenn man hier Instrumente, Wissen und Fähigkeiten entwickelt, wie man hohen Wohlstand mit weniger und schließlich ohne fossile Inputs erzeugen kann. Dann kann man die starke Position im Welthandel nutzen, um auch andere Länder (Handelspartner) dazu zu bringen sich auf eine Dekarbonisierungstategie zu verpflichten, und um das entsprechende technologische Know-How zügig zu verbreiten. Dies kann dem Klima sehr viel mehr bringen als nationale Erfolge. Gelänge durch kluges Design von Handelsverträgen und Wissenstransfer die Emissionen allein in China lediglich um 5% zu reduzieren, wäre das mehr als eine 60%-ige Reduktion in Deutschland. Handelsverflechtungen können via Handelsverträge ein mächtiges Vehikel für eine Globalisierung von Klimapolitik sein, und sollten deshalb im Klimaprogramm prominent herausgestellt werden. Hier ist noch viel Luft nach oben.

Alles in allem ist das Klimaprogramm der Grünen deutlich ambitionierter und detaillierter als das GroKo-Paket, von einem Grundverständnis marktwirtschaftlicher Prozesse ist es trotz ständiger anderslauternder Rhetorik nur sehr bedingt getragen. Der Fokus liegt nicht nur auf dem “regulatorischen Rahmen”, den eine sozial-ökologische Marktwirtschaft braucht, wie immer wieder betont wird, sondern auf z.T. sehr detaillierten Eingriffen in Preis-, Mengen- und Technologieentscheidungen, welche die Marktmechanismen nicht bloß “in richtige Bahnen lenken”, sondern partiell außer Kraft setzen. Die Konsequenz wird sein, falls es denn mit der Einhaltung der Klimaziele überhaupt klappt, es unnötig teuer werden wird. Insbesondere wird der Charme der ökologischen Treffsicherheit eines gut ausgestalteten ETS eher achtlos an der Seite liegen gelassen. Dieses Instrument wirkt auf viele Grüne vermutlich doch zu “neoliberal”. Auch deswegen ist der Weg zu einer wirklich wirtschaftskompetenten Partei, die ihren eigenen Anspruch des ordnungsökonomischen Konzeptes einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft gerecht wird, doch noch ein Stückchen weiter als viele in der Partei glauben.

CO2-Bepreisung – kurz und bündig

Meine persönliche (derzeitige) Präferenz bezüglich einer Bepreisung von CO2:

