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Staatspleite mit Euro oder Grexit?

Das Verhandlungsgebaren der Syriza-Regierung wurde in der Presse oft als skandalös, und Tsipras‘ Idee das Volk zur Annahme des für ihn als unannehmbar gehaltenen Vorschlags der Gläubiger zu befragen als hasardeurhaft und schiere Katastrophe dargestellt. Dass in einer Prinzipal-Agenten-Beziehung der Agent (Regierung) sich bei schweren Zweifeln bezüglich seines Verhandlungsmandates gegenüber Gläubigern bei seinen Prinzipalen (dem Souverän, Volk) rückversichert und somit ein Scheitern von Verhandlungen demokratisch legitimieren will, das ist natürlich schwer verwerflich und vollkommen unverständlich… (auch wenn populistisches Kalkül dabei sein mag). Man hätte lieber ein „kooperatives“ Einlenken gesehen, welches dazu geführt hätte, dass die Gläubiger-Institutionen weiter Hilfsgelder an den vollkommen überschuldeten Staat fließen lassen, damit dieser weiterhin die Schulden an eben diese Gläubiger-Institutionen bedienen kann. Solange man noch mit seriös klingenden Floskeln diese Ponzi-Finanzierung weiter betreibt in der Hoffnung, dass Griechenland irgendwann schneller „spart“ als die Wirtschaftsleistung und damit die Steuerbemessungsgrundlage sinkt, so dass man dann stolz sagen kann, dass Austerität eben doch zu positiven Primärüberschüssen führt, so lange kann man sich selbst vor der Erkenntnis bewahren, dass die permanenten Hilfspakete bereits Ausdruck einer Staatsinsolvenz sind und jene nur verschleppen. Letzteres mag neoliberal klingen, ist aber die Analyse Varoufakis‘, der daraus den Schluss zieht, dass nichts um einen Schuldenschnitt herum führt. Nun also sind die Verhandlungen gescheitert und man stellt sich auf eine Staatspleite ein. Die erste Kreditrückzahlung an den IWF ist bereits nicht erfolgt. [Update 14.7.15: Es sieht so aus, als hätte man sich trotz des Referendums auf eine Fortsetzung des Ponzi-Spiels geeinigt.]

Es ist jetzt leicht, die Schuld der Syriza-Regierung zu geben. Es klingt ja auch für die Allgemeinheit wenig logisch, weshalb der freundliche Geber am Scheitern des renitenten Nehmers „Schuld“ sein solle. Wie man viel Geld sehenden Auges an jemand völlig Überschuldeten geben kann und dann etliche Jahre lang mehr oder weniger vergeblich darauf wartet, dass dieser Reformen durchführt, braucht jetzt keinen mehr zu interessieren – denn jetzt hat man ja eine unliebsame bockige Regierung, die erst kurz im Amt ist, und die nun das Versagen „der Griechen“ repräsentiert. Die früheren Regierungen seien ja zumindest „kooperationswillig“ gewesen, heißt es oft. Nun ja, sie haben sich sehenden Auges weiter verschuldet um dann halbherzig die abverlangten Sparmaßnahmen durchzuführen, jedoch kaum nennenswerte Strukturreformen, die für eine langfristige Gesundung der Wirtschaft jedoch entscheidend gewesen wären. Dazu gehört vor allem die Bekämpfung der Korruption und eine funktionsfähige Verwaltung, jedoch: Fehlanzeige. Durch Sparen allein reformiert man Staat und Wirtschaft nicht.Bei einem Schuldenschnitt müssten zumindest auch die Geberländer für ihre totale Fehleinschätzung  büßen. Es rächt sich, dass man bei einem Staat, der durch jahrzehntelangen Nepotismus, Korruption, Klientelpolitik, ineffiziente Verwaltung und schwache Institutionen gekennzeichnet ist, so behandelt, als ginge es darum, lediglich „den Haushalt wieder in Ordnung zu bringen“.

