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Target2 und Euroaustritt – ein „Pulverfass“?

Target2-Salden entstehen durch grenzüberschreitende Buchungsvorgänge, und auch nur deshalb, weil trotz der Währungsunion weiterhin nationale Zentralbanken existieren statt nur die EZB. Bei einem grenzüberschreitenden Transfer zwischen Geschäftsbanken, welcher über die jeweiligen nationalen Zentralbanken abgewickelt wird, fließen sowohl Depositen (Passivseite) als auch Reserven (Aktivseite) von der italienischen Bank A zur deutschen Bank B (vermittelt über die jeweiligen nationalen Zentralbanken). Dadurch entsteht aber eine Differenz zwischen Aktiv- und Passivseite der jeweiligen Zentralbankbilanz – die Banca d’Italia hat also dieselben Assets wie zuvor, jedoch weniger Reserven, folglich einen Saldo auf der Passivseite. Entsprechend umgekehrt ist es bei der Deutschen Bundesbank. Gäbe es lediglich die EZB, wäre dieses ganze Problem völlig unbekannt, kein Ökonom würde Alarm schlagen, keine Zeitung darüber schreiben. Normalerweise stehen bei einer nationalen Zentralbank den Reserven (plus Bargeld) entsprechende Vermögensgegenstände gegenüber, also vor allem Wertpapiere oder Forderungen gegenüber nationalen Geschäftsbanken. Durch den Zufluss von Reserven an deutsche Geschäftsbanken, die die Deutsche Bundesbank gar nicht geschaffen hat, sondern die durch Überweisung nach Deutschland gekommen sind, entsteht eine T2- “Forderung” der Bundesbank auf der Aktivseite, die man als Forderung gegenüber der EZB betrachtet. Umgekehrt ist es bei der Banca d’Italia, die eine T2- “Verbindlichkeit” gegenüber der EZB hat. Zunächst einmal kommt die Sprechweise von “Forderung” und “Verbindlichkeit” durch die übliche Interpretation der Aktiv- und Passivseite einer Bilanz zustande. Faktisch hat sich die Banca d’Italia aber gar keine Mittel von der Bundesbank “geliehen”, schon gar nicht hat “Deutschland” Geld an “Italien” verliehen, welches dieses Geld irgendwie verjubelt hat (auch wenn das gescheit klingt wie „… zur Finanzierung des Zahlungsbilanzdefizits“). Die Interpretation der T2-Salden als „Kredit“ ist also zu recht sehr umstritten. Ich lehne sie ab.

Die Sorge ist nun, dass im Fall des Austritts eines T2- “Schuldner”-Landes aus der EWU man diese Salden ähnlich wie einen faulen Kredit  „abschreiben“ muss, da es sich nicht um eine werthaltige Forderung handelt. Schließlich wird das Land ja aufgrund großer finanzieller Probleme ausgetreten sein und daher weder in der Lage noch willens sein, einen Saldo zu begleichen. Müsste die Bundesbank eine riesige T2- “Forderung” abschreiben, so wäre ihr Eigenkapital mehr als aufgebraucht, es würde negativ werden. Das wäre an sich nicht unbedingt ein Problem (im Unterschied zu einer Geschäftsbank, die dann insolvent wäre), aber man würde dies vermeiden wollen, indem man den T2-Saldo als reinen Buchungsposten einfach stehen ließe. Im Fall, dass die „Billionen-Forderung“ abgeschrieben würde, müsste gegebenenfalls die Bundesbank durch den – Gott bewahre! – deutschen Steuerzahler rekapitalisiert werden. Das ist das Schreckensszenario, das kürzlich wieder durch die Tageszeitungen ging (wie immer mit der löblichen Ausnahme der sehr sorgfältigen Kolumnen von Gerald Braunberger in der FAZ).

Klar ist, dass die Banca d’Itlaia Teil des ESZB ist und die Wertpapiere auf ihrer Aktivseite dem ESZB gehören. Steht als Gegenbuchung nun ein T2-Saldo in ihrer Bilanz, so entsteht dann – und nur dann und in diesem Moment – eine Forderung des ESZB auf Rückübereignung der Wertpapiere in Höhe des T2-Saldos, als Folge des Austritts aus dem ESZB. Es kann ja nicht sein, dass die Banca d’Italia nach einer Währungsreform ihre Reserven in Lira umwandelt und die Wertpapiere, denen ja Euro-Forderungen der Banken gegenüberstehen, einfach als Anfangskapitalausstattung behält. Es ist aber davon auszugehen, dass in der Banca d’Italia vernünftige Leute mit Expertise sitzen, die genau wissen, dass man auch nach Austritt Italiens aus dem Euro den Zahlungsverkehr mit der Eurozone aufrechterhalten muss. Dies würde durch das eben skizzierte Vorgehen, welches spiegelbildlich die „Abschreibung einer Billionenforderung“ auf der Bundesbankbilanz zur Folge hätte, stark gefährdet und würde Italien wirtschaftliche vom Euroraum abschneiden.  Interessanterweise sind es ja oft dieselben Ökonomen, die vor einer T2-Katastrophe warnen, die sich auch für einen Austritt der Südländer aus dem Euro stark machen mit dem Hinweis, dass es dann für diese – per Abwertung und dadurch Stärkung des Exportes – so viel leichter wäre. Das setzt aber voraus, dass der Zahlungsverkehr mit der Eurozone reibungslos funktioniert. Das auch jüngst in der FAZ vom Sinn angeführte Erpressungspotenzial der T2-Salden (Motto: „Schuldenschnitt bzw. Transferunion oder wir lassen Eure T2-Forderung platzen!“) relativiert sich somit, da zur Aufrechterhaltung des Zahlungsverkehrs eine einvernehmliche  Lösung gefunden werden muss:

Wie könnte es nach einem Austritt z.B. Italiens aus der EWU weitergehen? [Update/Korrektur]

Wir gehen davon aus, dass es zu diesem Zeitpunkt kein “Clearing” geben wird, d.h. die Banca d’Italia den T2-Saldo nicht durch Transfer entsprechender Wertpapiere an die Bundesbank (via EZB) ausgleichen wird. Die folgenden Überlegungen stellen eine Möglichkeit dar, die eine entsprechende Änderung des rechtlichen Rahmens notwendig macht. Im Fall des Euroaustritts ist aber ohnehin eine rechtliche Regelung notwendig. Ich gehe davon aus, dass der T2-Saldo zunächst einfach auf der Passivseite der Banca d’Italia stehenbleibt, während alle Reserven sowie das Bargeld in Lira umgewandelt werden. Die Banca d’Italia (und die italienische Wirtschaft und selbst populistische Regierungen) wird ein vitales Interesse daran haben, den Zahlungsverkehr zwischen Italien und dem Euroraum weiterhin zu gewährleisten. Dies kann durch einen vorübergehenden Verbleib im TARGET-System geschehen, solange noch Salden offenstehen.

Wenn es dann zu einer Überweisung von Deutschland nach Italien kommt, verringern sich die Euroreserven auf der Bank- sowie der Bundesbank-Bilanz – und der dort befindliche T2-Saldo ebenfalls. Wie der Empfang von Euroreserven sich dort auf das Verhältnis zwischen Geschäftsbank und Banca d’Italia auswirkt, sei dahingestellt. Die Banca d’Italia könnte z.B. die Euroreserven der italienischen Geschäftsbank in Lirareserven umtauschen, wobei dann bei ihr ein Passivtausch der T2-Verbindlichkeiten gegen Lira-Reserven stattfindet. Auch ihr T2-Saldo verringert sich.

Die umgekehrte Überweisung von Italien nach Deutschland würde man asymmetrisch behandeln: es werden von der italienischen Bank nur Euroreserven für den Transfer akzeptiert, die diese (bzw. die Banca d’Italia) zuvor bei der einer deutschen Geschäftsbank (bzw. der Bundesbank) mittels Tausch gegen Wertpapiere erworben hat. Auf diese Weise wird sich – anders als im bisherigen TARGET-System – der T2-Saldo zumindest nicht erhöhen. Man könnte diesen Vorgang auch daran koppeln, dass die Banca d’Italia einen Aufschlag von sagen wir 5% zahlt, also für einen 100 Mio-Transfer Wertpapiere für 105 Mio überträgt, die den bestehenden T2-Saldo um 5 Mio verringert. Auf diese Weise würde sich bei jedweder grenzüberschreitenden Zahlung der T2-Saldo ein Stückchen verringern. Ist dieser irgendwann Null, so kann man auf das symmetrische System übergehen, wie es auch sonst üblich ist, und Italien tritt aus dem TARGET-System aus. Selbst wenn sich der letztgenannte Aufschlag bei Überweisungen von Italien nach Deutschland politisch nicht durchsetzen ließe, so würden zumindest die Zahlungsvorgänge in die andere Richtung den T2-Saldo abschmelzen.

Das von einigen Ökonomen beschworene „Erpressungspotenzial“, weil Italien mit der Drohung der „Nichtrückzahlung der T2-Schulden“ beinahe jede Forderung durchsetzen könne, kann man auch genau umkehren: Solange noch ein T2-Saldo besteht, muss sich die Banca d’Italia auf die skizzierte technische Regelung einlassen, wenn Italien nicht vom Euroraum abgeschnitten werden will. Das dürfte wohl im beiderseitigen Interesse liegen.  Der Saldo wird dann so zurückgeführt, wie er entstanden ist: allein durch grenzüberschreitende Zahlungsvorgänge. So ganz ohne Katastrophe. Man kann nur hoffen, dass im Fall eines Austritts pragmatische Zentralbanker auf beiden Seiten die Sache in die Hand nehmen und nicht so manche deutsche Leitartikler.