  1. Wegen der ökologischen Zielgenauigkeit wird das ETS-Modell im Grundsatz favorisiert (handelbare Emissionsrechte). Ein CO2-Reduktionspfad im Rahmen des noch verbliebenen CO2-Budgets erfordert eine solche Zielgenauigkeit bezüglich der Emissionsmenge. Da aber dessen Ausdehnung auf alle Sektoren sowie die europarechtliche Abstimmung relativ viel Zeit beansprucht, sollte übergangsweise eine CO2-Steuer eingeführt werden und zwar so zeitnah wie möglich.
  2. Öl, Kohle, fossiles Erdgas werden an der Quelle, d.h. bei der erstmaligen inländischen Transaktion besteuert, ähnlich wie das derzeit bei der Mineralölsteuer schon geschieht. Industrie, Stromerzeugung, Wohnen/Heizen und Verkehr werden dadurch automatisch erfasst, da alle fossilen Energieträger durch Steuerüberwälzung teurer werden. Der Steuersatz sollte bei mindestens 100 Euro/Tonne liegen, und dann sukzessive jährlich gesteigert werden. Damit liegt man in etwa auf dem Niveau der Schweiz oder Schwedens, die längst eine solche Steuer haben, und auch in der Nähe der Vorstellungen der Industrie (z.B. VDMA), die sich auf eine deutliche CO2-Bepreisung eingestellt hat.
  3. Im Gegenzug wird die Stromsteuer abgeschafft. Eine allgemeine Besteuerung von Strom unabhängig von der Art der Energiequelle ist nicht zielführend, zumal Strom eine wichtige Rolle bei der Energiewende spielt. Aufgrund der zu erwartenden massiven Relativpreisänderung zuungunsten fossil erzeugten Stroms und entsprechender Nachfragelenkung auf Strom aus erneuerbaren Energien, wird deren Quersubventionierung durch EEG-Umlage nicht mehr nötig sein. Solange noch keine 100%-Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien vorhanden ist, wird die Überschussnachfrage nach grünem Strom zu ausreichend hohen Preisen führen, die zur zügigen Amortisation nötig sind.
  4. Die Steuereinnahmen fließen in einen Fonds, aus dem die Bürger den größten Teil als Steuerrückerstattung pro Kopf oder pro Haushalt erhalten. Dies sollte positive Verteilungswirkungen haben, da Geringverdiener in der Regel einen geringeren CO2-Fußabdruck haben. Jeder Bürger hat eine Steuernummer, welche technisch zur Rückerstattung verwendet werden könnte. Der Fonds sollte unabhängig von tagespolitischer Einflussnahme sein, um den Bürgern das Vertrauen zu geben, dass es sich eben nicht um eine Steuererhöhung handelt, sondern sich in der Summe das verfügbare Einkommen aller Haushalte nicht wesentlich ändert (ärmere Haushalte sogar profitieren). Diese nicht unberechtigte Sorge der Bürger, dass Steuereinnahmen letztlich nur fiskalische Begehrlichkeiten wecken und befriedigen, dürfte die wesentliche Erklärung für das schizophrene Umfrageergebnis sein, dass die große Mehrheit der BürgerInnen sich eine erheblich schärfere Klimapolitik wünschen, gleichzeitig aber eine CO2-Bepreisung ablehnen. Diese Inkonsistenz gilt es deutlich zu machen und zu überwinden. Eine Rückführung der Einnahmen auch als “Steuerrückerstattung” zu benennen statt “Klimadividende” oder “Energiegeld”, was eher an Transferleistungen eines gütigen Staates erinnert, wäre vielleicht hilfreich. Es signalisiert “Das steht mir zu!” statt “Mir wird eine milde Gabe zuteil.”
  5. Synthetisches Erdgas (Power2Gas), welches durch Extraktion von CO2 aus der Atmosphäre gewonnen wurde und deshalb klimaneutral ist, wird logischerweise nicht besteuert. Da derzeit technisch bedingt synthetisches Methan teurer ist als fossiles, sollte dadurch die preisliche Wettbewerbsfähigkeit von Power2Gas deutlich schneller erreicht werden, möglicherweise sofort. Das bietet attraktive Investitionsmöglichkeiten in einen Bereich, der für die Energiewende dringend erforderlich ist. Da es sich bei Power2Gas letztlich um eine Form der Speicherung (nicht: Verbrauch) von Strom handelt, vorzugsweise von Strom aus einem temporären Überschussangebot, sollten hier nur der Strombörsenpreis anfallen.
  6. Die Besteuerung von Biokraftstoffen, die zwar ebenfalls klimaneutral sind, aber anderweitige ökologische Nachteile haben (etwa den enormen Flächenverbrauch zulasten der Nahrungsmittel­produktion), ist noch zu klären. Biokraftstoffe werden derzeit noch von der EU gefördert. Diese Subvention gehört, wie etliche andere fragwürdige Subventionen auch, überprüft bzw. abgeschafft.