Nun wird bereits gerechnet, dass man es durchaus verkraften könne, Schulden zum großen Teil abschreiben zu müssen. Das hätte man auch erheblich billiger haben können, hätte man Varoufakis‘ Beharren auf weiteren Schuldenschnitten Beachtung geschenkt (hätte dieser einen etwas konzilianteren Tonfall angeschlagen). Dann hätte man über Ausmaß und Bedingungen verhandeln können. Etwa in der Art, dass man sich nicht auf die ungeliebten Sparmaßnahmen konzentriert, die ohnehin mit einem absurd-lächerlichen Aufwand verhandelt werden: über 1% mehr hier und 2% weniger dort und steuerliche Detailregelungen, deren fiskalische Wirkungen im absoluten Dunkeln liegt, und die zu „geplanten“ Primärüberschüssen führen sollen, die ebenfalls mit Nachkommastellen verhandelt werden. In einer Depression taumelnden Wirtschaft mit schlecht funktionierender Bürokratie sind solche „Verhandlungen“ eine groteske Anmaßung von Wissen und Prognosefähigkeit. Kein Wunder, dass der Eindruck von Einmischung oder Diktat entsteht. Stattdessen sollten (fast) allein Strukturreformen auf der Verhandlungsagenda stehen, die etwas anderes sind als Austeritätspolitik, und für die breite Mehrheiten bei der griechischen Regierung, aber auch in der Bevölkerung vorhanden sind! Mit einem Zug-um-Zug-Geschäft – ein bestimmter Milestone an Reformen (z.B. Aufbau eines Katasters, Maßnahmen zur Korruptionsbekämpfung, Aufbau einer effektiven Steuerverwaltung, Eintreibung von Steuerschulden, aber auch: Angleichung des Renteneintrittsalters an EU-Niveau) gegen den Erlass oder die langfristige Stundung von Krediten – hätte man das Reforminteresse der Gläubiger mit dem Interesse an Schuldenschnitten und Reduktion der Sparmaßnahmen verbinden können. Nun aber gibt es einen de-facto Schuldenschnitt durch Staatsbankrott – ohne Auflagen und Kontrolle.

In der FAZ vom 30.6.15 warnt Philip Plickert unter Berufung auf die „Mehrheit der Ökonomen“, dass eine Staatspleite bei Verbleib im Euro zwar möglich, aber nicht empfehlenswert sei. Das Zitat von Clemens Fuest, „eine Insolvenz im Euro wäre im Grunde ein neuer Schuldenerlass, aber ohne Auflagen“, soll dies belegen. Nun ändert aber ein Austritt aus dem Euro auch nichts an der in Euro notierten Schuldenlast. Die Einführung einer zum Euro kräftig abwertenden Drachme würde zwar den Exportsektor wettbewerbsfähiger machen, vielleicht sogar nach geraumer Zeit zu Nettoexportüberschüssen führen, aber die Schuldenlast ist derartig gewaltig (und würde durch die Aufwertung des Euros im Vergleich zur Drachme real noch viel gewaltiger!), so dass nicht im Traum daran zu denken ist, dass selbst eine explosionsartig boomende griechische Exportwirtschaft zu derartig sprudelnden Steuereinnahmen führt, dass der Staat dann seine Schulden zurückzahlen könnte. Es ist auch folgende Punkte bei einem Grexit zu bedenken:

  • Die TARGET2-Salden, die bislang ein rein buchungstechnischer Posten innerhalb des ESZB sind, und weder ökonomisch noch rechtlich ein „Kredit“ darstellen, wie es einige immer wieder behaupten, werden im Fall des Grexits dann aber doch eine Forderung des ESZB an die griechische Zentralbank, die man wohl teilweise wird abschreiben müssen. Im Fall des Verbleibs im Euro würden die Salden bei einer griechischen Erholung und entsprechenden Kapitalrückflüssen reduziert werden. Im Prinzip wäre auch ein Grexit mit Verbleib im TARGET2-System denkbar.
  • Bei einem Grexit entstehen zusätzliche Verwerfungen, weil die EZB den griechischen Bankensektor nicht mehr stützen würde und dürfte. Die griechische Zentralbank, die dann selbst in Euro überschuldet wäre (siehe oben) müsste dann den gesamten Bankensektor rekapitalisieren.
  • Werden sämtliche Zahlungsverpflichtungen auf Drachmen umgestellt, würde sich zunächst am Budgetdefizit des Staates nichts ändern – es würde lediglich in Drachmen ausgewiesen. Er könnte sich allerdings leichter vom teil-verstaatlichten und dann von den Regeln des ESZB „befreiten“ Bankensektors neues Geld leihen um seine Staatsbediensteten zu bezahlen. Die Möglichkeit, das benötigte Geld nun selbst „drucken“ zu können, verlängert die Misere aber immer weiter. Kein Ordnungsökonom kann das wollen.
  • Außerdem besteht dann von Seiten der Euroländer noch weniger Verhandlungs- und Einflussmöglichkeiten in Bezug auf Reformen. Es ist nicht zu erkennen, weshalb nötige Strukturreformen ohne den Euro leichter sein sollten als mit dem Druck der Euro-Gruppe.
  • Und schließlich: Gewänne die griechische Exportwirtschaft allein durch die Abwertung der Drachme wieder an Wettbewerbsfähigkeit und trügen zur Besserung makroökonomischer Daten bei, so mögen sich manche Ökonomen bestätigt fühlen, aber es könnte auch den Druck zur Produktivitätsverbesserungen sowie zu institutionellen und strukturellen Reformen reduzieren. Wenn schon Ökonomen diese Gefahr des nachlassenden Drucks schon aufgrund der QE-Maßnahmen der EZB sehen, weil griechische Staatstitel sich vielleicht um einen halben Prozentpunkt verbilligen, so muss dieses Argument erst recht gelten, wenn der Druck aufgrund einer drastisch abgewerteten Drachme den Staatshaushalt besser aussehen lässt – auch ohne Strukturreformen.
  • Das Signal an internationale Investoren wäre, dass der Euroraum fragil ist.