  7. Andere klimaschädliche Emissionen wie z.B. Methan oder Lachgas werden in CO2-Äquivalente umgerechnet und ebenfalls besteuert (bzw. später in das ETS einbezogen). Das betrifft beispielsweise die Landwirtschaft oder durch Fracking gefördertes fossiles Erdgas (welches dann entsprechend teurer würde als konventionell gefördertes).
  8. In der Phase der CO2-Steuer werden wertvolle Informationen über Mengenreaktionen gesammelt, die in das adäquate Design eines allgemeinen ETS für alle Sektoren einfließen. Dieses ETS sieht vor, dass mit dem Erwerb von Öl, Kohle, fossilem Gas (also der Bemessungsgrundlage der Steuer) entsprechende Zertifikate zu erwerben sind. In der Zwischenphase können diejenigen Branchen, die schon jetzt Zertifikate erwerben müssen, sich den Erwerbspreis auf die Steuer anrechnen lassen, um eine verzerrende Doppel-Bepreisung zu vermeiden, so dass ein einheitlicher CO2-Preis entsteht, was für eine effiziente Klimapolitik wichtig ist.
  9. In einem späteren ETS soll es kein Grandfathering geben (keine anfängliche kostenlose Zertifikatsvergabe). Die Zertifikate sollen entweder versteigert werden, oder aber ein fester, jedoch im Zeitablauf steigender Ausgabepreis vorgegeben werden. Dies würde einen möglichst nahtlosen Umstieg vom Steuer- auf das ETS-System ermöglichen, indem der zuletzt gültige Steuersatz als Ausgabepreis oder als Mindestpreis der Auktion verwendet wird. Der anschließende Handel auf dem Sekundärmarkt erfolgt dann zum aktuellen Marktpreis. Dieser liefert wichtige Informationen zur Gestaltung des künftigen Ausgabepreises und der künftigen Mengenkürzungen (“caps”). Um sicherzustellen, dass bei der anfänglichen Zertifikatsversteigerung bzw. dem Verkauf nur Emittenten und nicht etwa finanzstarke spekulative Investoren zum Zuge kommen, könnten Zugangsregeln für den Primärmarkt erlassen werden.
  10. Ein Mindest- und Höchstpreis (Korridor) bei einem Zertifikatssystem ist nicht sinnvoll. Es gehen nicht nur wertvolle Informationen verloren, es entstehen auch adverse Anreizwirkungen. Fällt der Preis sehr stark, so ist das ein Indiz dafür, dass eine Substitution durch klimafreundliche Technologien erheblich einfacher und attraktiver geworden ist, so dass die Nachfrage nach Zertifikaten stark zurückgegangen ist. Das ist gut! Zwar stimmt das Argument, dass dann ältere “dreckige” Anlagen wieder wirtschaftlicher werden. Allerdings nur vorübergehend, weil der Preisverfall im Folgejahr zu einem entsprechend strikterem Cap, also einer stärkeren Verknappung führen wird. Außerdem bleibt ja stets garantiert, dass die Emission die vorgegebene Gesamtmenge nicht überschreitet, selbst wenn ältere Anlagen vorübergehend mehr produzieren. Würde man einen Mindestpreis bei unverändeter Zertifikatsmenge setzen, so würden diejenigen Anbieter, die CO2 eingespart haben und bereits gekaufte Zertifikate nicht mehr brauchen, dadurch bestraft, dass sie für diesen Mindestpreis wahrscheinlich keinen Käufer finden werden (künstliches Überschussangebot, d.h. Rationierung von Anbietern). Das wiederum kann Spekulanten auf den Plan rufen, die die überschüssigen Zertifikate zum Mindestpreis aufkaufen, um sie ggf. später zu höheren Preisen verkaufen zu können. Gelingt diese Spekulation, so werden Renten aus dem Markt extrahiert, was nicht effizient ist. Alternativ könnte der Staat allerdings Zertifikate vom Markt wegkaufen, bis der minimale Zielpreis erreicht ist. Bei einem Höchstpreis gibt es ebenfalls adverse Reaktionen: Diejenigen Firmen, die dringend Zertifikate brauchen und einen höheren Preis zu zahlen bereit wären, erhalten keines (Überschussnachfrage). Sie werden rationiert und können somit nicht produzieren. Es läuft letztlich auf ein Produktionsverbot hinaus, welches zufällig jene Unternehmen trifft, die nicht schnell genug waren, sich rechtzeitig mit Zertifikaten einzudecken. Das wirkt ähnlich wie eine Enteignung. Dies ließe sich nur vermeiden, wenn zum Höchstpreis die entsprechend nachgefragte Zertifikatsmenge ausgegeben würde, was der CO2-Steuerlösung entspräche. Dann aber entfällt der zentrale Sinn der Zertifikatslösung, nämlich die Mengenentwicklung entsprechend des verbleibenden CO2-Budgets steuern zu können.

    Die Absicht hinter Mindest- und Höchstpreisen ist, eine relativ stabile Preisentwicklung zu erhalten, die die Unsicherheit der Investoren reduzieren soll, die langfristig planen. Dazu ist zu sagen, dass auch bisher schon Unternehmen mit der Volatilität von Rohstoffpreisen umzugehen hatten. Das ist in einer Marktwirtschaft nichts Ungewöhnliches. Es ist rührend, wenn dem Staat jetzt einfällt, dass man Investoren Planungssicherheit verschaffen möchte, die es sonst auf Rohstoffmärkten nicht gibt. Außerdem wird übersehen, dass es Hedging-Instrumente wie options und futures auf Zertifikate gibt, die ein Risikomanagement ermöglichen. Die Reduktion von Unsicherheit betrifft im Übrigen auch Investitionen in fossile Technologien. Worauf sich allerdings alle Marktteilnehmer 100%ig verlassen können ist, dass das Angebot an Zertifikaten systematisch knapper wird, mit dauerhaft sinkenden Preisen also nicht zu rechnen ist. Das sollte eigentlich genügen, um einen Bias in Richtung Investition in klimaneutrale Technologien zu bewirken.
  11. Die Einnahmen aus der Zertifikatsvergabe fließen dann in denselben Fonds wie zuvor die CO2-Steuer, und sie werden ebenso den Bürgern pauschal wieder zurückgegeben. Es muss deutlich werden, dass es sich hier um eine Maßnahme zur Korrektur des Preissystems handelt (“Preise müssen ökologische Wahrheit sagen”) und nicht um die fiskalischen Interessen des Staates. Für letztere ist eine Besteuerung nach dem Leistungsfähigkeits­prinzip vorgesehen, aber nicht die Maßnahmen zur Internalisierung externer Effekte.
  12. Vom jetzigen Zeitpunkt an ist die für das 1.5-Grad-Ziel tolerierbare Menge (“CO2-Budget”) bekannt. Während der Phase der CO2-Steuer wird dieses in nicht voraussehbarer Weise teilweise aufgebraucht. Beim Umstieg auf ein allgemeines ETS kann dann das restliche Budget zielgenau über die Zeit verteilt werden. Wann genau inn welchem Sektor eine vollständige Dekarbonisierung erfolgt, ist dabei unwichtig, solange man sich an die CO2-Budgetrestriktion hält. Dieser Pfad hängt stark von der technologischen Entwicklung ab, die der Staat im vorhinein nicht kennen kann. Allerdings sollte der Staat klimaneutrale Technologien und entsprechende FuE fördern, ÖPNV ausbauen etc., damit die erforderliche Substitution überhaupt stattfinden kann, die der CO2-Preis ja bewirken soll. Eine Vorgabe fester Quoten für bestimmte Sektoren steht der Logik einer CO2-Bepreisung entgegen: CO2 soll ja in erster Linie dort vermieden werden, wo es einfach möglich und daher billig ist. Wer sich in wenigen Jahren noch eine Ölheizung oder einen PkW mit Benzin-/Dieselmotor kauft, kann jetzt schon wissen, dass der Betrieb wahnsinnig teuer werden wird und mit einer Amortisation nicht mehr zu rechnen ist.
  13. Sowohl bei der CO2-Steuer als auch beim Zertifikatehandel ist das Problem der internationalen Preisverzerrung zu lösen. Heimische Anbieter CO2-intensiver Produkte werden einen komparativen Nachteil haben, entsprechende Industrien drohen abzuwandern, die Emissionen finden dann anderswo statt. Dementsprechend ist der (geschätzte) CO2-Gehalt importierter Güter nachzubesteuern (“carbon border adjustment tax”). Es handelt sich dabei ausdrücklich nicht um einen Zoll, sondern um eine Maßnahme steuerlicher Gleichbehandlung und sollte deshalb WTO-konform sein. Sowohl technisch-administrativ als auch europarechtlich ist das jedoch außerordentlich kniffelig. In diese Richtung muss aber dringend weitergedacht werden.
  14. Eine länderübergreifende Harmonisierung von CO2-Steuern mag wünschenswert sein, aber mit Wünschen kommt man nicht schnell genug nicht weit genug. Wichtiger ist eine mittel- bis längerfristige Ausdehnung des ETS auf andere Länder, insbesondere solche, die intensiv über Wertschöpfungsketten miteinander verbunden sind. Da es der Atmosphäre egal ist, wo genau die Emission stattfindet bzw. vermieden wird, kann und sollte es auch einen grenzüberschreitenden (regulierten) Zertifikatehandel geben. Da es sich um ein homogenes Gut handelt, gäbe es im Idealfall einen global einheitlichen Zertifikatspreis. Auf steuerliche Ausgleichsmaßnahmen an der Grenze kann in dem Umfang verzichtet werden, wo die Handelspartnerländer ein entsprechendes ETS (oder Steuer) eingeführt haben.
  15. Freihandelsverträge sollten genutzt werden um massiv auf CO2-Bepreisungen bei Handelspartnern hinzuwirken, also bspw. die Einführung eines integrierten ETS zur Voraussetzung für Handelserleicherungen zu machen (entsprechend Nordhaus‘ Vorschlag des „Clubs der Willigen“). Da künftig das weitaus größte Potenzial der CO2-Reduktion nicht in Deutschland (und auch nur sehr begrenzt in Europa) liegt, sondern vor allem bei den Schwellenländern, ist die Nutzung von Freihandelsverträgen zur Förderung einer möglichst weltweiten CO2-Bepreisung möglicherweise die wichtigste Klimaschutzmaßnahme überhaupt. Die Abhängigkeit der heimischen Wirtschaft von globalen Wertschöpfungsketten kann also gerade eine Chance darstellen, dass die Bedingung sich in eine Klimaschutzstrategie einbinden zu lassen, von vielen Ländern akzeptiert werden wird.