Ich kann daher nicht erkennen, was aus Sicht der Gläubiger vorteilhaft sein soll, dass eine Staatspleite zwingend mit einem Grexit verbunden sein sollte. Als Steuerzahler bin ich  daran interessiert, so viel wie möglich von dem verliehenen Geld wieder zu sehen. Und dies geht nur, wenn der Schuldner wieder auf die Beine kommt. Hilfreich wären da allerdings auch entsprechende glaubwürdige Signale aus Griechenland, Reformen jenseits der Austerität endlich auf den Weg zu bringen.

Grexit – und dann?

Moody’s und Standard and Poor’s halten die Kosten eines Grexit für verkraftbar, sofern nicht andere Krisenstaaten ebenfalls den Euroraum verlassen. Sie beziffern die Kosten auf etwa 300 Milliarden Euro, verteilt auf alle Euroländer und über einen längeren Zeitraum. Unterstellt wird, dass im Fall eines Austritts die Schulden an andere Staaten, das Eurosystem und Private, die natürlich weiterhin in Euro berechnet sind, nicht mehr bedient werden und mehr oder weniger abgeschrieben werden müssen. Das wäre man tatsächlich zu tragen bereit, nur um die ewigen Streitereien um die Hilfsmaßnahmen für ein „Fass ohne Boden“ los zu sein? Man darf sich wundern. Wenn man 300 Milliarden Euro Verlust in Kauf zu nehmen bereit wäre, warum tut man sich mit Schuldenschnitten und Stundungen der Rückzahlungen so schwer wie sie seit Wochen, Monaten und Jahren angesichts der völligen Überschuldung immer wieder angemahnt und brüsk zurückgewiesen wurden? Wenn die Troika beschließen würde, die in den nächsten drei Jahren fälligen Rückzahlungen von ca. 60 Milliarden zu erlassen, um dem Reformprogramm eine Chance zu geben, dann wäre das geradezu ein Schnäppchen im Vergleich zu einem Grexit. Bisher muss sich die Regierung von einem Liquiditätsengpass zum nächsten hangeln und alle staatlichen Aktivitäten kreisen um das Stopfen von Löchern. An einen Aufbau einer effektiven Steuerverwaltung durch Einstellen kompetenter Steuerbeamter ist kaum zu denken, wenn man nicht weiß, ob man nächsten Monat noch in der Lage sein wird, Gehälter zu bezahlen. Wenn man wenigstens einen Großteil seines Geldes wiedersehen will, welches man sehenden Auges an einen völlig überschuldeten Staat geliehen hat, sind Schuldenschnitte, bei denen man seine Verhandlungsoptionen behält, effektiver als einfach aufzugeben. Griechenland bliebe im Euro, ein enttäuschtes Abwenden der Bevölkerung von Europa bliebe erspart. 300 Milliarden Euro Verlust im Fall eines Grexit – wie soll man ein so teures Verhandlungsungeschick dem rationalen Steuerzahler erklären? An manchen deutschen Stammtischen würde man sicherlich darüber jubeln, aber ob man da auch richtig rechnen kann?