CO2-Bepreisung: Steuer oder Zertifikatslösung?

Praktisch alle Ökonomen sind sich einig, dass sich das Klimaproblem in einer Marktwirtschaft nur lösen lässt, wenn CO2 einen Preis hat, externe Kosten also internalisiert werden. Das zeigt u.a. die Erklärung von über 3500 ÖkonomInnen, darunter 27 Nobelpreisträger und (ehemalige) Zentralbankchefs. Auch der Sachverständigenrat und führende Industrieverbände sprechen sich dafür aus. Die ökonomischen Grundlagen sind so simpel, dass sie an dieser Stelle nicht ausgeführt werden brauchen, und sie sind seit Jahrzehnten bekannt und ihre Anwendung wird ebenso lange schon gefordert. Weniger Einigkeit besteht darüber, in welcher Form CO2 bepreist werden solle: CO2-Steuer oder handelbare Emissionszertifikate. Unter idealen ökonomischen Bedingungen sollten beide Lösungen zum selben Resultat führen. Jedoch sind die Bedingungen nie ideal, und eine äquivalente Ausgestaltung setzt Wissen voraus, das der Staat nicht haben kann. Der Streit darüber, welcher Lösung der Vorzug zu geben ist, verzögert die Lösung des Problems, für dessen Bewältigung wir nur ein recht knapp bemessenes Zeitfenster haben. Da nach der politökonomischen Logik derzeit alle Parteien ein Interesse daran haben, ihre klimapolitische Kompetenz herauszustellen, bietet es sich an, sich vom politischen Gegner zu unterscheiden, also genau die Lösung zu präferieren, die der Gegener gerade nicht präferiert. Möglichst schnell einen Kompromiss zu finden, wird als Schwächung des eigenen Profils angesehen. Daher folgender unverkrampfter Blick auf beide Lösungsansätze.

Für den Strommarkt und spezielle Industriebereiche gibt es schon seit langem den CO2-Emissionszertifikatehandel. Wer in einem bestimmten Zeitraum CO2 emittieren will (bzw. muss), muss sich die Erlaubnis dazu erst kaufen. CO2 erhält dadurch einen Preis. Anfänglich hatte dieses System konzeptionelle Probleme, was zu einem viel zu geringen Preis führte, der kaum Anreizwirkung zur Emissionsvermeidung entfaltete. Durch Senkung der Zertifikatsmengen in den Folgezeiträumen und Übergang zur Versteigerung bei der Erstausgabe (statt “grandfathering”) ist der Preis zwar deutlich gesteiegen, jedoch immer noch gering im Vergleich zu dem, was Ökonomen für angemessen halten. Nun könnte sich dies aber ändern, wenn das Zertifikatsmodell auf alle Sektoren (Industrie, Verkehr, Wohnen, Landwirtschaft) ausgedehnt, und die ausgegebene Zertifikatsmenge konsequent und deutlich jede Periode reduziert wird. Die Vorteile dieses Konzeptes sind: (a) Die CO2-Menge ist – im Gegensatz zur Steuerlösung – gut prognostizierbar und steuerbar. Hinsichtlich der ökologischen Treffsicherheit ist das ein großer Vorteil. (b) Die Zertifikate können nach dem Ersterwerb gehandelt werden. Der Preis richtet sich (zumindest unter idealen Bedingungen) nach den marginalen CO2-Vermeidungskosten. Das bedeutet, dass die Zertifikate dorthin gehen, wo die Vermeidungskosten und somit die Zahlungsbereitschaft für Zertifikate hoch sind, die Emissionsvermeidung also dort stattfindet, wo sie am kostengünstigsten ist. Das ist volkswirtschaftlich sinnvoll. Gleichzeitig hat dies den Nachteil, dass die Preise fluktuieren und für längerfristige Investitionen keine verlässliche Basis darstellen. Allerdings sind sich ändernde Preise in einer Marktwirtschaft normal, dies stellt also keinen außergewöhnlichen Nachteil dar. Allerdings können Preise auch durch spekulative Aktivitäten getrieben werden, so dass Rentenextraktion möglich ist. Großinvestoren könnten sich z.B. mit Zertifikaten eindecken, die sie selbst nicht benötigen, und erst dann zu Spitzenpreisen verkaufen, wenn andere darauf dringend angewiesen sind.

Bei einer CO2-Steuer ist dagegen ein einheitlicher CO2-Preis fest vorgegeben, hingegen ist der Mengeneffekt unsicher. Dieser hängt von sich ggf. ändernden Preiselastizitäten der Nachfrage, also z.B. auch von den Ausweich- bzw. Substitutionsmöglichkeiten ab. Je geringer diese sind, desto kleiner ist der Mengeneffekt, und die ökologische Lenkungswirkung ist beeinträchtigt. Um dieselbe Mengenwirkung zu erzielen wie die Zertifikatslösung, müsste der Staat über ein enormes Wissen bezüglich all dieser Anpassungsprozesse verfügen. Der Vorteil einer Steuer ist allerdings, dass ihre Logik sehr einfach nachvollziehbar ist und eine Steuerharmonisierung oder entsprechende border taxes bei Importen von CO2 beinhaltenden Waren aus Ländern ohne CO2-Bepreisung leicht möglich ist. Bei einem Zertifikatsmodell wäre hingegen zu klären, an was sich solche border taxes denn orientieren sollten.

Daneben gibt es noch einen weiteren Aspekt, wenn man eine europäische Lösung anstrebt: Steuerrecht ist Ländersache, hier hat die EU wenig Handhabe. Das Zertifikatsmodell ist aber bereits ein europäisches Modell, welches „nur“ auf alle Sektoren ausgedehnt werden müsste. Das wiederum hat den Nachteil, dass solche Einigungsprozesse in Europa recht lange dauern, während sich eine nationale Steuerlösung ggf. zügiger implementieren ließe. Ein parallele Kombination aus Zertifikats- und Steuermodell ist jedoch eine Chimäre, die zu Diskriminierung führt: Je nach Sektor ist mal nur eine Steuer, mal ein Zertifikatskauf plus Steuer fällig, es sei denn, man erlaubt eine Anrechnung des Zertifikatspreises auf die Steuerzahlung, was das Modell ziemlich kompliziert macht.

Ein oft genannter verteilungspolitischer Nachteil der Steuer ist auf den ersten Blick, dass alle Waren entsprechend ihres CO2-Gehaltes bei Produktion oder Konsum teurer werden, was vor allem für ärmere Haushalte problematisch ist. Strom, Kraftsstoff, Wärme – alles wird teurer, ohne dass diese Haushalte dem ausweichen können. Deshalb schlagen alle seriösen CO2-Steuermodelle vor, die Steuereinnahmen an die Bürger so zurückzugeben, dass solche Verteilungsprobleme nicht auftreten. Im Fall eines Pauschaltransfers pro Kopf dürften ärmere Haushalte sogar finanziell besser dastehen als beim Status Quo. Reichere Haushalte, wo z.B. deutlich mehr Flugreisen anfallen, wären relativ schlechter gestellt. Der angebliche Nachteil, dass eine CO2-Steuer “die Falschen träfe”, ist also nicht haltbar. Der Sinn der Besteuerung ist allein die Relativpreisänderung zwekcs Internalisierung, nicht das fiskalische Ziel. Daher ist eine Rückgabe an die Bürger unabdingbar. Ein Pauschale pro Kopf oder pro Haushalt hat den Vorteil, dass dadurch die einzelwirtschaftlichen Dispositionen nicht verändert werden, der Rücktransfer der Steuereinnahmen die Allokation also nicht verzerrt. Ein entscheidendes Problem ist jedoch, wie der Staat sich glaubwürdig an eine Regel binden kann, nach der “automatisch” die Einnahmen aus der Steuer sofort zurückgegeben werden, also die Begehrlichkeiten des Fiskus keine Rolle mehr spielen können. Häufig sind Vorschläge zu lesen, welche sozialen und ökologischen Projekte mit etwaigen CO2-Steuereinnahmen alles finanziert werden könnten. Solche Vorschläge sind verständlich und gut gemeint, verdeutlichen aber, wie groß die Begehrlichkeiten sind und wie wichtig eine regelgebundene Rückgabe der Steuer an die Bürger ist. Bei dieser Debatte wird gern übersehen, dass dasselbe Problem auch beim Zertifikatsmodell besteht: Die Einnahmen aus der Versteigerung bzw. dem Verkauf der Zertifikate gehen an den Fiskus. Die Zertifikatspreise verteuern – wie die Steuer – die Produkte, und der Fiskus freut sich über Einnahmen, die rechtlich allerdings keine Steuereinnahmen sind. Die ökonomische Wirkung, auch hinsichtlich der Verteilung, hängt aber nicht davon ab, wie die Einnahmen des Staates benannt werden.

Eine Idee ist nun, beide Modelle wie folgt zu kombinieren: Die Zertifikate mit einer Laufzeit von 1-2 Jahren werden auf dem Primärmarkt zu einem Festpreis pro Tonne und Jahr verkauft. Ausnahmslos alle Sektoren, die CO2 (-Äquivalente) emittieren, müssen Zertifikate nachfragen. Damit wäre CO2 völlig äquivalent zu einer Steuer einheitlich bepreist. Die Zahl der Zertifikate ist jedoch fix und wird jährlich bzw. zweijährlich reduziert. Während dieser Zeit können die Zertifikate zu Marktpreisen gehandelt werden mit der Folge, dass CO2 am ehesten dort eingespart wird, wo es am billigsten ist. Der Ausgabepreis ist dann maßgeblich für eine border tax für unbepreiste CO2-Importe in Gestalt von gehandelten Waren. Die Einnahmen aus dem Zertifikateverkauf an der Börse wird – z.B. über die Finanzämter – automatisch an die Bürger zurückgegeben, also gar nicht erst in einem Haushalt verplant. Dies könnte ein für die Bürger glaubwürdiger Mechanismus sein, so dass sie wissen, dass das verfügbare Einkommen der privaten Haushalte durch diese Maßnahme nicht reduziert wird.

Nebenbei: Es ist selten eine gute Idee, eine Steuer, die zur Finanzierung von Aufgaben fiskalisch ergiebig und relativ stabil sein soll (z.B. Zahlung einer Grundrente), an eine Bemessungsgrundlage zu knüpfen, deren Schrumpfung gerade das erklärte Ziel eben dieser Steuer ist. Da bei Lenkungssteuern reine Relativpreiseffekte angestrebt werden, sollte man, allein schon um die Akzeptanz der Bürger zu sichern, die Einkommenseffekte neutralisieren, indem die Einnahmen automatisch an die Bürger zurückgegeben werden. Wie man dies institutionell glaubwürdig verankern kann, ist derzeit noch zu wenig diskutiert worden.

Ist die nachgefragte Menge beim initialen Verkauf der Zertifikate zu gering, so kann anschließend der Marktpreis an der Börse nicht oberhalb des Ausgabepreises liegen. Für den Staat wäre das ein Indikator, dass Vermeidung von CO2-Emissionen kostengünstiger ist als gedacht, und weniger Emission geplant sind als rechtlich zulässig gewsen wären. Die Nichtnutzung von Zertifikaten wäre ökologisch zu begrüßen, der Staat könnte dann in der nächsten Runde eine entsprechend drastischere Senkung der Zertifikatsmenge anstreben. Im Fall einer Überschussnachfrage hingegen stellt der Ausgabepreis eine Untergrenze dar, es sei denn, im Verlauf der Periode gelingt es der Wirtschaft, die Emissionen und somit den Bedarf an Zertifikaten zu senken. In dem Fall ist ein geringer Preis kein Grund zur Besorgnis, denn das quantitative Vermeidungsziel wurde ja eingehalten, und der niedrige Preis zeigt an, dass in der Folgeperiode ehrgeizigere Einsparziele (durch verminderte Zertifikatsausgabe) möglich sind. Bei einer initialen Überschussnachfrage kann man natürlich überlegen, den Ausgabepreis zu erhöhen oder doch wieder auf ein Auktionsverfahren überzugehen. Alternativ kann auch eine Zuteilung der nachgefragten Mengen mit einem Abschlag erfolgen.

Wie ist ein Mindestpreis für Zertifikate zu beurteilen, wie ihn einige vorschlagen? Ziel ist, Preise stabil und hoch zu halten und somit die Planungsgrundlage zu verbessern. Zunächst kann man erwidern, dass der Staat, wenn er denn das Ziel eines Mindespreises hat, jederzeit gerne Zertifikate vom Markt kaufen und stilllegen kann, wenn er das möchte. In der Regel zielt ein Mindestpreisvorschlag aber auf einen mehr oder weniger komplizierten staatlichen Eingriff in das Preissystem der Börse ab. Dies verbessert allerdings auch die Planungsgrundlage für den spekulativen Kauf von Zertifikaten, da hier das Verlustrisiko nach unten begrenzt ist. An der Mindestschwelle lohnt es sich, Zertifikate zu kaufen, auch wenn man kein CO2-Emittent ist. Durch die Verknappung treibt man so den Preis hoch und verkauft die Bestände dann mit Gewinn. Das allerdings hätte auch der Staat selbst tun können, so dass nun dieser Gewinn privaten Spekulanten zufließt. Kurzum: ein niedriger Zertifikatspreis ist ein Indikator dafür, dass man die Ausgabe der Zertifikate drosseln sollte, der Pfad in Richtung Null also schneller beschritten werden sollte. Er ist nicht per se ein Grund, mit einer Mindestpreisregelung einzugreifen.

Wie steht dieser Vorschlag im Verhältnis zu verbindlichen Ausstiegsszenarien, also etwa: Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 20XX; Verbot des Verbrennungsmotors für PKW bis 20YY usw. usf.? Wenn die Gesamtemissionen wegen der Ausdehnung des Zertifikatmodells auf alle Sektoren einem strikten Reduktionsplan folgen, so dass das emittierte Gesamtvolumen von CO2 eine bestimmte Grenze nicht überschreitet, wozu soll es dann gut sein, für einzelne Industrien oder Technologien Ausstiegsszenarien oder Grenzen festzulegen? Der Natur ist es völlig egal, wo und wie CO2 eingespart wird. Und volkswirtschaftlich sollte die Einsparung dort erfolgen, wo sie am billigsten ist. Ich erkenne keinen ökologischen Zweck in detaillierten planwirtschaftlichen Vorgaben.

Es sollte nicht allzu kompliziert sein, sich pragmatisch auf ein Modell zu einigen. Wähler sowie Fridays4Future werden es honorieren, wenn ein mutiger Schritt in diese Richtung getan wird. Das bedeutet aber, dass die Parteien aufeinander zugehen müsen.